Wir sind Olma

14. Oktober 2021, Marlon Rusch
Der Schaffhauser Regierungsrat Dino Tamagni hält an der Eröffnungsfeier eine staatstragende Rede. Foto: Michael Huwiler (foto-huwi.ch)

Schaffhausen ist Gastkanton an ­­der ­grössten Publikumsmesse des Landes. Doch macht der Auftritt wirklich «Bock auf Schaffhausen»? Auf Tour mit lokalen Würdenträgern in St. Gallen.

Die Abfahrt verzögert sich. Martina Munz fehlt. Die SP-Nationalrätin dachte, sie hätte sich für den Samstag angemeldet, für den «Tag des Gastkantons». Heute ist Donnerstag, Eröffnungstag der 78. Messe für Landwirtschaft und Ernährung (das Akronym Olma steht für den alten Namen «Ostschweizerische Land- und Milchwirtschaftliche Ausstellung»).

Auch die AZ wurde eingeladen, als «Ehrengast», aus unerfindlichen Gründen. Abchillen mit der Schaffhauser Prominenz, Wursträdli und Cüpli im Tonhalle-Foyer schon vor dem Mittag­essen, Alphorn, Beatbox, «Tanz und Emotion». Dazu die Hoffnung, einen (vom Säuli) angepissten Bundespräsidenten Guy Parmelin zu erleben – das lassen wir uns natürlich nicht entgehen.

Und nachdem Martina Munz am Telefon versichert, dass sie gar nicht mitfahren will, setzt sich der Car um 8.20 Uhr hinter dem Bahnhof in Bewegung. Beinfreiheit: gross. Softgetränke à 2.50 Franken. «Endlich wieder Olma!» (der offizielle Slogan).

Im Car fahren mit: Regierungsrätinnen, Staatsschreiber, Wirtschaftsförderer. Ständerat Hannes Germann ist ebenso an Bord wie Kantonsratspräsident Josef Würms und Meier + Cie-CEO Beat Rechsteiner.

Rechsteiner zu Volkswirtschaftsdirektor Dino Tamagni: «Na, schon nervös vor der Rede? Den Parmelin stellst du doch locker in den Schatten.» Rechsteiner sollte nicht ganz recht behalten.

Die stündige Fahrt nach St. Gallen nutzen wir für Recherche. Schaffhausen ist bereits zum fünften Mal Gastkanton. 1,15 Millionen Franken wollen wir uns den Auftritt dieses Mal kosten lassen (plus unbezifferte Arbeitsleistung der kantonalen Verwaltung). 2019 hat die AZ öffentlich gemacht, dass sich keine einzige Werbeagentur für den Auftrag beworben hat, den Schaffhauser ­Olma-Auftritt zu inszenieren. Schliesslich musste die Verwaltung selber in die Hosen steigen, ausserdem seien ­«einige Privatpersonen» mit Teilprojekten betraut worden. (Kleiner Spoiler: Wir werden an diesem Tag die Mutter des Slogans «Bock auf Schaffhausen» finden.)

Drei Themenschwerpunkte soll es in der Schaffhauser Ausstellung in Halle 9.1.2 geben: Zukunft («Wo Innovation zur Inspiration für Mensch und Region wird»), Erleben («Wo das Leben von Kreativität und Schönheit geprägt ist») und Genuss («Wo der Gaumen auf kulinarische Entdeckungstour geht»). Das klingt erstmal prima. Ein QR-Code im Messeprogramm lotst zu einem Wettbewerb. Wir schaffen es gerade noch, uns für VIP-Plätze am Säulirennen zu bewerben. Dann sind wir auch schon da.

Vor der Tonhalle stehen Männer in Anzügen und Flaggenpins am Revers, noch mehr Männer in Uniformen und Weibel im farbigen Ornat. Die Stadtmusik St. Gallen spielt den Bundesrat-Gnägi-Marsch. Es nieselt, doch die Stimmung ist aufgeräumt.

