Bei Femiziden, wie jenem von letzter Woche in Beringen, wird nach wie vor verharmlosende Sprache gebraucht. Eine Medienkritik.
In Châtelaine, Emmenbrücke, Terrebasse (F) und nun im schaffhausischen Beringen. Schon vier Frauen sind allein diesen Monat von Männern getötet worden. Zählte das neue Rechercheprojekt stopfemizid.ch im gesamten Jahr 2020 hierzulande total 16 Femizide, sind diese Zahlen schon Ende Juli 2021 übertroffen: Der neueste Fall in Beringen ist der 19. in diesem Jahr.
Der Fachbegriff für Tötungen an Frauen schafft es allerdings in den seltensten Fällen in die Medien. Dies, obschon Wissenschaftlerinnen wie auch Aktivistinnen seit mehreren Jahren verlangen, dass Mordtaten an Frauen aufgrund ihres Geschlechts als Femizide bezeichnet werden (zu den Gründen siehe Seite 2). Geschrieben wird stattdessen bis heute: «Beziehungsdelikt» oder «Familiendrama», «Tötungsdelikt im Familienumfeld» oder auch einfach: «tragischer Vorfall».
Die Art und Weise, wie über solche Tötungen berichtet wird, unterscheidet sich dabei von Fall zu Fall – auch und gerade dann, wenn die Geschlechterverhältnisse in einem Tötungsdelikt umgekehrt sind. Deutlich wird dies schon im Kleinen: wenn man vier Fälle im Raum Schaffhausen in unterschiedlichen Medien einem Vergleich unterzieht.
Das «Beziehungsdelikt» …
Im Fall Beringen von letzter Woche ist der Wortlaut relativ einhellig. Der Mann hat seine Ehefrau getötet. Dennoch bezeichnen die SN dies nicht nur als «Tötungsdelikt», wie die Polizeimitteilung dies festhält, sondern gleich mehrfach: als «tragischer Vorfall». In der Ausgabe vom Dienstag ist zudem von einem «Beziehungsdelikt» die Rede – beides sind Begriffe, von denen feministische Kreise abraten. Das Zürcher Kollektiv Ni Una Menos etwa schreibt, dass solche Worte den Eindruck vermitteln können, dass ein Femizid etwas Schicksalhaftes, Unvermeidbares sei. Dies sende die falschen Signale und würde der strukturellen Gewalt, die Frauen widerfährt, nicht gerecht.
Blick schreibt über den Fall Beringen nicht nur vom «Tötungsdelikt», sondern auch von einer «Bluttat». Der Begriff «Femizid» taucht immerhin in der vierten Legende der Online-Bildergalerie kurz auf. Zu überraschen vermag hier das Medium 20 Minuten: Sowohl im Print als auch online ist im Fall Beringen durchwegs von «Femizid» die Rede – ausser, wenn aus der Polizeimitteilung zitiert wird. Am Sonntag doppelt die Redaktion mit einem Online-Text nach, wie und weshalb sie den Begriff Femizid verwendet. Verantwortlich dafür ist das sogenannte Social Responsability Board, das Ende 2020 die Arbeit aufgenommen hat und redaktionsinterne Leitfäden herausgibt. Ziel sei die «konsequente Verwendung einer politisch und gesellschaftspolitisch neutralen, nicht-verletzenden Sprache».
Dass dieses Board Wirkung zeigt, wird im Vergleich zu früheren Fällen besonders deutlich. Etwa beim Fall Wilchingen vom 23. Februar dieses Jahr, als ein Mann seine 80-jährige Grossmutter tötete. Diese Tat benannte 20 Minuten noch nicht als Femizid, sondern blieb beim Begriff «Tötungsdelikt». Die SN wiederum schreiben von einem «Familiendrama» und – erneut – von einer «furchtbaren Tragödie». Betont wird wieder das vermeintlich Unvermeidbare. Blick geht nochmal einen Schritt weiter: Er bezeichnet den Wilchinger Femizid als «Eskalation mit Ansage».
Den drei Medien gemein ist der besondere Fokus auf die psychischen Vorerkrankungen des Täters. Das Kollektiv stopfemizid.ch empfiehlt, auf Erklärungsversuche für das Handeln des Täters zu verzichten – weil sie die Tat verharmlosen.
… versus die «Vater-Killerin»
Und wenn die die Tat ausübende Person weiblich, das Opfer männlich ist? Exemplarisch lässt sich hier der Fall Hemmental vom 13. Dezember 2015 beiziehen, als eine Frau ihren Vater tötete. Hier hielten sich die SN sprachlich zurück: «Es sei von einem Beziehungsdelikt auszugehen», habe die Schaffhauser Polizei gesagt; in späteren Zeitungsausgaben ist von einem «Familiendrama» sowie von einem «Tötungsfall» zu lesen – und auffallend oft davon, dass die Täterin eine «junge Frau» war.
