Aus allen Rohren

26. November 2021, Nora Leutert
Eine Heizzentrale in Lohn. Symbolbilder: Peter Pfister
Eine Heizzentrale in Lohn. Symbolbilder: Peter Pfister

Kurz vor der Abstimmung über den Rahmenkredit zur Wärmeversorgung wird ein Gutachten publiziert. Die Hintergründe sind fragwürdig.

Der Knall kam kurz bevor die Arbeitswoche für Politiker, Staatsangestellte und Bürgerinnen ausklang: «Studie geisselt Monopolismus in Schaffhausen», titelten die Schaffhauser Nachrichten am Freitag. Sie machten eine brandneue ökonomische Studie publik, welche in der Wärmeverbundsstrategie der Stadt «einen ordnungspolitischen Sündenfall» ortet und den Versorgungsauftrag der Städtischen Werke in Frage stellt. Zusätzlich brachte die Tageszeitung ein exklusives Interview mit einem der beiden Studienautoren.

Eine wissenschaftliche Studie in den letzten Tagen, in denen die Schaffhauserinnen über den Rahmenkredit von 30 Millionen Franken für die Versorgung mit Wärme und Kälte abstimmen? Das birgt Zündstoff.

Doch nach der Lektüre des Berichts in den SN bleiben Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Studie. Allein durch den reisserischen Studientitel: «Verstaatlichung von Wärmeverbünden – ein fataler Irrweg». Das rund 30-seitige Dokument zerstreut die Zweifel nicht. Zahlen, realistische Fakten und Prognosen zur Marktlage in Schaffhausen und Vergleiche zu anderen Städten sucht man darin vergebens. Vielmehr vertritt das Papier handfeste politische und privatwirtschaftliche Interessen.

Das riecht nach Abstimmungskampagne. Was hat es mit dieser Studie auf sich? Wer steckt dahinter?

Die SN liefern dazu keine Hintergründe, auch nicht in ihrem Folgeartikel. Als Auftraggeber des Gutachtens nennt die Tageszeitung das Liberale Institut. Wer das ist, schreibt sie allerdings nicht. Und das ist problematisch.

Gegen den Staat

Das Liberale Institut ist ein ultralibertärer Schweizer Thinktank mit Sitz in Zürich. Es wurde 1979 von Zürcher Freisinnigen um Robert Nef (langjähriger Institutsleiter, heutiger Stiftungsrat) gegründet. Nef hat sich immer wieder als Klimaleugner hervorgetan, genauso wie sein Nachfolger und Stiftungsratskollege Pierre Bessard. Beide unterzeichneten bereits 2009 vor der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen ein Papier mit dem Titel Die Klimakatastrophe findet nicht statt, das unter anderem festhält, dass es keinen Grund gebe, die CO2-Emissionen zu reduzieren, «da die Natur das Klima bestimmt». Wie die andern Köpfe hinter dem Institut sind sie in libertären Kreisen einflussreich vernetzt und verbreiten ihre Positionen regelmässig als Gastautoren in der NZZ, in der Weltwoche, im Nebelspalter oder im Schweizer Monat (Stiftungsrat Beat Gygi etwa schreibt gerade in dieser Ausgabe der Weltwoche gegen den Ausstieg aus der fossilen Energie an).

Der Kurs, der sich beim Liberalen Institut seit einiger Zeit eingependelt hat: Die Umweltprobleme werden verharmlost und verdreht, wenn auch nicht unbedingt abgestritten. Abgestritten werden die nötigen Massnahmen und vor allem die Schuld des Kapitalismus am Klimawandel. Oder, wie es Olivier Kessler, das neue Gesicht des Instituts, sagt (man kennt ihn noch als Ini­tiant der No-Billag-Initiative): «Die Umwelt braucht mehr Markt. Wirtschaftliche Freiheit ist nicht das Problem, sondern die Lösung.» Die Ausrichtung des Liberalen Instituts lässt sich auch in der Klimapolitik auf eine Formel herunterbrechen: Der Staat ist des Teufels.

