Die Verkehrsbetriebe Schaffhausen erfinden sich neu – und kommen aus der Kritik nicht heraus. Warum dieser Lärm?
Es rumort um die Verkehrsbetriebe Schaffhausen (VBSH). Die Umwälzungen rund um die Busbetriebe – der Einsatz von Elektrobussen, der Depot-Auf- respektive -Abbau – verlaufen nicht ohne Gegenwehr. Davon zeugt ein inzwischen mächtig angewachsenes Dossier an Leserbriefen und Artikeln in den lokalen Medien: Ärger bei aktuellen und ehemaligen Kaderleuten wie Martin Gugolz und Marcel Gfeller wie auch bei einigen Politikern.
Hört man den Männern zu, wundert man sich, dass in Schaffhausen überhaupt noch Busse fahren: So viele Fehlentscheide kann ein städtischer Betrieb eigentlich kaum verschmerzen.
Die E-Busse, welche auf der «Experimentierlinie 3» zum Einsatz kommen, seien störungsanfällig, sie würden der Winterkälte nicht standhalten können, und im Sommer seien ihre Klimaanlagen zu schwach. Die Holzsitze seien rutschig, das Sichtfeld der Chauffeurinnen und Chauffeure sei eingeschränkt, besonders jener mit Brillen. Kritisiert wurde auch die Modellwahl: Wofür brauche Schaffhausen die futuristische Variante, wenn man (laut Berechnungen in den SN) mit einem bescheideneren Modell um die 1,5 Millionen Franken sparen könnte? Geht es den VBSH, oder eher: Geht es Stadtrat Daniel Preisig, der zum Gesicht der Innovation der Busbetriebe geworden ist, so sehr ums Prestige? «Braucht Schaffhausen ein solches Leuchtturmprojekt?»
Die Wahl der E-Busse ist aus Sicht der Kritiker nicht der einzige Fehlentscheid der Verkehrsbetriebe. Auch die Auflösung des Schlaatemer Busdepots zugunsten von jenem auf dem Ebnat stösst vielen sauer auf (siehe AZ vom 2. September 2021): Der Entscheid führe zu ökonomisch wie ökologisch teuren Leerfahrten vom Ebnat in die Aussengemeinden; der Arbeitsweg für die Chauffeure auf dem Land werde bis zu einer Stunde länger; und somit werde der personelle Aufwand – und damit die Kosten – steigen. Und apropos Kosten: Kostet die Sanierung des Depots in Schleitheim wirklich 5,8 Millionen Franken, wie die politischen Entscheidungsträger prognostizierten, oder hat man diese Zahl nach oben getrieben, um den Ebnat-Ausbau für 7,8 Millionen Franken zu legitimieren?
Die Kosten standen auch im Fokus des Grossen Stadtrats, als der Geschäftsbericht 2020 der VBSH diskutiert wurde. Angesichts der Folgen der Pandemie, der um 1 Million Franken angestiegenen Personalkosten und der Höhe der Darlehen stellte Walter Hotz (SVP) die Frage, ob letztere überhaupt je zurückgezahlt werden können.
Und dann ist da, zu guter Letzt, die Trennung von der Neuhauser Subunternehmerin Rattin AG. Vor den Abstimmungen 2018 über den Zusammenschluss der städtischen Busbetriebe und dem Regionalbusunternehmen RVSH AG hatte man betont, dass die Zusammenarbeit mit der privaten Rattin weitergeführt werde – und jetzt wird sie geschasst. Geschäftsführer Erich Schlatter sagte in den SN, er habe sich höhere Entschädigung für die ausgeführten Leistungen sowie eine längere Vertragsdauer gewünscht. Die Verträge zwischen Rattin und der VBSH seien jeweils nur auf ein Jahr befristet gewesen – zu wenig Planungssicherheit für den Unternehmer. Damit habe die VBSH die Bürgerlichen verärgert, sagt ein Kenner.
