Die Ausstellung «Unerhört» leuchtet das Frauenstimmrecht in Schaffhausen aus. Sie beginnt erdrückend – und endet schüchtern optimistisch.
«Für junge Frauen gab es zwei Vorbilder, ein erstrebenswertes und ein abschreckendes. Erstrebenswert ist Ehefrau und Mutter einerseits – aber selbstverständlich nicht erwerbstätig. Auf der anderen die alte Jungfer. Das war man so ab 25.» Als die alt Stadträtin Veronika Heller sich am letzten Samstag laut an ihre Jugend erinnert, lacht die versammelte Menge. An diesem Abend eröffnet die Ausstellung Unerhört! in der Kammgarn, es geht um 50 Jahre Frauenstimmrecht, der Raum ist dicht bestuhlt und proppenvoll. Ein Abend voller Rotweingläser, Ansprachen, grimmig dreinblickender Ballone und vor allem: voller Fragen. Warum dauerte das alles nur so verflucht lange? Was wäre möglich gewesen, hätten sich die Männer früher zur Demokratie bekannt (denn: Chancen dafür gab es)? Und: Können wir überhaupt von einer Demokratie sprechen, heute, im Jetzt?
Dabei stand am Anfang der Ausstellung ein Vakuum. Und diesem Vakuum gegenüber: die Historikerin Anna-Pierina Godenzi. «Während andere Institutionen sich drei Jahre lang auf das Jubiläum des Frauenstimmrechts vorbereitet haben, passierte in Schaffhausen einfach zu wenig», sagt sie. Godenzi wollte etwas Grösseres anreissen und fand drei Locals, «neugierig und irre» genug, um mitzumachen: Nicole Reisser sowie, regelmässigen AZ-Leserinnen bekannt, Romina Loliva und Fanny Nussbaumer.
Im Gespräch mit den Frauen wird schnell deutlich, durch welche Achterbahnen sie sich bis zur Vernissage trugen: die Wucht der Ressentiments, mit der die Frauen in der Politik kämpften; die perfide Art, wie sich diese Vorurteile bis heute fortsetzen; und nicht zuletzt die Hingabe, mit der diese Frauen dagegen ansprachen. Auf eine Achterbahn muss sich darum auch die Besucherin der Ausstellung einstellen.
Zwischen Barrikaden und Teilhabe
Bis Schweizerinnen politisch mitbestimmen durften, dauerte es je nach Zeitrechnung 123 oder 40 Jahre. 1848 war die Vorstellung der hiesigen Bevölkerung als ein «Volk von einig Brüdern» noch zu stark, als dass man(n) Frauen als politisch mündig hätte betrachten können. Das ist die nationale Ebene. Der Kanton Schaffhausen verpasste die erste kantonale Chance im Jahr 1931: Zwei SP-Grossräte reichten eine Motion ein, die den Schaffhauserinnen das Stimm- und Wahlrecht zugestehen wollte. Der Vorstoss wurde gar ohne Gegenstimme an die Regierung überwiesen – doch er verschwand für ganze 35 Jahre in der Schublade. Die Allianzen, welche die Frauen mit den politischen Machtträgern gebraucht hätten, sie waren zu schwach – ironischerweise weil diese Machtträger weiterhin glaubten, dass Frauen für die Politik zu schwach («politisch unreif») seien.
Im Folgenden zeichnet die Ausstellung den Weg bis zum 7. Februar 1971 nach, als das Stimmrecht eingeführt wurde: die kantonalen wie nationalen Abstimmungen; die Fortführung der immergleichen Debatten zum «Wesen der Frau»; die langsam, aber stetig sinkenden Nein-Voten bei jedem Urnengang. Unerhört! zeigt Plakate und Motive für wie auch gegen die politische Teilhabe von Frauen, benennt Argumente und Motive – ein Teppichklopfer, inszeniert wie ein Grabeskreuz; eine schwarze Fliege, die sich auf einem Nuggi niedergelassen hat – und stellt Verbindungen zur Gegenwart her. Aus Lautsprechern und Kopfhörern schallen Reden von 1929, Interviews mit Schaffhauser Frauen von 1996 und die Strassenchöre des feministischen Kampftags in Bern 2021.
