Das Leiden einer Spaghettinudel

19. November 2021, Nora Leutert

Slam-Poetin Lara Stoll hat ein Buch über die Absurditäten ihres Alltags geschrieben. Wir haben versucht, ihr keine dummen Fragen zu stellen.

Treffen mit Autorin und Slampoetin Lara Stoll: Man ist auf alles gefasst – und auf nichts. Die 34-Jährige (in Schaffhausen geboren) dominiert, spätestens seit sie sie vor einem Jahr den Salzburger Stier gewann, das Feuilleton. Etwas widerwillig tut sie das. Und wahrscheinlich kriegt man gerade deshalb nicht genug von ihr.

Und nun hat sie auch noch dieses unglaublich witzige Buch herausgebracht mit seltsamen Brocken aus ihrem Leben. Während der Lektüre sieht man sich schon den Zeigefinger heben, man hat Fragen, weiss aber nicht, welche. Eine Menge gottloser Absurditäten wie das Leben einer Träne, die Roger Federers Wange herunterkullert, schwadern einem danach im Kopf herum. Und viele leicht unangenehme Bilder auch: Lara Stoll, versunken in eine Kunstbetrachtung der Migros-Take-away-Auslage, während sich hinter ihr eine Schlange von Menschen bildet. Lara Stoll, die fast der Bahnpolizei der SBB überliefert wird, weil sie eine Zivilistin in eine Grundsatzdiskussion über Höflichkeit verwickeln will. Oder einfach ein Rolf-Knie-Bild, das rechts über Lara Stolls Bett hängt.

AZ Lara Stoll, du bringst dich oft in unangenehme Situationen. Reizt dich das oder zwingst du dich dazu?

Lara Stoll Ich habe eigentlich mehr das Gefühl, dass ich Opfer davon werde.

Ziehst du Unannehmlichkeiten an?

Ich glaube schon. Mein Verleger sagte nach der Lektüre meines neuen Buches: Besser, es passiert dir als mir. Aber es ist okay. Ich kann es aushalten, wenn die Dinge auf mich einprasseln. Und durch die künstlerische Verarbeitung fühlt es sich dann gar nicht mehr so schlimm an.

Das Letzte, was ich von dir auf Social Media sah, war, dass du dein neuerschienenes Buch mit Unterstützung eines Pizzaiolos in eine Calzone eingebacken hast.

Das geschah etwas aus der Not heraus. Ich habe in zwei Wochen einen Gig im Kaufleuten, und mein aktuelles Bühnenprogramm besteht mehr oder weniger aus meinen Buch-Texten. Ich wollte mir nicht im Vorhinein mein eigenes Publikum wegnehmen und hatte auch keine Lust auf noch mehr Lesungen. Ich überlegte mir, wie sonst man die Werbetrommel rühren könnte.

Also entschiedest du dich für eine Buch-Pizza. Das war nur der Auftakt deines Release-Wochenendes, danach ging es steil weiter. Und nun gibst du dieses Interview am Montagnachmittag. Nach allem, was ich las, muss das für dich die Hölle sein, du hasst Interviews.

Es ist schon nicht so, dass ich besonders Lust darauf hätte. Aber wenn man ein nettes Gegenüber hat, das nicht allzu dumme Fragen stellt, die ich nicht schon tausendmal gehört habe, ist es okay. Bis jetzt ist es okay (lacht).

Du wirst vom Feuilleton für deine verweigernde Haltung gehypt. Hast du es richtig gemacht, wenn dich der Tagi zitiert, dass noch illegale Restsubstanzen an deiner Identitätskarte kleben?

Na ja, dann steht wenigstens mal etwas Neues über mich in der Zeitung. Ich fand das in Ordnung, um das Buch zu promoten, und es ist nicht gelogen. Also why not.

Der Kopf rattert, wie man Lara Stoll gegenübersitzt. Hinter einem liegt eine Stolleske Nacht. Vielleicht lag ich tagsüber zu lange dumm herum und las Lara Stolls Buch, wobei ich mir derart eine Rippe einklemmte, dass ich nachts durch eine absolut misslungene Schlafposition im Minutentakt von meinen eigenen Schnarchern aufwachte. Und dabei tanzten Rechnungen, die ich vergessen habe, hinter meinen geschlossenen Augenlidern herum, entsprungen aus der Hölle oder aus Lara Stolls Gedicht «Mir sind alli elai»:

bim Rechnige-Zahle, du, bim Rechnige-Zahle
do bisch denn elai bim Zahle
Mir sind alli elai
ussert Rechnige, die sind nie elai
die sind immer viel, e Rechnig müsstmer si

e Rechnig, E-Rechnige du, e E-Rechnig
E-Logge, mir sind alli elai bim Ilogge elai
Bim Status-Teile
Gaffe
Werte
bim Emoji-Platziere:
Äffli-Tränenlach, Herzli, Schinke, Kamel

Lara Stoll unterbricht den Gedankenlauf und will wissen, ob man das Buch gelesen habe. Hast du es okay gefunden?, fragt sie.

AZ Ich finde dein Buch sehr, sehr toll. Und ich habe mich darin wiedergefunden. Leider.

Lara Stoll (lächelt). Ich habe mir huere Mühe gegeben, es war mir wirklich eine Herzensangelegenheit. Ich habe so viel Konzentration und Energie reingepackt.

Du hast in deinen Texten etwas über deine Person hinaus eingefangen: Über unsere verhätschelte Generation mit ihren überrissenen Träumen, die am Alltag scheitern.

