Wie und wo findet man den Zugang zu Roman Signers Skulptur? Versuch einer Begehung.
Nur ein kleiner Türspalt steht offen, durch den das Licht einfällt. Ich sitze in Roman Signers Kunstwerk und klopfe an die Stahlwand, dumpfe Schauer breiten sich aus und umgeben mich grollend. Endlich, ich bin drin. Nur ich, sonst niemand.
Was ist ein Haus, wenn es keine Herberge ist?, flüstere ich. Ja, ich flüstere es, und als ob das nicht schon genug blödsinnig wäre, steigt im Halbdunkel eine Frage auf: Zeigt sich hier in diesem neuen öffentlichen Kunstwerk, in diesem Doppelhaus aus Stahl, wie Schaffhausen tickt?
Die Freude am Experiment
Als der Künstler Roman Signer 1989 von seinem Geburtsort Appenzell aus entlang der Bahnlinie bis nach St. Gallen über einen Monat hinweg eine Zündschnur abbrennen liess, bezeichnete ihn ein Bauer als geisteskrank und drohte, ihn mit seinem Karabiner umzunieten. Doch das war nichts Neues für Roman Signer. Schon wenige Jahre zuvor, der Künstler erlangte gerade grössere Bekanntheit, hatte sein eigentlich äusserst harmloser «Wasserturm» im St. Galler Grabenpärkli Unverständnis und Protest auf sich gezogen: Es war zu anonymen nächtlichen Telefonanrufen, Unterschriftensammlungen und fast sogar zu einem Fackelumzug zu Signers Atelier gekommen.
Irgendetwas an diesem Künstler provoziert die Leute fürchterlich. Dabei sind seine Aktionen unschuldig, kindlich fast. Das ist es vielleicht: dass sich ein erwachsener Mann in vollem Ernst solchen Spielereien hingibt. Lange wurde er als närrischer Spreng- und Knallmeister der Nation belächelt und angefeindet. Doch Roman Signer blieb unbeirrt. Das macht ihn und seine Kunst zum Faszinosum von entlarvender Kraft. Während sich all seine Kritiker an ihm abrackerten – auch wir werden uns hier und jetzt an ihm abrackern –, wurde Signer zu einem der wichtigsten und teuersten Künstler der Schweiz, seit Jahren listet ihn die Bilanz unter den Top Drei.
Und nun hat Roman Signer ein Kunstwerk in der Schaffhauser Münstersenke platziert. Der Auftrag kam vom Schaffhauser Kunstverein, der das Werk zur Feier seines 175-jährigen Bestehens als Leihgabe an die Stadt übergab.
Das viereinhalb Meter hohe Stahlwerk trägt den Namen «Verdoppelung». Der Künstler liess sich dabei von einem seiner früheren «Ereignisse» inspirieren: Vor 30 Jahren zündete er in seiner Appenzeller Heimat zwei Raketen am Dachgiebel eines Schopfes, so dass ihre Schweife sich kreuzten. Dieses Bild war quasi Initialzündung für das Schaffhauser Werk: ein Dach, das kopfüber auf einem anderen steht, ein Haus, das sich im Himmel spiegelt. Oben mit einem offenen Tor, unten mit einer verschliessbaren Tür. Dahinter könnte alles passieren. Es ist ein verspieltes, dynamisches Werk. Etwas anderes hätte man von Signer nicht erwartet.
«Als Kind hätte ich auch Freude daran gehabt, da wäre ich sofort rein», sagte er gegenüber der AZ an der Vernissage in Schaffhausen im Kürzestinterview, lachte in sich hinein und fragte freundlich, ob das so reiche.
Das sind die Spuren, die wir von diesem Mann haben. Ich frage mich: Wie wird das Kunstwerk in Schaffhausen aufgenommen? Was macht es mit den Leuten und was machen die Leute mit ihm? Im Schlosspark Andelfingen sollte diesen Sommer ebenfalls eine Installation von Signer aufgestellt werden. Doch schon im Vorlauf kam es zu einer Provinzposse: Eine anonyme Täterschaft bildete das Werk nach und versah es mit einem billigen Preisschild. Während des Aufbauprozesses wurde es auch noch sabotiert: Der Handschuh, der als Teil der Installation im dortigen Bach wippte, wurde durch einen Gummistiefel ersetzt.
In Schaffhausen ist bis anhin kein Protest hörbar. Vandalismus, Interventionen am Werk oder zumindest Leserbriefe wären zu erwarten gewesen, sind bis jetzt aber nicht eingetroffen. Lässt das Werk die Leute kalt? Prallen ihre Gefühlswallungen an den hohen Stahlwänden ab?