Die Tonhalle ist ein Prunkbau des Jugendstils mit stilistischen Attributen des Barock. Heute wird hier der bäuerlichen Schweiz gehuldigt. Das ist sie wohl, die manifeste Macht der Landwirtschafts-Lobby.

Die Olma-Geschäftsleiterin Christine Bolt tritt ans Rednerpult und erzählt, wer sich im März als allererstes für den diesjährigen Eröffnungsanlass angemeldet habe: Bundesrat Guy Parmelin höchstpersönlich. Dieser wird später sagen, ­Olma-Auftritte seien im Bundesrat sehr beliebt. Es werden wichtige Menschen begrüsst: Bundesverwaltungsgerichtspräsidentin Ryter etwa oder Divisionär Brülisauer. «Feiern Sie zusammen, dass wir wieder feiern können!», sagt Frau Bolt. «Wir haben sehr Bock!»

«Subversives» aus Schaffhausen
Damit beginnt der schwarz-gelbe Reigen: Das Duo Lisa Stoll (Alphorn und Ukulele) und Kornelia Bruggmann (Gesang und Kontrabass) inszeniert Urchiges aus der Schaffhauser Geschichte. Walter Millns hat Regie geführt, Thomas Silvestri die Musik geschrieben – ein kleines Schaffhauser Best-of. Der kantonale Kulturverantwortliche Roland Hofer wird später sagen, man habe etwas «Subversives» bieten wollen, Wirtschaftsförderer Christoph Schärrer meint, genau so müsse sich Schaffhausen präsentieren: «frech nach vorn». Allzu weit neben den Mainstream haben die Verantwortlichen zwar nicht gegriffen, aber zusammen mit der anmutigen Aufführung der Ballettschule Looser und einem (leider etwas uninspirierten) «Olma-Bratwurst»-Loop-Track des Beatboxers Camero entstand tatsächlich eine ziemlich runde Geschichte. Das Schaufenster: zur Zufriedenheit der Standortförderung genutzt.

Kornelia Bruggmann und Lisa Stoll Der Schaffhauser Regierungsrat Foto: Michael Huwiler (foto-huwi.ch)

Dazwischen beweist Regierungsrat Tamagni wahre Landesvaterqualitäten. Er referiert über die Standhaftigkeit des Bocks, über das Überwinden von Widerständen, über Pioniergeist, Aromat und Weisswein, der gelb leuchtet wie die Sonne im Rhein. Mit fester Stimme und grossem Ernst.

Der echte Ernst, Alt-Regierungsrat Ernst Landolt (wie ­Tamagni SVP), der den Gastkanton Schaffhausen eigentlich vertreten hätte, wenn die Olma 2020 nicht von der Pandemie verunmöglicht und um ein Jahr verschoben worden wäre, wird später sagen, Tamagnis Rede sei «okay» gewesen. Er selber hätte wohl versucht, «ein bisschen mehr Humor» hineinzubringen. Es hätte dem Image des kleinen Paradieses wohl nicht geschadet, das beweist gleich darauf der Bundesrat.

Guy Parmelin hat sein Publikum spielend im Griff. Spätestens als er sagt, das Treffen mit Putin und Biden in Genf sei einfacher gewesen als das heutige Treffen mit dem Olma-Säuli. In Genf habe er sich minutiös vorbereiten können. In St. Gallen sei unklar: Wird er zum Säuliflüsterer – oder wird er angepinkelt? Parmelin stiehlt Tamagni die Show.

Bundesrat Guy Parmelins wichtigster Termin. Foto: Michael Huwiler (foto-huwi.ch)

Doch für die paar Hundert Würdenträger in der Tonhalle haben wir die 1,15 Millionen Franken einewäg nicht ausgegeben. Die Imagekampagne «Bock auf Schaffhausen» ist fürs Volk gedacht. Also hinein in die Massen.

