«Neid muss man sich verdienen»

23. Oktober 2021, Nora Leutert

Sie ist eine der umtriebigsten Gastronominnen der Stadt und eine der wenigen Krisengewinnlerinnen: Karin Stoll spricht über Erfolgsrezepte. Und über Glühwein.

Während alle anderen Wirtinnen und Wirte unter dem Lockdown litten, boomte ihr Geschäft: Karin Stoll, die sich vor drei Jahren mit ihrer BAR N°13 selbstständig machte, hat die Unterstadt zum neuen Ausgangs-Epizentrum Schaffhausens gemacht. Vor zwei Wochen feierte sie ein schäumendes Jubiläum zum 1300. Tag ihrer kleinen Bar. Ihr anderes Lokal hingegen, die THE_KE, die sie nachzog, hat sie gerade verkauft. Der Grund: Sie hat zu viel anderes los.

AZ Karin Stoll, viele Leute träumen davon, eine Bar aufzumachen. Was antwortest du jeweils?

Karin Stoll Ich empfehle, erst mal in eine Bar arbeiten zu gehen. Hier kannst du die Dinge nicht wie im Büro auf den nächsten Tag verschieben. Du musst alles subito und am besten gleichzeitig machen. Es ist ein Fluch in der Gastronomie: Es passiert entweder alles auf ein Mal oder nichts.

War es ein guter Entscheid, dich vor drei Jahren selbstständig zu machen und die BAR N°13 aufzumachen?

Ja, der beste.

Der beste Entscheid deines Lebens?

Definitiv einer meiner besten.

Wieso?

Es macht mich glücklich! Ich bin stolz auf diese kleine Bar. Ich habe das alles hier selbst umgebaut mit meinem Bruder. Die Leute haben uns vom ersten Tag an spüren lassen, dass sie froh sind, dass wir Schaffhausen um diese Bar bereichert haben.

Du musstest nicht um Beachtung kämpfen?

Nein, das hat von Anfang an funktioniert. Ich habe ein super Publikum. Viele Firmen verkehren hier unter anderem, Business-Leute, die ganzen Expats.

Du konntest auch Kundschaft aus dem Güterhof mitnehmen, dem Riesen an der Schifflände, wo du zuvor acht Jahre lang gearbeitet hast, oder?

Ich denke nicht, dass ich die mitgenommen habe. Aber klar, mit der Konzeptanpassung des Güterhofs vom Ausgehlokal hin zu einem Speiserestaurant hat sich einiges verschoben. Und nach 20 Jahren in der Schaffhauser Gastronomie kenne ich einfach viele Leute.

Hast du eigentlich einen handwerklichen Background? Du sagtest, du hättest die Bar hier selbst umgebaut.

Nein, das liegt bei uns in der Familie. Mein Vater hatte einen Landschaftsgartenbaubetrieb in Stühlingen, da mussten wir anpacken.

Vor 20 Jahren bist du nach Schaffhausen gekommen und hast angefangen, im Service zu arbeiten. Was ist das Wichtigste, was du gelernt hast?

Ich habe drei Mentoren in Schaffhausen: Ella Meier, die im Schweizerland in Schleitheim wirtete, Luciano di Fabrizio vom Cuba Club und Verena Prager von der Sommerlust und ehemals dem Güterhof. Ich habe von allen etwas mitgenommen. Was ich das Wichtigste finde: grosszügig sein. Und: Wir duzen jeden in der BAR N°13.

Du hast die BAR N°13 im März 2018 eröffnet und bereits eine Pandemie hinter dir. Und doch boomt dein Geschäft.

Ja. Die Pandemie hat uns dadurch, dass wir so innovativ waren und immer auf die Situationen eingingen, absolut nicht geschadet.

Bist du im Gegenteil sogar eine der wenigen Coronagewinnlerinnen der Gastronomie?

Wahrscheinlich schon.

Ihr wart im Januar, Februar, März die einzige Bar, die offen hatte und Aussenbetrieb machte.

Davon haben wir profitiert. Und die Leute waren uns dankbar. Wir hatten auch viele ältere Gäste, die alleine vorbeigekommen sind. Einfach um hier mal einen Schwatz halten zu können.

Also auch Leute ausserhalb eurer Stammkundschaft?

Ja. Wir haben viel neue Stammkundschaft generiert während der Krise.

Das schürt Neid.

Neid muss man sich verdienen, das ist so. Ich für meinen Teil finde: Es gibt keine Konkurrenz. Konkurrenz bereichert und fordert dich. Ich sehe niemanden als Gegner, wirklich niemanden. Im Gegenteil, ich finde es cool, wenn neue Lokale entstehen. Das belebt und zieht noch mehr Leute in die Stadt.

Viele andere Beizer haben während der Krise Alarm geschlagen. Du hast dich nie beklagt.

Nie.

Hattest du nicht das Gefühl, die Gastro-Branche müsse zusammenstehen und Hilfe einfordern?