Die geräumige Kammgarn tut der Ausstellung gut: Nichts wirkt gedrängt, zwischen den einzelnen Stationen bleibt physisch wie symbolisch Raum offen. Den stärksten Eindruck hinterlässt Unerhört! gerade da, wo die Dinge nur angetönt sind, im Spielraum zwischen Barrikaden, Teilhabe und politischer Kampfrhetorik. Etwa auf der Wandcollage, wo Fotos von den Streiks von 1991 und 2019 einander gegenüberstehen. Welche Themen sind gleich geblieben, wo hat sich der Ton verroht, wo haben sich die Schwerpunkte verschoben? Sprach Esther Bührer, die erste Ständerätin des Kantons, noch mit einem Lächeln ins Mikrofon (s. Foto oben rechts), ist der Streik knapp zwei Jahrzehnte später lauter, wütender: Gopf, immer noch nicht gleichgestellt!
Hin zur leisen Zuversicht
Unerhört! gibt also Raum fürs Feiern wie auch für Frustration. Den Macherinnen war aber ebenso ein Anliegen, die Teilhabe und die Interaktion, die den Frauen politisch verwehrt wurden, direkt in der Ausstellung selbst zu ermöglichen. Hauptsächlich geschieht dies gegen Ende, als sich der Bogen in die Gegenwart und Zukunft neigt. Hier geben Schülerinnen und Schüler der Kanti und der BBZ Statements ab, welche Forderungen sie an Gesellschaft und Politik haben. Und: Ausstellungsgäste können ihre Voten mit einem Vor-Ort-Selfie und eigenem Statement ergänzen. «Die Workshops mit den Jugendlichen gingen mir richtig nah», erzählt Godenzi am Abend der Vernissage. «Oft heisst es, Jugendliche wüssten gar nicht, was sie wollen – und ob sie das wissen! Man muss ihnen nur endlich zuhören.»
Dieser Blick auf die künftige Generation, auf ihre Themen und ihr Selbstverständnis ist es, der die Zermürbung zum Schluss in eine leise Zuversicht ummünzen lässt. Und der Fragen eröffnet, wem die politische Mitbestimmung bis heute erschwert oder gänzlich verwehrt ist. Unerhört! endet denn auch mit drei Abstimmungen: Sollen Jugendliche ab 16 Jahren das Stimm- und Wahlrecht erhalten? Sollen Ausländerinnen und Ausländer dieses Recht haben? Und was ist mit Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung? «Dies ist für mich die Kerndefinition von Feminismus», sagt Kuratorin Loliva zum Schluss, «man kämpft für Menschenrechte. Es geht nicht ausschliesslich um die Stellung von Frauen.»
Bleibt zu hoffen, dass die Ausweitung dieser Mitbestimmungsrechte nicht mehr ganz so viel Zeit und Kampfgeist in Anspruch nehmen wird wie jene bis zum Frauenstimmrecht.
Die Ausstellung Unerhört! in den Hallen der Kammgarn West läuft noch bis zum 28. November. Zutritt erhält man jeweils am Donnerstag zwischen 18 und 21 Uhr sowie Freitag bis Sonntag zwischen 10 und 17 Uhr.
Nebst der eigentlichen Ausstellung haben die Macherinnen auch ein Rahmenprogramm auf die Beine gestellt. Am 26. November kommen beispielsweise Menschen zu Wort, die auch heute noch unerhört sind. Ausserdem sprechen im Radio Rasa drei Männer über Gleichstellung. Denn Gleichberechtigung ist nicht nur Frauensache.
Mehr zur Ausstellung unter: www.1971.sh