Eine Begehung in drei Akten
Es ist am späten vergangenen Samstagabend, als ich erstmals zu Signers Doppelhaus gelange, um es mir genauer anzusehen. Doch die Tür unten ist zu. Einigermassen verständlich, schliesslich ist es Nacht und die weckt leichtfertige Gedanken in den Menschen. Zum Beispiel, nun, da man unten nicht rein kann: Hochklettern.

Vor dem Werk befindet sich bereits eine Bauschranke, die Leute offensichtlich heranschleppten, um beim Klettern Tritt zu fassen. Nicht Kunst am Bau, sondern Bau an der Kunst quasi. Ein Freund von mir klettert hoch.
Ich schaue mir das Werk von unten an und obwohl meine Sinne durch eine Flasche Wein belebt sind, tue ich mich schwer damit. Es erscheint mir wie ein klobiger Tresor. Ein grosses graues Fragezeichen fast schon. Signers Koffer hiess der beflügelnde Art-Film, der den Künstler einst berühmt machte. Das hier ist Signers Kasten.
Am Sonntagnachmittag komme ich wieder. Die Tür ist immer noch verschlossen. Ich setze mich vor das Kunstwerk. Der aufgeraute Stahl schimmert wolkig in der Sonne. Sowieso erstrahlt er bei jedem Wetter in anderem Licht. Faszinierend.
Ein älteres Pärchen spaziert heran.
Ob ihnen das Kunstwerk gefalle, frage ich.
Er sagt, ihm sage es nichts.
Sie sagt: Sie müsse mit einem Kunstwerk ins Zwiegespräch treten können. Den Horchenden, ein Kunstwerk von Rudolf Blättler im Kreuzganggarten, besuche sie immer, wenn sie könne, und verweile ein wenig. Und auch Signers Werk werde sie eine Chance geben.
Es sei vielleicht die falsche Frage, ob einem das Kunstwerk gefalle, fügt ihr Mann nach längerer Betrachtung an. Es komme darauf an, ob es etwas in einem auslöse, zu einem spreche. Und je länger wir drei das Werk anschauen, desto mehr spannende Seiten und Ecken und Kanten entdecken wir daran. Wir erkennen Kirche, Heimat, Schutz und Glaube, und das alles auf den Kopf gestellt: Immer wieder geht ein Türchen auf.
Aber der wahre Zugang bleibt mir verschlossen. Doch ich nehme dieses Kunstwerk ernst. Ich will rein.
Am Montagnachmittag hole ich beim Metallbauer, der das Werk anfertigte (Brütsch Metallbau), den Schlüssel zu Signers Kasten. Ein Machtgefühl durchströmt mich, als ich das Kunstwerk aufschliesse. Ich setze mich im Innern auf den Boden, die Tür lasse ich einen Spalt offen für die Leute. Ein Mann geht draussen vorbei und sieht mich, schaut aber nicht rein. Dann geht er nochmal vorbei und versichert sich mit dem gleichen misstrauisch streifenden Blick, dass ich wirklich da sitze.
Eine Frau in einem öffentlichen Kunstwerk an einem Montagnachmittag. Das hat etwas Unerhörtes. Ist es genauso unerhört, wie wenn ich irgendwo in einem Gebüsch in der Stadt sitzen würde? Und wahrt man in einem öffentlichen Kunstwerk eigentlich die Privatsphäre von Anderen? Oder fühlt man sich jederzeit berechtigt, dazuzutreten? Hängt das davon ab, wie gross und wie hell besagter öffentliche Raum ist? So kreisen meine Gedanken im Zwielicht.
Domestizierung eines Hauses?
Fest steht nach dieser Kunstbegehung: Ob Signers Werk begehbar ist, verändert nicht nur die Erfahrung der Kunst, sondern auch ihre Bedeutung. Denn was ist ein Haus, wenn es keine Herberge ist? Ist es dann überhaupt ein Haus? Was ist ein Haus, das einen ausschliesst?
Auch hier muss ich an die Schaffhauser Eigenart denken: Wurde das neue Kunstwerk in vorauseilender Vorsicht zugeschlossen? Aus kleinbürgerlicher Angst, hier werde bald Ungemach geschehen? Wurde dieses Haus domestiziert? Unterbindet man damit die Reibung der Öffentlichkeit mit dem Werk?
Wann und ob das Werk in Zukunft begehbar sein wird, ist noch nicht klar. Es soll noch ein neues Schloss montiert werden, bei dem der Zylinder nicht herausrage, und dann wolle man schon mal versuchen, es offen stehen zu lassen, gibt der Kunstverein an. Zuständig für den Unterhalt des Werks ist die Stadt.
Dem experimentellem Geist Roman Signers, bei dem alles Prozess und Veränderung ist, entspricht diese Unoffenheit jedenfalls nicht gerade.
Damit einen dieses Kunstwerk reinziehen kann, wäre es schön, wenn es offen steht.