Vorstandsmitglied der Jungen Grünen, Gesicht des Klimastreiks, jetzt mit 18 Jahren der jüngste Kantonsrat der Schweiz. Ist Gianluca Looser ein Karrierist?
Als wir Gianluca Looser am Montagnachmittag von der Kantonsschule abholen, tuscheln einige Mitschülerinnen belustigt. «Ah ja, der Kantonsrat.» Dass der 18-Jährige ins Parlament nachrückt, hat sich hier in Windeseile herumgesprochen. In den sozialen Medien kam er kaum nach, die Glückwünsche entgegenzunehmen. «Ja, die letzten Tage waren Trubel. Aber wir haben ja auch dafür gesorgt, dass die Nachricht bei den Leuten ankommt.»
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Gianluca Looser in Stellung bringt, sein Gesicht kennt man längst, auch ausserhalb der Region. Den Jungen Grünen Schaffhausen ist er ein halbes Jahr nach deren Gründung beigetreten, nochmal sechs Monate später war er bereits ihr Co-Präsident. Dann kamen die Klimastreiks – allerdings nicht von selbst nach Schaffhausen. Es war Looser, der zusammen mit Mascha Hübscher (sie schreibt inzwischen für die AZ) und einer Handvoll weiterer Aktivistinnen im Jahr 2019 eine Klimademo in der Munotstadt organisiert hat. Rund 400 Jugendliche marschierten mit. Ende September desselben Jahres folgt die nächste Klimademo; es ist wieder Looser, der die bereits bekannten Parolen ins Megafon ruft. Und er setzt sich auch mal im Namen der Gegenöffentlichkeit ins Scheinwerferlicht: In der «Klimaarena» im Zürcher Kulturhaus Kosmos etwa sass er ebenfalls auf dem Podium.
Der Kantischüler machte einen bemerkenswert schnellen Aufstieg und wäre gut positioniert, um hoch hinauszuwollen: national bestens vernetzt, ohne Lampenfieber, mit gewinnendem Charakter, ohne grosse Ecken und Kanten. Ihm ist wichtig, was man über ihn denkt – und so drückt er sich auch aus. Seiner Sensibilität für Macht und Sprache zum Trotz hat er keine Mühe, auch mal Klartext zu reden. Es überrascht nicht, dass er zum neuen Aushängeschild der Jungen Grünen geworden ist. «Ja, mir wurde viel in den Schoss gelegt», sagt er, als er an diesem Nachmittag in der Schäferei am Milchkaffee nippt. Aber er, eine steile Politkarriere? Das dementiert er dann doch. «Allzu grosse Ambitionen sind mir unsympathisch. Sicher: Der Kantonsrat ist eine einmalige Chance für mich. Damit sage ich aber nicht, dass er auch die Startbahn fürs Abheben in der nationalen Politik ist – zumal es dieses Amt entwerten würde, wenn ich es nur als Sprungbrett sähe.»
Vielmehr versteht er das Bewusstsein für seine Privilegien – Mann, weiss, jung, begabt, bruchfreie Biographie – als Pflicht, die Stimmen anderer zu verstärken. In diesem Fall: die Stimme der Jugend im Kantonsrat. «Tausende andere Jugendliche können sich dort nicht so ausdrücken, wie ich es darf. Ihre Bedürfnisse werden nicht gehört. Das ist nun meine Aufgabe.»
Auf Kontaktsuche
So ist es nicht nur seinem Alter geschuldet, dass er auf allen möglichen sozialen Plattformen aktiv ist, sondern auch seinem Interesse daran, dass Gleichaltrige ausserhalb seines direkten Umfeldes auf ihn zugehen. Die Postfächer bleiben dafür durchgehend offen: Ihm kann schreiben, wer will. «Gerade auf Tiktok erreiche ich schnell riesige Menschenmengen. Und wenn mir die Leute dort schreiben: ‹Legalisier Gras›, dann sehe ich, dass das ein Anliegen ist, auch wenn es nicht aus meinem Freundeskreis kommt. Und ich sehe, dass ich einen Vorstoss für Pilotversuche auf diesem Gebiet machen könnte.»
Dass Gianluca Looser sich so als Sprachrohr der Jugend inszeniert, hat freilich nicht nur mit seinem Demokratieverständnis zu tun – «je mehr mitreden, desto besser». Sondern auch mit einem etwas heiklen Aspekt innerhalb der Jungpartei. Denn der Stadtschaffhauser rückt für Aline Iff nach – eine Frau, die ihr Amt im Neuhauser Einwohnerrat nach ihrer überraschenden Wahl auch deshalb antrat, weil sie nicht wollte, dass der Sitz an einen Mann geht. Ihren Platz im Kantonsrat tritt nun ein Mann an, und das innerhalb einer Partei, die sich neben dem Klimaschutz auch die Gleichstellung der Geschlechter auf die Fahnen schreibt. Im Kantonsrat ist aktuell nur ein Viertel weiblich.
