Die einen kennen ihn noch als «Mosh Feratu». Nun macht David Heil unter dem Titel «Liebe ist Theorie» Musik. Dahinter steckt überwältigend viel.
«Ich lag mit angehaltnem Atem auf der Balkonbalustrade,
über mir lag die Milchstrasse
und unter mir lag – gar nix.
Auch Exzess ist Politik und Liebe Theorie
und Theorie das letzte, das es noch gibt.»
Zehn Jahre Philosophie- und Germanistikstudium haben ihre Spuren hinterlassen: In David Heils Welt hat nichts nur eine Seite. Die Dinge sind vertrackt, stehen in Beziehung zueinander. Das Mittel, um sie zu begreifen, das ist die Sprache – und selbst die hat ihre Tücken. Ganz schön kompliziert.
Bei David Heil ist man selten ganz sicher, ob man ihn wirklich verstanden hat. Wenigstens, sobald man sich vom Smalltalk wegbewegt. «Ohne jetzt zu sehr in die Tiefe gehen zu wollen…», sagt er, während wir in einem Zürcher Café sitzen, um dann doch in einen langen Exkurs auszuschweifen, um dann zu erklären, dass es ihm um eine «selbstreferenzielle Poetologie der Mündlichkeit» gehe. Oder um zu sagen, «dass Sprache Interaktionen, physische Handlungen nicht beschreibt, sondern vor allem vorwegnimmt». Nach einer Stunde raucht einem der Kopf. Aber man geht auch mit dem Eindruck, dass man da gerade einen ziemlich einzigartigen Menschen getroffen hat. Und dass die Kontraste, die man davor in ihm zu sehen geglaubt hatte, gar nicht so gross sind.
Rap auf Philosophisch
Nach ersten jugendlichen Versuchen in der Dichtung zog es David Heil zuerst in den Poetry Slam, dann in den Rap. Im Dunstkreis des Schaffhauser Hiphop-Kollektivs Erdloch legte er sich den Namen «Mosh Feratu» zu, angelehnt an die vampirische Sagengestalt. Die Musik – was davon noch auffindbar ist, und das ist nicht viel – die ist ungezügelt, absolut und aggressiv analytisch. Dass da ein junger Philosoph rappt, ist offensichtlich.
«Gott, verzeih mir meinen flegelhaften Auftritt,
ich verzeih im Gegenzug dir dein Zugegen-Sein und Auschwitz.»
«Ich schlage Haken, wo es möglich ist,
mein Ekel vor der Macht hat etwas eigentümlich Tödliches.»
In seinem neuen Projekt «Liebe ist Theorie» hat sich der Schaffhauser von dieser Welt entfernt, wenigstens auf den ersten Blick. Tunes wie Texte säen eine luftig-flanierende Grundstimmung und balancieren die Zuhörerin zwischen zufriedenem Tanzflow und belustigendem Nihilismus. Es kann kaum Zufall sein, dass der Künstler sich vom Rap weg und in Richtung Elektro-Pop manövriert hat: Die intuitive Verknüpfung von Synthie und Weltall spiegelt in etwa die Flughöhe, in der er aufs Zwischenmenschliche blickt.
Die Texte sind im Vergleich zum ungestümen Vorprojekt zugänglicher, ruhiger geworden, sie sind verspielter und teils auch melancholischer. Gleichzeitig haben sie an Komplexität nichts eingebüsst. Das Analytische in Heils Arbeit ist geblieben, doch es drängt sich nicht mehr auf. Kurz: Texte und Musik kann man auch geniessen, ohne dass sich sämtliche Referenzen erschliessen müssen.
«Und Zwei sagt: ‹Ja was mach ich denn hier eigentlich?›
Und Eins sagt: ‹Gute Frage.›
Und Zwei sagt: ‹Kann ich mal nen Schnaps haben?›
Und Eins sagt: ‹Gute Frage, kannste haben.›
Musik und Schnaps und was man halt so sagt, nen ganzen Abend
und was man halt nicht sagt.»