Muss man den Kritikern recht geben? Oder doch für die Verkehrsbetriebe eine Lanze brechen?
Markanter Kurswechsel
Man kann diese Geschichte auf zwei Arten erzählen. In der einen sind die VBSH visionär und führen Schaffhausen in die technologische Zukunft des öffentlichen Verkehrs: ökologisch, leise, progressiv eben. In der anderen sind sie grössenwahnsinnig, beinahe manisch – und die Umsetzung ihrer Visionen ist zum Scheitern verurteilt.
Hört man sich im Umfeld der VBSH um, vollzog der Betrieb in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten Kurswechsel. Der Vorgänger von CEO Bruno Schwager, Walter Herrmann, habe seinerzeit jeden Fünfer zweimal umgedreht. Das Motto des Ökonomen: 50 Prozent der Ausgaben müsse der Betrieb selber erwirtschaften, die anderen 50 Prozent kämen von der Stadt. Der Betrieb war stabil, aber bescheiden: Grössere Investitionen seien unter Herrmann nicht denkbar gewesen.
Dann, im Sommer 2014, liess Herrmann sich frühzeitig pensionieren. Bruno Schwager kam – und mit ihm der Wandel. Die VBSH wurde projektgetrieben. «Es ist eindrücklich, was in den letzten Jahren alles passiert ist», sagt Stadtrat Daniel Preisig, und er hat recht: die Umstellung auf E-Busse, die Zusammenführung mit der RVSH AG, der Um- und Ausbau im Ebnat, die neue Buslinie in Herblingen, die Verlängerung der Linie 5, und auf den nächsten Fahrplanwechsel kommt das neue Angebot für die Linien 5, 6 und 7.
Der neue Stil in der Unternehmensführung zog weitere personelle Wechsel nach sich. In den vergangenen Jahren verliessen zahlreiche Kadermitglieder die VBSH; Ende 2017 gingen sechs Mitarbeiter – darunter vier Führungspersonen, Betriebsleiter Martin Gugolz und Finanzchef Marcel Gfeller inbegriffen. Und 2018 kündigten drei Personen aus der Finanzabteilung (AZ vom 20. September 2018). Dass in diesem Zug die Geschäftsführung aufgeblasen worden sei – ein Punkt, den hinter den Kulissen viele monieren –, dementiert Preisig jedoch. Die Geschäftsführung sei gleich gross geblieben. Und doch fällt auf, dass im Organigramm 2020 total 14 Personen mehr aufgelistet sind als im Jahr 2016 – ein Zuwachs um 60 Prozent, vor allem auf den Ebenen Geschäftsführung und Technik.
Mit all diesen Veränderungen läuten bei einstigen Kadermitgliedern, die den Betrieb nicht ganz freiwillig verlassen haben, die Alarmglocken. Das überrascht nicht, gerade angesichts dessen, dass die VBSH für die E-Busse allein ein Darlehen von 58 Millionen Franken erhalten. Die Bescheidenheit von früher ist weg. Doch als verklärter Nostalgiker will der einstige Betriebschef Martin Gugolz nicht wirken. «Die Frage ist», klärt er, «was für eine Aufgabe die VBSH haben. Sind sie ein Innovationsmotor oder ein Personentransportunternehmen?» Nebst technischer Kritikpunkte störe ihn auch die Selbstverliebtheit der Geschäftsführung und die schlechte Kommunikation von Fehlern und Schwachstellen. «Wir von der alten Garde waren uns gewohnt, Aufgaben ohne viel Aufhebens zu lösen. Bei jedem auszugebenden Franken fragten wir uns nach dessen Nutzen – für die Kunden oder die Mitarbeitenden. So konnten wir der neuen Geschäftsführung einen gesunden Betrieb übergeben.»