Ja, ich finde schon auch. Ich möchte zwar nicht nur in diese Ecke gedrängt werden. Aber es sind Probleme, welche Millennials betreffen.

Gibt es Dinge, welche die Generation der 30- und 40-Jährigen dafür besser kann als andere?

Diese Sensibilität, die viele von uns angelernt haben, kann man sich auch zu Nutzen machen.

So wie du das mit deinen Texten tust. Im stillen Kämmerlein zu sitzen, die einsame Autorenexistenz, ist aber nicht so dein Ding, oder?

Für ein paar Wochen kann ich mir das schon vorstellen. Aber sicher nicht die ganze Zeit. Ich schreibe eigentlich nur, wenn ich muss. Es muss sich anstauen.

Also Gedanken, die aus deinem Alltag heraus kommen.

Ich kann über nichts anderes schreiben. Natürlich sind das unpolitische Luxusprobleme. Wenn ich in einem anderen Land geboren wäre, wo andere Verhältnisse herrschen, sähe das komplett anders aus. Ich kann es irgendwie auch nicht ändern, ich habe den Anspruch, dass ein wahres Erlebnis mich triggern muss. Auch wenn im Buch auch Geschichten drin sind, die sich nicht so abgespielt haben. Wie das mit der Spaghettinudel.

Es geht dabei um eine Stolleske Verwandlung: Die Protagonistin wacht eines Morgens im Körper einer Spaghettinudel auf.

Aber wie ich verstehe, beschäftigst du dich damit, ob du deiner Kunst eine grössere, politische Dimension geben musst.

Ja, ich schäme mich, ich habe Wohlstandsscham. Ich bin ja mittlerweile bekannt, und da reflektiert man, was man mit der eigenen Kunst überhaupt auslösen will. Das, was ich mache, ist ja auch avantgardistisch und experimentell, das braucht es auch in unserer Gesellschaft.

Ich finde sehr anregend und auch nicht apolitisch, was du tust. In deinem Buch frönst du überdies einem ziemlich exzessiven Lifestyle. Millennials in deinem Alter gehen vom Alkohol- und Drogenrausch sonst eher zu Detox und Sauerteigbrot-Backen über.

Es war sicher auch der Lockdown, der die Leute träge gemacht hat. Ich weiss nicht, was nach dem Sauerteigbrot kommt. Es bleibt wahrscheinlich beim Backen …

Du hingegen bist immer noch Vollgas auf Achse?

Ich bin schon noch Vollgas dabei, ja. Weil viele meiner Freunde im Nachtleben tätig sind, mein Freund ist ja der Betreiber der Zuki (Musikproduzent Kalabrese, Club Zukunft). Und weil das Nachtleben für mich eine Entspannung ist. Ich brauche das als Ausgleich, als Belohnung nach meinen Auftritten an den Wochenenden.

Stefanie Sargnagel, Österreichs skandalisierte Autorin und ein Jahr älter als du, setzt sich beispielsweise neu eher mit gemütlichem verfrühtem Greisentum, Medikamentekonsum und Häuslichkeit auseinander. Ist das bei dir kein Thema?

Nein, nein. Dennoch: Ewig kann ich meinen Lebensstil nicht durchziehen. Ich hoffe, dass ich irgendwann von alleine das Bedürfnis habe, zu ruhigen. Tatsächlich sehne ich mich bereits nach Abgeschiedenheit und nach mehr Natur, obwohl ich die Extreme liebe. Ich bin kürzlich auch etwas aus dem Stadtzentrum Zürichs rausgezogen. Vielleicht muss ich dann irgendwann noch mehr aufs Land ziehen.

Nach Rheinklingen, wo du aufgewachsen bist?

Das ist halt ein super schöner Ort, ja. Das könnte ich mir schon vorstellen. Ich würde nicht hundert Prozent dort wohnen wollen, aber vielleicht unter der Woche. Meine Eltern sind halt noch dort und schauen mir dann schon immer über die Schulter, wenn ich zu Besuch bin: Mauusiii, chunsch au go Znacht esse? Mauusiii.

Findet deine Mutter eigentlich witzig, was du tust?

Ich glaube schon. Ich finde sie aber witziger als sie mich.

Musst du dich als Künstlerin irgendwann neu erfinden?

Ich weiss im Fall auch nicht. Da ich immer wieder andere Projekte mache, ist es jedesmal von neuem spannend, zumindest für mich. Und letzten Endes muss es ja mir Freude machen, sonst funktioniert es nicht, ich kann nicht etwas tun, nur weil es den Leuten gefällt. Ich würde gerne eine Fernseh-Serie schreiben oder mal wieder malen. Mir fallen immer tausend neue Projekte ein. Und irgendwann brauche ich dann wieder ein neues Bühnenprogramm, das ist die einzige Konstante in meinem Leben, die mir ein fixes Einkommen sichert.

Wird man als Kabarettistin eigentlich immer ironischer, so dass man irgendwann nichts mehr ernst nehmen kann? So wie manche Journalisten?

Ich hoffe nicht. Die Dinge müssen bei mir einer Wahrheit entspringen. Walt Disney sagte: Für jeden Lacher eine Träne. Und ich finde, das stimmt, man muss die Leute berühren und das schafft man nicht, wenn man immer ironischer wird, es muss ja schon noch Substanz haben. Und sonst sagst du es mir, ja?

Lara Stolls Buch «Hallo» ist bei Echtzeit erschienen und ist im Buchhandel erhältlich.