Blick und 20 Minuten hingegen schrieben immer wieder von der «Vater-Killerin» und mutmassten gar, ob sie ihren Vater aus Rache (für die Tötung ihres Ehegatten) erstochen habe. Blick fragte in einem Titel: «Klebt Blut an ihren Händen?» 20 Minuten legte den Fokus derweil auf den «Familienzwist», andernorts: das «Familiendrama».
Am krassesten werden die Unterschiede zur jüngsten Tötung in Beringen aber: in Beringen. Fast auf den Tag zehn Jahre davor, am 26. Juli 2011, tötete eine Frau ihren Vater und verletzte zudem ihre Mutter schwer. Während die SN sich wiederum bedeckt halten – und von einer «Gewalttat» respektive «Bluttat» schreiben, die von der «jungen Frau» begangen wurde –, schöpft das Boulevard hier aus dem Vollen: «Was ging im Kopf von Andrina S. (21) vor?», fragt der Blick und schaukelt sich zusammen mit 20 Minuten in Zuspitzungen hoch: Das «tödliche Familiendrama» wird zum «Vatermord», die Täterin zur «Vatermörderin». Blick will ausserdem gewusst haben, dass die Täterin Satanistin sei.
Es mangelt an Sensibilität
Drei Erkenntnisse lassen sich aus dem Vergleich ableiten.
Erstens: Femizide werden nach wie vor selten als solche benannt. Mit ein Grund dafür dürfte sein, dass das Wort erst seit vergangenem Jahr einen Duden-Eintrag hat. In der Hauptsache mangelt es aber nach wie vor an Sensibilität dem Thema gegenüber – nicht nur in der Benennung, sondern auch in der Aufarbeitung.
Zweitens zeigt sich, dass mit unterschiedlichen Ellen gemessen wird: Eine tötende Frau wird zur «Vater-Killerin», ihr werden Gefühle und Sympathie sofort abgesprochen. Tötet ein Mann (s)eine Frau, ist dies immer noch eine «Tragödie», die unter Umständen noch mit der psychischen Disposition des Täters erklärt wird. Ein Frauenmord wird so, der gesellschaftlichen Struktur häuslicher Gewalt zuwiderlaufend, zu einem privaten Problem verklärt.
Drittens aber belegen die Beispiele auch, dass sich die Wortwahl in den Redaktionen über die Jahre verschoben hat. Dass gerade die Zeitung mit der schweizweit grössten Reichweite Femizide nicht nur benennt, sondern auch Expertinnen zu Wort kommen und die Taten einordnen lässt, ist bemerkenswert – und könnte auch in anderen Redaktionen mindestens zu Diskussionen, wenn nicht zu einem Umdenken führen.
Spezialisierte Hilfsangebote
Sind Sie oder kennen Sie jemanden, die oder der von häuslicher oder sexualisierter Gewalt, von Stalking oder Ähnlichem betroffen ist? In der Region finden Sie diese Anlaufstellen:
- Polizei: Tel. 117
- Medizinischer Notfall: Tel. 144
- Die Dargebotene Hand: Tel. 143
- Für Jugendliche: Tel. 147
- LGBT+-Helpline: 0800 133 133
- Opferberatungsstelle Schaffhausen: Fachstelle für Gewaltbetroffene.
Tel. 052 625 25 00 - Fachstelle bei Häuslicher Gewalt der Schaffhauser Polizei: Tel. 052 624 24 24
- Frauenhaus Winterthur: Tel. 052 213 08 78
- Selbsthilfegruppe Häusliche Gewalt Schaffhausen: Tel. 052 213 80 60
- Mannebüro: Beratungsstelle für Männer gegen Gewalt (in Zürich): Tel. 044 242 08 88
- Teddybär, Beratungsstelle für Eltern und Kind: Tel. 052 625 77 22
- mehr auf www.ebg.admin.ch.
Wir kehren vor der eigenen Tür
Eine Medienkritik wäre keine ohne ein wenig Nabelschau – schliesslich haben die genannten Mordfälle es auch auf die Seiten der AZ geschafft. Der Fairness halber muss vorausgeschickt werden: Als Wochenzeitung muss die AZ nicht mit dem Tempo der Tagesmedien mithalten, erst recht nicht mit deren Web-Auftritten. Auffällig sind die jeweils gesetzten Schwerpunkte dennoch.