Nein, wir haben es einfach positiv gesehen und das Beste daraus gemacht. Ich muss ehrlich sagen, es war auch eine Challenge: Ich bin zwar erst drei Jahre hier, aber verfiel dennoch in einen gewissen Trott. Und plötzlich war alles auf den Kopf gestellt. Ich fand es richtig spannend, alles umzudenken. Es gibt keine Probleme, es gibt nur Lösungen für mich.

Wie lernt man das?

Nach zehn Jahren Güterhof kannst du das (lacht). Da bewältigst du die ganze Zeit Probleme.

War der Güterhof ein hartes Pflaster?

Das war hart, ja. Ich sage heute noch: Wer den Güterhof überlebt hat, der überlebt alles.

Weil das riesige Lokal unter der Familie Prager 2008 dermassen gut angelaufen ist?

Ja, man hatte nie mit diesem Riesenboom gerechnet. Die Infrastruktur war schwierig, du hattest krasse Laufwege, das konntest du gar nicht bewältigen. Es gab 50 Mitarbeitende, du hast immer mit neuen Aushilfen gearbeitet. Der Betrieb öffnete morgens um acht. Und teilweise waren wir morgens um sechs, sieben Uhr noch da und haben von der Party am Vorabend geputzt. Es war fast ein 24-Stunden-Betrieb, und das in Schaffhausen. Das war schon eine extreme Challenge.

Hätte man das anders machen sollen?

Schwer zu sagen. Wir hatten am Wochenende einen Durchlauf von 3000 bis 4000 Leuten. Und klar, du hattest Speiseservice, Barbetrieb, Party und Sushi, das sind so viele Konzepte in einem. Wir hatten uns sieben Jahre lang gesteigert, bis der Betrieb schliesslich etwas stagnierte und verkauft wurde.

Heute ist der Güterhof nicht mehr das Zentrum von einst.

Nein. Das ist schade, der Güterhof war ein toller Anlaufpunkt für alle Mittdreissiger und Ü40er, die ausgehen und tanzen wollen. Das fehlt jetzt etwas in Schaffhausen, du hast nichts für Leute ab 40.

Du hast aber profitiert von dieser Lücke.

Nur kann man hier nicht tanzen, wir sind nur eine Bar.

Deine Kundschaft sind U- und Ü40er, gehobene Mittelklasse, politische Mitte.

Seit Corona verkehren auch jüngere Leute bei uns. Das Publikum ist schön durchmischt, aber eher etwas älter, ja.

Was wollen diese Leute? Was für eine Art von Ausgang?

Das unkomplizierte Anstossen ist ihnen wichtig. Wir Mädels, die immer in der Bar arbeiten, wir sind alle Ü40. Meine Mitarbeitenden kennen 90 Prozent der Gäste beim Namen, es ist sehr persönlich.

Das hier ist keine Szenebar, keine Rockbar oder Ähnliches. Sondern – nicht beleidigend gemeint – kommerzieller Mainstream.

Es ist einfach eine solide Apéro-Bar mit viel Liebe zum Detail. Etwas Herbstdeko, Halloween-Deko, Winterzauber. So was mögen die Leute.

Was ist dein grösstes Erfolgsgeheimnis?

Es fühlen sich wirklich alle wohl hier. Ausser «Schafseckel», die fühlen sich nicht wohl.

Was für welche?

Solche, die meinen, sie müssen uns erzählen, wie der Job geht, und frech und respektlos sind. Die schicke ich auch raus. Wir haben wenige hier, im Vergleich zu anderen Läden. Aber wenn einer meint, wir könnten nicht auf den Umsatz verzichten und er müsse dem Servicepersonal an den Arsch langen, dann gibt es keine Diskussion. Wichtig für den Erfolg ist auch, dass du einen guten Arbeitsplatz schaffst für deine Mitarbeitenden. So dass sie loyal sind und gerne zur Arbeit kommen. Das ist mein Credo, deshalb bin ich grundsätzlich vor dem Team da und bis zum Schluss, ich putze die Klos, ich entsorge Altglas. Ich bin mir für nichts zu schade, ich bin präsent und arbeite mit. Das ist auch ein Grund, wieso ich die THE_KE verkauft habe.

Du hast das Foodlokal The_Ke vor zweieinhalb Jahren ein paar Häuser nebenan gegründet. Jetzt hast du es schon wieder verkauft.

Ich habe den Laden mit einer Geschäftspartnerin gebaut, die ihn führen sollte, selbst wollte ich eigentlich dort nicht vor Ort sein. Mit ihr hat es nicht geklappt, also musste ich dort selbst wieder die Leitung übernehmen. Während der Krise habe ich Vollgas gegeben mit beiden Läden und sie auf ein gutes Level gebracht. Aber ich habe gemerkt, dass ich selber das Potenzial der THE_KE nicht ausschöpfen kann. Es gibt so viele andere Konzepte, die ich gerne umsetzen will. Ich würde gerne noch hunderte Läden bauen, aber nicht selber drin stehen.

Du siehst dich mehr als Gastrokonzept-Entwicklerin.