Geht es um politische Fragen im engeren Sinn, scheut Gianluca Looser klare Parolen nicht. Bei diesem Thema aber wird er verlegen, wägt die Worte sorgfältig ab, bevor er zur Antwort ansetzt: Allzu stark rechtfertigen wolle er sich nicht. «Für mich war eigentlich klar, dass ich einer Frau den Vortritt lasse. Das Problem war, leider, der Zeitdruck. Die Nachricht von Alines Rücktritt kam spät, und wir haben schlicht niemanden gefunden. Immerhin haben wir jetzt jemand, der ultrajung ist, im Kantonsrat – das ist aber auch das einzige Argument, mit dem ich mich verteidigen kann.»
Kritik am Streik
Wahrscheinlich ist, dass nicht nur Gianluca Looser selber, sondern bald auch der Kantonsrat sich mit Fragen rund um Geschlecht und LGBTQ vermehrt auseinanderzusetzen hat. Maurus Pfalzgraf, jetziger Kantonsrat für die Jungen Grünen Schaffhausen, sagt später am Telefon, dass Gianluca diese Themen noch wichtiger sind als ihm, der ja Umweltnaturwissenschaften studiert.
Diesen Eindruck gewinnt man auch, als Gianluca Looser vom Kaffee auf eine Rhabarberschorle umschwenkt und über seine politischen Schwerpunkte zu sprechen beginnt. «Klimapolitik schwingt bei uns so oder so immer mit. Das gibt mir die Freiheit, auch mal einen anderen Fokus zu setzen.» Ein Vorstoss zum Ausländerstimmrecht wäre ihm beispielsweise ein Anliegen, im Gespräch mit 20 Minuten erwähnt er auch die Umbenennung des «Mohrenbrunnens» auf dem Fronwagplatz. Langfristig denkt er auch über neue politische Formate nach, um mehr Jugendliche in die Parlamente zu locken. «Dass man in diesem Alter abwandert, etwa für ein Studium, ist normal. Darum muss es möglich sein, die Politik mitgestalten zu können, ohne davor schon zwei Legislaturen mitgemacht zu haben.»
Dass Looser sich vermehrt den sozialen Themen zuwendet, hängt womöglich auch damit zusammen, dass er sich etwas von der Ideologie der Klimabewegung entfernt hat – mindestens von deren radikalem Flügel. Er erlebte den Aufschwung der Jungen Grünen Schaffhausen mit. Mit den letztjährigen Wahlen nach den Klimastreiks wurde seine Partei mit 3,35 Prozent zur stärksten Jungpartei im Kanton. Das zeigte ihm, dass man mit breiter Vernetzung etwas erreichen kann, auch innerhalb der parlamentarischen Strukturen. «Die Klimabewegung hat sich vermehrt für den zivilen Ungehorsam entschieden. Dafür ist es meiner Meinung nach zu früh. Zu früh nicht im Sinn von: Wir warten, bis die Revolution kommt. Revolution, never! Sondern in dem Sinn, dass das Hauptziel der Bewegung sein sollte, so viele Bevölkerungsgruppen wie möglich aufzuklären und zu mobilisieren. Sonst bringt sie nie wieder diese Massen auf die Strasse.»
Stressiges Abschlussjahr
Unabhängig davon, wie hoch hinaus der jüngste Kantonsrat der Schweiz noch kommen will, fest steht jetzt vor allem eins: Das nächste Jahr wird ihm viel abverlangen. Nach dem Austauschjahr in Lausanne gibt es Stoff nachzuholen, ausserdem die Maturaarbeit auf Französisch zu schreiben. Die Parteipflichten rufen, und neu die Dossiers fürs Schaffhauser Parlament. Auch die Social-Media-Profile verlangen Aufmerksamkeit – und die Arbeit in der Kletterhalle, wo er Kurse leitet. Nach dem Gymnasium stellt sich Gianluca Looser direkt ein Studium vor, Volkswirtschaftslehre und Politologie sind in der engeren Auswahl. Nur eines hat er prophylaktisch verschoben: Der Zivildienst kommt 2025, wenn der Bachelor abgeschlossen ist – dann steht womöglich auch die nationale Klimapolitik an einem anderen Punkt.