«Wir fühlen uns ausschliesslich dem Liberalismus und seinen Prinzipien verpflichtet»

Olivier Kessler, Liberales Institut

Aus diesem Haus kommt die Studie zur Schaffhauser Energiepolitik. Auch auf die Autorenschaft lohnt sich ein näherer Blick: Das sind zum einen der libertäre Ökonom Markus Saurer, heftigster Staatskritiker in allen Bereichen, und der weitgehend unbekannte Christian Müller-Kademann. Pikant: Müller-Kademann arbeitet als Privatdozent an der Jacobs Universität Bremen, die demnächst vom Schaffhausen Institute of Technology von IT-Unternehmer Serguei Beloussov übernommen wird. Serguei Beloussov und das SIT verneinen jedoch jedweden Zusammenhang. Noch sei man nicht in die Jacobs Universität involviert und kenne weder Studie noch Autor.

Co-Autor Müller-Kademann, den man bereits aus den SN kennt, hat den Ärger womöglich gerochen, er hat plötzlich doch keine Zeit mehr für ein Gespräch. Bei ihm sei im Augenblick «Land unter» und er nur noch per Mail erreichbar.

Religion Liberalismus

Die Studie zur Schaffhauser Energiepolitik kommt also aus einem Umfeld von Klimaverharmlosern. Doch sie gibt weiterhin Rätsel auf. Es liegt nahe, dass das Gutachten, wenn auch reichlich spät, beim Liberalen Institut von Dritten in Auftrag gegeben wurde, wie bei Thinktanks üblich. Oder dass sie durch Schaffhauser Verbindungen zumindest angeregt wurde. Co-Autor Markus Saurer macht am Telefon keinen Hehl daraus, dass es mit der Studie pressierte.

Dass sich das Liberale Institut mit einer Studie in eine Abstimmung einmischt, ist untypisch. Und dann noch in einer Kleinstadt, während im gewichtigen Zürich am gleichen Wochenende über genau das Gleiche abgestimmt wird: nämlich einen (über zehnmal grösseren) Rahmenkredit für die Wärmeversorgung. In der Stadt Zürich läuft alles gleich. Nur, dass dort die FDP dafür ist. Der Rahmenkredit ist in Zürich weitgehend unbestritten, während er in Schaffhausen wackelt. Hier kann noch Einfluss genommen werden.

Olivier Kessler, Leiter des Liberalen Instituts, streitet ab, dass man sich mit der Studie in den Abstimmungskampf einmischen wollte. Schaffhausen habe man gewählt, weil es ein aktuelles Fallbeispiel geboten habe. Man hätte geradesogut auch andere Beispiele nehmen können, so Kessler. Das Liberale Institut habe keinen Auftrag zur Studie bekommen, sondern habe diese aus eigenem Antrieb angefertigt und fühle sich «ausschliesslich dem Liberalismus und seinen Prinzipien verpflichtet».

Dem Liberalismus und seinen Prinzi­pien, wohlgemerkt, und nicht etwa der Wissenschaft: Damit muss man dieses Papier des Liberalen Instituts vorerst wohl stehen lassen. Denn die Telefonhörer laufen heiss beim Versuch, die Verbindung des Liberalen Instituts zur Schaffhauser Wirtschaft oder Politik zu finden.

Von den Bürgerlichen will in Schaffhausen niemand etwas von der Studie gewusst haben. Von allen hört man die gleiche Antwort: Nein, man wisse nicht, wer dahinter stecke. Man sei überrascht, nehme die Studie aber mit Wohlwollen zur Kenntnis, da sie die Kritik der FDP und SVP bestätige.

FDP-Grossstadtrat und Fraktionspräsident Martin Egger hat die Studie bereits zu einem parlamentarischen Vorstoss verwertet. Er fragt, ob der Stadtrat aufgrund der Studienerkenntnisse bereit sei, «die Volksabstimmung vom 28. November 2021 zum 30 Mio. Rahmenkredit zurückzuziehen, oder bei einer allfälligen Annahme die Ausgaben solange zu sistieren, bis die offenen Fragen – allenfalls durch Prüfung der Schweizer Wettbewerbskommission – vorliegen?»

Dem nun angegriffenen Versorgungsauftrag der Städtischen Werke haben die Bürgerlichen vor einem Jahr eigentlich geschlossen zugestimmt. Das Gutachten liest sich nun wie ein Rückkommensantrag. Und es könnte sein, dass ihnen die Studie in der letzten Phase des Abstimmungskampfes tatsächlich noch hilft.

Oder sie bleibt ein Rohrkrepierer.