Leuten in die Selbstständigkeit zu helfen, das ist mein Ding, ja. Wenn ich in einer anderen Bar sitze, kann ich nicht anders, als im Kopf alles zu optimieren, was die da machen und wie die arbeiten.

Was könnte das sein?

Hm, ich war gerade in den Ferien. Ganz banal: ein Smoothie-Früchte-Stand in Kroatien am Strand, wo du ewig auf dein Getränk warten musst. Da denke ich mir: Wenn ihr die Bar auch nur ein klein wenig umbauen oder die Mise-en-Place besser vorbereiten würdet, ihr wärt so viel schneller und speditiver.

Was ist das A und O der Effizienz?

Ganz klar: Nie leer laufen, das ist der Klassiker. Wenn du was bringst, dann nimm etwas mit.

Du bist extrem umtriebig und hast zusammen mit anderen während der Krise einen Glühweinkurier ins Leben gerufen, ein Bier und einen Likör kreiert. Im November startest du das Glühweinschiff an der Schifflände. Was ist besser: alles dreimal überlegen oder nicht zu lange?

Seit ein paar Jahren fackle ich nicht mehr lange und entscheide schnell. Aber ich bin natürlich auch gut im Improvisieren, das ist wichtig.

Die andern Schaffhauser Gastro-Unternehmer, die sich einen Namen machen und gross ausbreiten, sind meist Männer.

Definitiv. Frauen sind, sobald sie Familie haben, einfach immer noch stark eingebunden. Ich bin Single, ich habe kein Kind, das macht einen Unterschied.

Hast du eigentlich keine Angst vor dem Ellböglen? Als du damals ins Glühweinbusiness eingestiegen bist, hat das auch schon für böses Blut gesorgt bei anderen Platzhirschen.

Das macht mir nichts aus, null, nada, niente. Und grundsätzlich verstehen wir Gastronomen in Schaffhausen uns gut.

Hat sich das nicht geändert während der Krise?

Während Corona hatten wir sogar einen Gastro-Chat, wo sich alle austauschten. Grundsätzlich würde ich sagen, ist der Zusammenhalt nicht schlecht in Schaffhausen. Ich finde es cool, konnte der Cuba Club die Strasse sperren für seine Street Music Nights und dass etwa hier an der Schifflände die Pop-Up-Rhykantine bewilligt wurde. Es sollten viel mehr solche Dinge passieren, die Stadt könnte gerne noch mehr bewilligen.

Denkst du, die Krise hat die Tür geöffnet für eine etwas grosszügigere Ausgangspolitik?

Ja, ich glaube, das ist eine Chance. Ich fand gerade die Vergrösserung der Boulevard-Felder extrem toll. Das kann doch bleiben, es hat niemanden gestört.

Ist Schaffhausen durch die Not zur Improvisation etwas weniger büenzlig geworden?

Es wäre schön. Ich bin gespannt, wenn nächsten Frühling die Bewilligungen ausgeteilt werden. Und ob die Stadtpolizei in Zukunft wieder mit dem Messstab durchlaufen und die Boulevardfelder genau überprüfen muss. Denn diesen und letzten Sommer war das alles egal. Was aber im Moment schwierig ist: Die Stadtbewohner haben während dem Lockdown extreme Ruhe genossen. Das ist jetzt, wo die Stadt sich wieder zu beleben beginnt, etwas problematisch. Die Leute sind empfindlicher geworden und das merken wir.

«Die Leute sind seit dem Ende des Lockdowns viel exzessiver unterwegs.»

Karin Stoll

Gibt es mehr Reklamationen?

Definitiv.

Aber die Menschen schlagen ja auch tatsächlich viel mehr über die Stränge im Moment. Ich habe das Gefühl, alle sind gerade so blau wie sonst nie.

Absolut, die Leute sind viel exzessiver unterwegs. Jetzt langsam pendelt es sich aber wieder ein. Aber gleich nach der Beizenöffnung dachte ich abends um acht jeweils, wir hätten schon morgens um zwei. Was da alles über den Tresen ging, gleich zehn Mojitos und vier Gintonics auf einmal und Shots, Shots, Shots. Als gäbs kein Morgen, wirklich verrückt.

Verlagert sich jetzt, wenn das Glühweinschiff an der Schifflände anlegt, das neue Bermuda-Dreieck in die Unterstadt? Zusammen mit der BAR N°13 und Meiers Pool?

Mal schauen (lacht).

Glühweinschiff: So was lieben die Leute.

Letzten Winter haben sich alle daran gewöhnt, draussen zu stehen, daran muss man anknüpfen. Man muss nutzen, dass die Leute es entdeckt haben, dass man sich auch warm anziehen und draussen trinken kann. Genau das war doch so magisch letzten Winter.

Wie lange trendet denn dieser Glühwein noch? Nimmt das jemals ein Ende?

Gell, letztes Jahr war schon verrückt. Wir haben im Oktober angefangen, Glühwein zu kochen, und haben bis im Mai ausgeschenkt. Die Leute spinnen auf Glühwein.

Danke für das Gespräch, Karin Stoll.