Wirt- und währschaft

10. September 2021, Nora Leutert
Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Militär. In der Mitte: CdA Thomas Süssli.
Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Militär. In der Mitte: CdA Thomas Süssli.

Lunchtime mit der Schweizer Armee und der Schaffhauser Wirtschaft. Die AZ war natürlich dabei.

Ein Strom von Herren in Krawatte und Anzug schiebt sich an einem Freitagvormittag die Treppe im Sorell Hotel Rüden hoch. Es sind namhafte Vertreter der regionalen Wirtschaft und Politik auf dem Weg zum Dialog mit der Schweizer Armee. Die Herren nehmen die Treppenstufen locker, als schritten sie einer Bestimmung entgegen. Einer diffusen Bestimmung, die ich noch nicht begreife, wie ich neben ihnen hinaufsteige. Ich gehöre offensichtlich zu einer anderen Spezies, die hier rar ist.

Gerade mal zwei Frauen sind unter den über 60 geladenen Gästen plus die mit der Grussbotschaft beauftragte Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter. Um die Herren ähnlichen Alters auseinanderhalten zu können, habe ich sicherheitshalber das «Wer ist wer»-Spezialheftli des Schaffhauser Magazins aus dem Jahr 2019 dabei, es dürften ja noch viele von damals darunter sein, und das sind sie auch. Das Heftli ist allerdings überflüssig. Beim Empfang vor dem Saal kriegen alle Männer einen Namensaufkleber mit Funktions- und Firmenbezeichnung aufs Revers, während ich mit einem kurzen prüfenden Blick automatisch erkannt werde als: «Medien?». Dabei habe ich mir für das von der hiesigen Territorialdivision 4 organisierte Gipfeltreffen mit dem Schweizer Armeechef sogar ein Hemd angezogen.

Vor fast genau einem Jahr traf ich das erste Mal auf den CdA (das bedeutet Chef der Armee). Es war ein so heisser Septembertag wie heute, und ich war bei der Eröffnung der Ausstellung zur Mobilmachung während der Pandemie im Museum im Zeughaus unverhofft zu einem Interview mit dem obersten Ehrengast gekommen. So begegnete ich Korpskommandant Thomas Süssli in einem offenen Lagerraum, unpassenderweise in Birkenstock-Latschen, worüber der CdA aber in jener sanften und zugleich staatsmännischen Grossmütigkeit hinweg sah, mit der er zuvor bereits zu den anwesenden Schaffhauser Militärfans und -veteranen gesprochen hatte und die sich mir einprägen sollte, so oft ich an jenen Septembertag mit dem CdA zurückdenke.

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Der heutige Tag ist anders. «Ich muss zugeben, ich bin nicht gerne ins Militär gegangen», raunt mir ein Gast aus der Immobilienbranche zu, als wir in den Zunftsaal des Rüdens strömen. «Namhafte Vertreter aus der Wirtschaft: Wahrscheinlich haben sie drei Runden mit Einladungen rausgeschickt, und ich war dann in der letzten dabei», witzelt er und setzt sich in die Reihen von Hemdkragen.

Ich erinnere mich zurück: Letztes Jahr im Museum im Zeughaus sassen Militärgetreue ältester Semester im Publikum, deren Witze ich zwar nicht verstand, aber die mir doch vertraut waren in ihrer Art. Korpskommandant Süssli sprach über die Schweiz, ihre Erfolgsgeschichte und ihre Helden (das Militär). Der sanfte Gesichtsausdruck des CdA ist heute zwar noch derselbe wie damals, ebenso wie ein Teil der Rede, die er hält – diese ist offensichtlich ein Erfolgsmodell, genauso wie die Schweiz. Aber heute setzt Korpskommandant Süssli neben dem Feind 2030, der in allen Sphären gleichzeitig angreift, und den zur Abwehr nötigen F35-Kampfjets einen anderen Schwerpunkt: Es geht weniger um die tapferen Soldaten und ihren Dienst am Land. Sondern um die Militärkader und ihren Mehrwert für die Wirtschaft.

Das Militär hat Personenmangel und die Wirtschaft soll ihre Angestellten wieder hingehen lassen, weil es jedem etwas bringt: Den jungen Mannen bringt es etwas – 2030 möchte man zudem einen Anteil von zehn Prozent an Frauen haben, ja sie am liebsten wehrpflichtig machen –, der Wirtschaft bringt es etwas und dem Militär. «Früher war die Armee die Kaderschmiede der Schweiz. Das wollen wir wieder werden, und ich denke, wir sind es auch», sagt Korpskommandant Süssli.

Ich kratze mich als Einzige am Kopf: Da habe ich offenbar bis anhin etwas nicht mitgekriegt. Um eine Wirtschaftselite zu schulen, dafür brauchen wir die Schweizer Armee?

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Nach Süsslis Vortrag melden sich einige der Gäste zu Wort. Sie stellen ernste Fragen, wobei einige nicht als Fragen, sondern als Anregungen gemeint seien, sagen die Wortführer. Anregungen dazu, wie die Armee in der Bevölkerung und in der Wirtschaft wieder mehr Begeisterung für sich schaffen kann. Ein Vertreter der IWC erzählt, wie er beim Sechseläuten-Marsch erleben durfte, wie es ist, wenn einem die Leute noch danken auf der Strasse für den Dienst am Vaterland. Er sagt zu Korpskommandant Süssli: «Erklärt den Stimmbürgern – nicht denen, die hier sind, das sind alles Leute, die verstehen, dass wir eine Luftwaffe und eine funktionierende Armee brauchen –, warum man sich für den F35 entschieden hat.» Ein Vertreter von Serguei Beloussovs Softwareunternehmen Acronis indessen bietet der Armee im Kampf gegen Cyberbedrohungen die Dienste seiner Firma an.

Und danach – man ist vielleicht nicht viel schlauer geworden, aber sicherer in dem, was man bereits dachte – schiebt sich der Strom von Männern aus dem Saal. Eine Treppe höher, seiner wahren Bestimmung entgegen: dem Apéro riche. Die währschaften Happen scheinen das Wichtigste zu sein heute. Networking ist eher Nebensache. Es ist offenbar einer von vielen Anlässen, an denen sich die anwesenden Gäste begegnen. Kantonsrat Marcel Montanari meint, er sei gekommen, um Süssli reden zu hören, die anderen hier sehe man ja auch sonst oft. «Aber wer weiss, vielleicht ist ein anderer auch hier, um mich zu sehen», lacht er.

Militärwitze werden an diesem Wirtschaftsanlass zu meiner Enttäuschung kaum geklopft. Nur kurz kriege ich beim Apéro erklärt, dass das militärische Salutieren aus den Zeiten der Ritter kommt (Hochklappen des Visiers), ebenso wie das Schreiten der Dame rechts vom Herr (weil er links das Schwert trug). Und ein blasser junger Hauptmann, der sein Familienunternehmen in 4. Generation mitleitet, klärt mich auf, dass Folgendes nicht mehr gelte: dass man früher sagte, «zivil Versager, im Militär Kader». – Den Spruch müsse ich mir notieren, sage ich. – «Nein, bitte das besser nicht notieren», erwidert er.

Und dann nach einer halben Stunde, um 14 Uhr an diesem Freitagnachmittag, verdrücken sich die Gäste auch schon wieder. Und ich verlasse ein Treffen von Armee und Schaffhauser Wirtschaft, das sich so selbstverständlich wie ein Lunch zwischen Businesspartnern anfühlte.