Ein weiterer Kritiker ist SVP-Kantonsrat Pentti Aellig, der in SN-Kolumnen sowie auf Twitter mehrfach gegen die «spanischen Batteriebusse» angeschrieben und VBSH-Geschäftsführer Bruno Schwager öfters zum Gespräch aufgefordert hat. Beobachter sagen, im Hintergrund von Aelligs Engagement stehe nicht nur, dass er kein grosser Befürworter der Elektromobilität sei. Sondern auch persönliche Uneinigkeiten zwischen ihm und Preisig – zurückzuführen auf die Regierungsratswahlen, in denen Preisig gegen Aellig lobbyierte und schliesslich Cornelia Stamm Hurter gewählt wurde.
Aellig streitet dies auf Nachfrage ab: Der Vorwurf sei alt, darum gehe es ihm nicht. «Die Kritik an den VBSH ist nicht parteiabhängig. Ich halte die E-Busse für ein spannendes Projekt, die Antriebstechnologie hat Zukunft. Aber mir macht Sorgen, dass sie zum neuen Schaffhauser Pionierdebakel werden könnten.» Aellig geht es, so sagt er, ums Risiko für die Steuerzahlerinnen und -zahler. Als Dörflinger Gemeindepräsident habe ihn auch die Stadt-Land-Thematik auf den Plan gerufen: «Ich habe mich lange rausgehalten. Aber plötzlich kam das Depot Schleitheim ins Spiel, und langfristig sollen die E-Busse auch im Regionalverkehr eingesetzt werden.»
Schaffhauser Misstrauen
Unabhängig der Hintergründe der Kritiker dürfte das Unbehagen gegenüber den Innovationen aus dem Hause VBSH noch ein paar andere Gründe haben.
Schaffhausen hat eine nicht ganz einfache Historie, was innovative Grossprojekte anbelangt: Da hat man einem Tüftler eine Million Franken gegeben, der ein neuartiges Windrad bauen und damit «die Grenzen der Physik überwinden» wollte (siehe zum Beispiel AZ vom 31. Mai 2018 oder 25. Juni 2015). Man hat einen weiteren Tüftler mit dem Einbau eines neuartigen Müllverarbeitungsverfahren in die Kehrichtverbrennungsanlage KBA Hard beauftragt. Dutzende Millionen wurden ausgegeben – und beides hat nicht funktioniert. Und das aktuellste Beispiel für eine Innovation, die nach hinten losging: die neuartige Website des Kantons, das «Google der Behörden».
Auch auf Ebene des öffentlichen Verkehrs ging manche Neuerung ins Auge – etwa bei den SBB. In den 90er-Jahren noch haben sie nach Auftrag des Bundes produziert. Dann kam der neue SBB-Chef Andreas Meyer, der sich als Visionär präsentierte und sich daran machte, die SBB zu modernisieren. Schliesslich aber dominierten vor allem Meldungen von Pannenzügen und fehlenden Lokführern die Berichterstattung. Sein Nachfolger, Vincent Ducrot, stoppte die Digitalisierungsprojekte und will den Fokus wieder «auf die Bahn» lenken.
Und nicht zuletzt floppte auch erst vor Kurzem ein ÖV-Projekt im Mikrokosmos Schaffhausen: der selbstfahrende Bus in Neuhausen. Zwar hiess es im letzten Sommer, der Bus solle bald wieder fahren, gehört hat man vom Projekt seither aber nichts mehr.
Somit erstaunt nicht, dass die Innovation Elektrobus in der Region mit Argusaugen betrachtet wird. Die Abstimmung zur Einführung der Busse fiel mit 54 Prozent Ja-Stimmen denn auch nicht allzu deutlich aus – trotz gewaltiger Werbekampagne und keiner einzigen Partei in der Opposition.
Viele warten nun auf ein Signal vom Grossen Stadtrat. Dieser wird nach den Herbstferien über die Darlehens- und Baurechtsvergabe für die neue Einstellhalle Ebnatring befinden. Ob er dem Lärm um die VBSH Gehör schenkt oder nicht – und damit: Ob die Busbetriebe so weiterwachsen können, wie sie wollen – wird sich zeigen.