Schaffhauser Mütter schliessen sich gegen die Corona-Massnahmen zusammen und planen Aktionen. Einige wollen ihre Kinder aus der Schule nehmen. Wer steht dahinter?
«Es geht um das Kindeswohl», sagt Rahel Rolli, als wir uns an einem heissen Nachmittag zum Gespräch treffen. Rolli ist eine von mehreren Frauen, die sich in einem losen Netzwerk zusammengeschlossen haben, um sich gegen die Corona-Massnahmen und den – von ihnen so wahrgenommenen – Impfzwang zu wehren. Besonders, wenn es um ihre Kinder geht.
AZ-Recherchen zeigen: Die Mitglieder dieses losen Elternnetzwerkes radikalisieren sich. Sie planen sogar konkrete Aktionen. Wer sind diese Eltern?
Zu ihnen gehört Camille*, deren Kinder in die 2. und 4. Klasse gehen. Ihre Kinder sind zwar zur Zeit weder von Massentests betroffen, noch steht die Frage einer Impfung für sie im Raum. Aber Camille will sich trotzdem wehren. «Warum soll man einen gesunden Körper gegen Covid impfen?», fragt sie, als wir telefonieren. «Ich habe keine Angst vor Corona, aber vor der Impfung», erklärt sie. Die Impfung sei nicht ausreichend erforscht, und es gebe keine Langzeitstudien. Aus ihrer Sicht stellt sie bei «einem funktionierenden Immunsystem» ein grösseres Risiko dar, als eine Infektion. Seit der Ausweitung der Zertifikatspflicht hat das auch Auswirkungen auf ihre Kinder, denn sie kann zum Beispiel nicht mehr mit ihnen ins Schwimmbad.
Auch Barbara* ist mit dabei. Sie empfindet die Massnahmen als zermürbend und macht sich Sorgen um die physische und psychische Gesundheit der Kinder, erzählt sie mir am Telefon. Sie hat auch schon Briefe geschrieben an den Kantonsärztlichen Dienst und den Stadtschulratspräsidenten, um nach den rechtlichen Grundlagen für die Massnahmen an den Schulen zu fragen. Aber befriedigende Antworten habe sie nicht erhalten. «Wir fühlen uns unverstanden, deswegen vernetzen wir uns», erklärt sie. Sie habe kein grundsätzliches Problem mit Impfungen, ihre Kinder seien vollständig geimpft. Aber mit der neuen mRNA-Impfung, die aus ihrer Sicht zum Teil schwere Nebenwirkungen habe, mit der fühle sie sich nicht wohl. Gerade für Jugendliche und Kinder stimme das Risiko-Nutzen-Verhältnis bei der Impfung einfach nicht.
Rotes Tuch Impfbus
Am meisten stören die Mütter die Bemühungen des Kantons, die Impfquote zu erhöhen und auch Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren die Impfung anzubieten. Das scheint manche Eltern noch einmal mehr mobilisiert zu haben. Denn im Kanton können sich Jugendliche ab 12 impfen lassen, ohne das Einverständnis ihrer Eltern.
Dass der Impfbus des Kantons im August bei der Kantonsschule, bei der BBZ und der KV hielt, stört die Frauen. Ist das überhaupt erlaubt?, will Barbara wissen. Sie ist aufgebracht: Aus ihrer Sicht sind die Impfbusse ein illegitimer Weg, Kinder von der Impfung zu überzeugen. «Das geht gar nicht», sagt auch Rahel Rolli. Damit werde versucht, die Kinder zu «ködern» und sie zu «erpressen», ist sie überzeugt. «Wie soll ein Kind unter 18 eine solche wichtige Entscheidung treffen?» fragt Rolli verständnislos. Aus anderen Quellen höre ich, eine Mutter habe vor Ort, als der Impfbus an der Kantonsschule war, protestiert.
Bei Rahel Rolli und Barbara ist auch die Sorge herauszuhören, dass ihre Kinder sich anders entscheiden könnten als sie selbst. Als ich sie darauf anspreche, wie ihr 14-jähriger Sohn die Sache sieht, sagt Rolli mit Nachdruck: «Der denkt genau wie ich». Dann wird sie nachdenklich und fügt hinzu, «ich hoffe, dass er nicht einknickt. Ich weiss nicht, was ich tun soll, wenn er sagt, er hält den Druck nicht mehr aus und will sich impfen lassen.» Denn für Jugendliche bedeutet ein fehlendes Zertifikat: kein Besuch mehr im Museum, kein Ausgang mit Freunden, ausser sie lassen sich testen. Und wenn der beste Kollege geimpft ist, man selbst aber nicht, hält das die Freundschaft aus? Diese Sorge teilen auch die anderen Mütter.