«Eindrucksvolle Landschaften und Melkroboter»
Auf der Ochsentour durch die Messehallen ist der Bundesrat der grosse Zampano: Parmelin mit Kochschürze, Parmelin schält Mais, Parmelin trinkt ein Glas Wein, der gelernte Bauer Parmelin auf dem Traktor-Simulator (nach dem Wein; prompt legt er statt zu parkieren den Rückwärtsgang ein). Um ihn herum eine Traube Kameraleute. Als ein Würdenträger in der zweiten Reihe Frau Parmelin erspäht, wird er unruhig: «Gehen Sie nach vorn!» – Frau Parmelin: «Wieso? Ich kenn ihn doch schon.»

Auch bei den Schaffhausern: höfliche Zurückhaltung. Apfelbauer und Kantonsratspräsident Josef Würms versichert, er habe sein Amt nicht missbraucht, um eigene Äpfel an der Olma auszustellen. Sowas gehöre sich nicht, «man trägt ja auch nicht fremden Wein nach Hallau!» Recht hat er.

Als der Tross vor der Schaffhauser Halle hält, sagt Tamagni zu Parmelin: «Jetzt betrittst du Schaffhauser Boden.»

Dort aber wartet bereits Ernst Landolt und nimmt den Bundespräsidenten in Empfang. Alles ist gelb hier, der ehemalige Thaynger Gemeindepräsident und heutige Geschäftsführer der GVS-Weinkellerei, Philippe Brühlmann, schenkt Wein aus, die Rhyality-Installation von «Impresario» Beat Toniolo ist da, ebenso die Schaffhauser Miniaturwelt Smilestones. Dazu 3D-Brillen und weitere Digitalisierungsperlen. Die Presse zeigt sich angetan: «Eindrucksvolle Landschaften und Melk­roboter», titelte etwa das Tagblatt.

Die Würdenträger tafeln wenig später im Bankettsaal. Es gibt Riesling-Sylvaner-Suppe mit Emmer-Brotzwirbel und später Grossmutters Ofenbraten vom Schaffhauser Säuli, dazu Weine aus dem Blauburgunderland.

Virginia Stoll, Wilchinger Gemeindepräsidentin, Geschäftsleiterin des Bauernverbandes und Mutter von Alphorn-Virtuosin Lisa Stoll, erzählt, wie sie irgendwann gemerkt habe, dass der Regierungsrat diesen Olma-Auftritt nicht so recht auf dem Schirm habe und wie sie dann selber zu recherchieren begonnen, einen Slogan entworfen, einen Umzug skizziert und dann Ernst Lan­dolt angerufen habe. Schliesslich habe der Kanton die Kampagne präsentiert: «Und als Slogan nehmen wir den Bock!»

Auf den Schnaps zur Traubencrème verzichten wir, das Säuli­rennen steht an. In der Arena referiert bereits ein Mann über die Rennsaison 2021: «Öseri Athletinne sönd wahnsennig glade!» Ein anderer erklärt, man habe dieses Jahr Mühe gehabt, genügend junge Helferinnen für die Olma zu finden, die geimpft seien.

Wir haben Mühe, den Wettstand zu finden, gern hätten wir auf Gloria gesetzt, die Schaffhauser Botschafterin. «2021 weet ä heissi, heissi, heissi Olma!» ruft der Mann. «Do lömmes richtig schnattere!» Doch für Gloria waren die zwei Monate im Trainingslager offenbar zu wenig. Den Lauf gewinnt die «heisse Heidi» von Sponsor Asga Pensionskasse. Wir sind froh, haben wir keinen Platz im VIP-Zelt gewonnen (eine Plexiglashalbkugel mit unbequemen Stühlen).

Die heisse Heidi überwindet eine Hürde. Foto: Michael Huwiler (foto-huwi.ch)

Hat das jetzt Bock gemacht auf Schaffhausen? Wir sind jedenfalls froh, sitzen wir wenig später wieder im Car, Beinfreiheit noch immer gross, und zischen ab Richtung Haamet.