Etwa im Juli 2011, als gleich drei Ereignisse im Kanton das Land aufrüttelten: Ein Mann hatte sein Flugzeug ins Haus seiner Mutter gesteuert; ein anderer mit einer Schrotflinte auf sein Mobiliar gefeuert; und letztlich der Fall von Beringen. Mit der verharmlosenden Wortwahl «Schaffhauser Familiendramen» begleitete die AZ damals den Polizeisprecher Patrick Caprez durch einen telefongetriebenen Tag (siehe AZ vom 28. Juli 2011, epaper.shaz.ch). Aber: Sie übte auch Kritik an der Berichterstattung; namentlich daran, dass andere Medien die Tat der Frau mit ihrem Engagement als Cevi-Leiterin in einen Zusammenhang brachte (etwa mit der Frage, ob die Tatwaffe ein Cevi-Messer gewesen sei). Der Hemmentaler Fall von 2015 fand in der AZ drei Jahre später, als die Tochter und deren Mutter vor Obergericht aussagten, ausführlich Platz. Die Autorin befasste sich mit der Wahrheitsfindung vor Gericht – und liess die Täterin zu Wort kommen, statt sie zu dämonisieren (siehe AZ vom 15. Juli 2018). Im Fall Wilchingen ist in unserer Zeitung von einem «Tötungsdelikt» die Rede (AZ vom 25. Februar 2021). Und im Fall Beringen von letzter Woche schliesslich: von Femizid.
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Nennt sie beim Namen
Kommentar von Sharon Saameli
Vielleicht haben Sie es gemerkt: In der letzten Ausgabe der AZ haben wir in Bezug auf Beringen von einem Femizid gesprochen. Es war das erste Mal, dass Sie dieses Wort bei uns lasen – obwohl sich die Gelegenheit leider schon mehrmals geboten hätte. Femizide geschehen immer wieder, auch hier, in und um Schaffhausen. Als solche benannt werden sie aber in den seltensten Fällen. Bestenfalls ist dies journalistische Unsorgfalt und Ignoranz. Schlimmstenfalls aber verharmlost es nicht nur die Tat, sondern zielt auch an den eigentlichen Gründen – und damit Möglichkeiten der Prävention – vorbei.
Die SN glänzten jüngst wieder darin, den Begriff Femizid zu umschiffen. Stattdessen bezeichneten sie das Tötungsdelikt in Beringen als «tragischen Vorfall», später auch als «Beziehungsdelikt». Und als die Woche davor ein Mann auf der Insel Reichenau seine Ex-Freundin tötete, war dies in der Sprache der SN eine «furchtbare Tragödie». Verstehen Sie mich nicht falsch: Furchtbar ist es allemal, wenn jemand getötet wird. Aber viel spricht dafür, solche Taten beim Namen zu nennen.
Den Begriff Femizid gibt es seit nunmehr 45 Jahren; es wäre also Zeit genug gewesen, sich mit ihm auseinanderzusetzen. 1976 verwendete ihn die südafrikanische Soziologin Diana Russell in ihrer Rede am Internationalen Tribunal zu Gewalt gegen Frauen. Später wurde er in der Vienna Declaration on Femicide ausgearbeitet und breit definiert – daraus entstehen auch einige Definitionsunschärfen.
Allgemein wird unter Femizid aber die «Tötung von Mädchen und Frauen aufgrund ihres Geschlechts» verstanden. Zentral ist dabei die strukturelle Dimension, die dem Begriff zugrundeliegt: Gewalt gegen Frauen, deren Spitze die Tötung darstellt, wird als gesellschaftliches Problem verstanden. Dies ist mit ein Grund, weshalb der Begriff auch in den internationalen feministischen Protesten gegen patriarchale Gewalt und Machismo wieder erstarkt: Versteht man die Gründe und die Systematik hinter einem Phänomen, lassen sich entsprechende Interventionen ableiten. Beim Bund geschieht dies aktuell. Denn die Schweiz hat 2018 – ja, erst 2018 – das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ratifiziert; bekannter ist es unter dem Namen Istanbul-Konvention.
Grosse Teile der Schweizer Medienlandschaft sind 2021 von einem solchen Verständnis der Gewalt gegen Frauen noch weit entfernt. Dies, obschon inzwischen ein ganzer Fächer an Literatur und an Leitfäden für die Berichterstattung leicht zugänglich wäre. Das Rechercheprojekt stopfemizid.ch beispielsweise hat jüngst einen solchen Leitfaden veröffentlicht. Darin heisst es unter anderem: sachlich beschreiben, nicht heroisieren oder romantisieren. Die Gewalt kontextualisieren und in einen grösseren Rahmen einordnen. Keine verpixelten Bilder des Opfers oder des Täters veröffentlichen. Keine Gewalt in Bildern darstellen. Keine Rechtfertigungen oder Gründe seitens des Täters suchen – dies verharmlost die Tat. Und keine Artikel zum Thema schreiben, wenn sie primär Klicks generieren sollen: «Frauen und ihre Geschichten und Körper sind kein öffentliches Gut und dienen auch nicht der öffentlichen Unterhaltung.»
In der Schweiz wird durchschnittlich jede zweite Woche eine Frau Opfer eines Femizids. Solche Taten als Femizide zu benennen, trägt dem Ausmass des Problems Rechnung.