Aktionen geplant
Für ihre Überzeugungen wollen die Eltern weit gehen. Und sie schliessen sich zusammen. «Die Eltern sind organisiert», stellt auch Stadtschulratspräsident Christian Ulmer fest. Er habe schon mehrere Schreiben erhalten, die mit «Schaffhausen Steht Auf» unterschrieben waren.
Zu Beginn der Pandemie, sagt Ulmer, habe es einzelne Eltern gegeben, die sich gegen die Corona-Massnahmen aufgelehnt hätten, besonders gegen das Maskentragen ihrer Kinder. Da habe man immer eine individuelle Lösung gefunden, versichert er. Aber seit kurzem sei eine Vernetzung der Eltern erkennbar – und eine Radikalisierung.
Bereits ein knappes Viertel der Eltern verweigere das Einverständnis, dass ihre Kinder an den regelmässigen Pool-Tests in der Schule teilnehmen. 10 Prozent verweigerten die Einzeltests, die nach einem positiven Pool-Test für die ganze Klasse nötig seien. Kinder, die kein negatives Testresultat vorweisen können, müssen in Quarantäne.
Ulmer sieht aber auch vereinzelte Fälle von Eltern, die ihre Kinder aufgrund der Massnahmen aus der Schule nehmen wollen. Insgesamt seien es zwar nur wenige, aber besagte Eltern «ziehen das hartnäckig durch».
Das bestätigen mir auch die Mütter. Einige von ihnen wollen ihre Kinder aus der Schule nehmen und sie zu Hause selber unterrichten, oder sich die Situation zumindest für die Zukunft offen halten. Dafür machen sie konkrete Pläne: Ich erfahre, dass Eltern in der Region bereits nach Räumlichkeiten suchen und möglicherweise Lehrerinnen mit an Bord holen wollen, die den Massnahmen ebenfalls kritisch gegenüber stehen. Für Rahel Rolli und Camille ist das aber zum jetzigen Zeitpunkt keine Option, und Barbara hat noch Hoffnung, dass sich die Situation «wieder normalisiert» und sie ihre Kinder nicht aus der Schule nehmen muss.
Einfach ist ein solches Unterfangen nicht. Ulmer bestätigt: Man kann einen Antrag stellen auf Homeschooling, aber das sei nicht so schnell umsetzbar. Man müsse erhebliche Hürden überwinden. Ihm seien auch Fälle bekannt, in denen die Eltern die Kinder ohne gesetzliche Grundlage daheim behalten. Da sei die Lage jedoch klar: Grundsätzlich gelte die Schulpflicht und wenn Eltern ihre Kinder ohne Arztzeugnis aus der Schule fernhalten, dann müsse das letztendlich den Behörden gemeldet werden.
Ihren Protest gegen die Massnahmen drücken die Eltern aber auch auf andere Weise aus. Auf der Demonstration gegen die Corona-Massnahmen in Schaffhausen am 28. August war ein Transparent mit dem Slogan: «Stopp Impfzwang – Keine Impfbusse an den Schulen», zu sehen. Mit weiteren Aktionen ist zu rechnen.
Anti-Impfplakate bestellt
Wenn man mit den Eltern spricht, dann wird klar, dass sie ihre Informationen aus bekannten impfskeptischen Quellen beziehen.
Camille und Barbara sagen, sie seien vorsichtig, welchen Informationen sie trauen. Den Massenmedien stehen sie kritisch gegenüber. Deswegen hätten sie selber recherchiert. Ihnen ist bewusst, dass zum Beispiel auf Telegram auch Falschinformationen verbreitet werden.
In Telegram-Gruppen, zwischen Beiträgen, die Falschinformationen, Propaganda gegen die Ehe für Alle, QAnon-Verschwörungstheorien und Antisemitismus verbreiten, tauschen die Eltern praktische Tips aus, Vorlagen für Briefe an Schulbehörden und Erfahrungsberichte. Und sie sprechen sich Mut zu.