So verschieden sie auch klingen: Eigentlich handle es sich bei «Mosh Feratu» wie bei «Liebe ist Theorie» um zwei Herangehensweisen an dasselbe Thema, sagt Heil. Und die Trennung von Gewalt und Liebe, die auf den ersten Blick entgegenspringt, die funktioniere sowieso nicht. «Ich glaube, die Alltagssozialität der Liebe ist extrem violent. Ich weiss gar nicht, ob es um Liebe geht. Es geht um Liebe als Bedeutungsraum, nicht um das Verliebtheitsgefühl, sondern um Theorie. Ich meine das wirklich so.»
Und die Gewalt, die sei der deutschen Sprache so oder so inhärent. Auch, wenn man über Beziehungen sprechen will. «Man kann in der deutschen Sprache nicht über Romantik reden», erklärt der 32-Jährige, «ohne gleichzeitig die Naziromantik zu streifen oder die den Nazis vorangehende Hölderlin-Romantik.» Die Schwierigkeit liegt für ihn also darin, die deutsche Sprache als Werkzeug zu verwenden, sie sich anzueignen, aber im Bewusstsein darüber, dass sie eigentlich «kaputt» ist. Dass dieses Projekt eine persönliche Komponente hat, erklärt sich von selbst. «Ich habe eine bestimmte Geschichte und Entwicklung, und ich will lernen, damit umzugehen. Oder es ist umgekehrt, und ich verkaufe Selbsttherapie als grosse Kunst.» Dann lacht er.
Doch nicht nur Theorie
Würde David Heil nicht gleichzeitig diese Ladung Selbstironie und Leichtigkeit an den Tag legen, wäre all die Komplexität allemal schwer verdaulich. Aber sein Auftreten bleibt, dem Philo-Sprech zum Trotz, interessiert und ungezwungen (er nennt das treffend: «die charmante Überkomplizierung von Alltagsgesprächen»). Verspielt zeigt er sich zum Beispiel auch in Social Media, auf Instagram etwa, wo er nicht nur mit Stadtmöwe auf dem Kopf posiert, sondern auch mal zwischen Zürcher Stadtpolizisten in Vollmontur. An einem früheren Auftritt trägt er ein goldenes Paillettenshirt.
Und um Theorie geht es auch nicht ständig, auch nicht in der Liebe. Zuneigung verschenkt Heil, wie auch seine Lieder, auch mal fremden Menschen. Zum Beispiel letztes Jahr, im Sommer, als er merkte, dass das «Lied-zu-Musik-mach-Werk» plötzlich doch mehr Geld kostete als gedacht. Er startete ein Crowdfunding, mit dem Versprechen, dass er die «hübsche Musik» sowieso verschenken wollte, und der Betrag kam schnell zusammen, wurde sogar übertroffen – wohl auch, weil man die vom Künstler von Hand auf Papier runtergeschriebenen Songtexte per Post erhalten konnte, oder weil man ihn (für 150 Franken) zu sich einladen konnte, damit er aus dem Lieblingsbuch vorlesen oder auch alle Lieder vorsingen würde.
Wie diese Lieder entstehen, das sei ihm übrigens ein völliges Rätsel, sagt er zum Schluss und lacht. «Manchmal fahre ich Velo und habe gleich ein halbes Lied im Kopf. Die zweite Hälfte ist dann monatelange akribische Arbeit, Silbe für Silbe.» Aktuell arbeitet er an «drei? vier? drei bis vier» Liedern parallel.
Ein Album, ja, doch, das soll es irgendwann geben, auch wenn seine Ambitionen überhaupt nicht ans Geld geknüpft seien. «Am liebsten wäre mir, wenn meine Musik bekannt und geliebt wäre, ohne dass diese Liebe je bei mir ankommen würde.»
Voller Widersprüche, eben.
Die Stücke von «Liebe ist Theorie» findet man zwar auch auf Spotify. Wir legen aber nahe, David Heil am kommenden Samstag live im TapTab zu hören. Mit auf der Bühne: der Sänger Dagobert. Türöffnung ist um 21 Uhr, die Konzerte beginnen um 21.30 Uhr.