Welchen Quellen vertrauen Mütter wie Camille und Barbara? Beide nennen unter anderem eine Arztpraxis für Allgemeinmedizin Muotathal und die Webseite Aletheia.
Aletheia ist umstritten. Das Netzwerk gibt vor, durch eine «verhältnismässige Berichterstattung» einen «wissenschaftlich offenen Diskurs» zu fördern. Dahinter stehen Juristen und umstrittene Ärzte wie Andreas Heisler oder Thomas Bindel. Heisler wurde zeitweise die Lizenz entzogen, da er sich weigerte, in seiner Praxis die Maskenpflicht durchzusetzen und Maskendispense ausstellte, ohne die Patienten gesehen zu haben. Thomas Bindel liess sich im Mai vom bekannten Coronaverharmloser Daniel Stricker interviewen.
In den von Aletheia verbreiteten Inhalten finden sich auch Falschinformationen und Verschwörungstheorien; die Organisationen, mit denen Aletheia zusammenarbeitet, reichen von nationalistisch bis rechtsextrem. Gemeinsam mit der Organisation OHA-Glarus finanziert das Netzwerk eine Plakatkampagne gegen die Impfung als «Antwort auf die offizielle Plakataktion der Kantone». Die Plakate zeigen fröhliche Jugendliche unter dem Slogan «Ich sage NEIN zur Covid-Impfung».
Bald soll es diese Plakate auch in Schaffhausen geben. In einschlägigen Telegram-Gruppen wurde um finanzielle Unterstützung dafür gebeten. Rahel Rolli war eine der ersten, die sich dafür anbot.
Rolli ist in Schaffhausen keine Unbekannte. Sie ist Trainerin bei der Spielvi und hat im Radio Rasa eine Sendung. Und sie hat eine Autobiografie veröffentlicht. Bis vor kurzem arbeitete sie für die Sozialen Dienste der Stadt Schaffhausen und führte Aufträge für die KESB aus. Den Job habe sie gekündigt, weil es der KESB «nicht ums Kindeswohl ging».
Mass-Voll hat Einfluss
Auf die Frage, wie sie zu den teilweise problematischen Inhalten steht, die auf Telegram verbreitet werden, sagt Rolli, mit Rechtsextremen wolle sie nichts zu tun haben.
Von der populistischen Jugendbewegung Mass-Voll, mit der auch Aletheia zusammenarbeitet, ist sie allerdings begeistert. Mass-Voll organisiert regelmässig Demonstrationen gegen die Covid-Politik des Bundes, auf denen auch Rechtsextreme mitlaufen.
Die Organisation vergleicht die Zertifikatspflicht mit dem Faschismus und organisiert den Widerstand dagegen: Restaurants und anderen Unternehmen bietet sie ein Schild an, auf dem steht: «Violette Zone – Hier sind ALLE willkomme, mit oder ohne Covid-Zertifikat». Auch in Schaffhausen gibt es Beizen, die sich mit diesem Schild zur «violetten Zone» erklärt haben.
Rolli ist besonders angetan vom Mass-Voll-Anführer Nicolas A. Rimoldi. Den findet sie «stark». «Die bewegen etwas, die haben Mut», es seien «coole Junge» und «nicht Tussis», erklärt sie.
Immer wieder wiederholt Rolli, dass sie nicht gewaltbereit sei. Dann kommt ein «Aber» und man merkt ihr an, dass sie mit sich ringt. «Aber ich wundere mich, dass noch niemand Amok gelaufen ist», sagt sie schliesslich. Sie könne verstehen, wenn jemand aus Verzweiflung handeln würde. «Man überlegt sich solche Sachen», sagt sie nachdenklich. Und dann mit Nachdruck: «Wir haben die Faust aus dem Sack genommen, aber nicht zugeschlagen.»
Wenn man Frau Rolli begegnet, dann ist sie herzlich und offen. Ihre Beiträge auf Facebook und auf Telegram wirken jedoch kämpferisch – und feindselig. Als das Interview, das 20 Minuten mit dem Schaffhauser Impfbefürworter und Anästhesiepfleger Daniel Zeljkovic führte, auf Telegram die Runde macht, schreibt Rolli dort: «Geh zurück in DEIN Heimatland auf dem Balkan». Der Ton bleibt offenbar nicht immer friedlich.
* Namen geändert