Inside Munot

12. Juli 2021, Nora Leutert

Alle Welt spricht über den Munot, ein Sicherheitsgutachten jagt das nächste. Derweil ein kritischer Blick über die Zinne mit Munotwächterin Karola Lüthi.

Was tut Not auf dem Munot? Das wird dieser Tage viel diskutiert. Gerade wurde der sogenannte «Undurft»-Turm archäologisch erforscht, restauriert und neu eröffnet, währenddessen fehlt es dem Munot immer noch an einem Notausgang. Wieviele Gäste dürfen gleichzeitig hinauf? Nur noch 500? Und warum baut man nicht endlich einen zweiten Abgang von der Zinne? Während der Munotverein nochmal ein Sicherheitsgutachten in Auftrag gegeben hat, um erneut die Besucherobergrenze zu ermitteln: hier der Innenblick aus der Festung.

AZ Ich hatte gestern Abend den Eindruck, das Munotglöggli habe schon harmonischer geklungen. Kann das sein, Karola Lüthi?

Karola Lüthi Ich war schlapp, ja. Es hat tatsächlich Aussetzer gegeben.

Ist das Läuten eine Kraftfrage?

Zum Anreissen und zum Bremsen ist es eine Kraftfrage, dazwischen musst du dabeibleiben und nicht mit den Gedanken abschweifen. Ich weiss auch nicht, an was ich gestern herumstudiert habe.

Dann ist das Glöcklein tatsächlich ein wenig der Seelenspiegel der Munotwächterin?

Das hat was, ja.

Kriegen Sie oft Rückmeldungen auf ihr Läuten hin?

Im Gespräch schon. Aber nicht derart, dass mir jemand extra schreibt oder mich anruft.

War das vor vier Jahren, als Sie angefangen haben, noch anders?

Es gab mehr Rückmeldungen, aber sie waren stets wohlwollend. Der Unterton klang nach: Das kommt dann schon noch (lacht).

Hatten Sie anfangs das Gefühl, sich als Munotwächterin beweisen zu müssen?

Es war mehr so, dass mir früher nicht bewusst war, wie wichtig diese Tradition für die Schaffhauser ist. Ich war überrascht, dass die Leute solche Freude daran haben.

Und, begegnet man Ihnen anders auf der Strasse als in Ihrem früheren Leben?

So ein bisschen Cervelat-Promi ist man schon (lacht). Aber nicht, dass es unangenehm wäre. Einem Teil von mir gefällt dieses Bekanntsein und dieses Trallalla ja auch. Aber es gibt auch die andere Seite: Wenn es sehr viele Leute auf der Zinne hat, habe ich auch schon die Sonnenbrille und das Käppi angezogen, weil ich nicht auf Smalltalk aus war.

Sie können die Zinne ja auch von hier oben aus der Wohnung schön überwachen. Reissen sie dann manchmal das Fenster auf und weisen die Leute zurecht?

(Lacht) Ich kann gut «pfuttere», das macht mir gar nichts aus. Eine gewisse Polizeiader habe ich schon. Wenn die Kinder auf den Tischen rumrennen: Das geht gar nicht.

Sie scheinen eine gute Abwartin zu sein.

Ja, ich muss teilweise etwas streng sein. Auch, wenn ich über private Anfragen entscheide. Viele Leute wollen auf dem Munot ihr privates Event-Gedingsel machen, da muss ich manchmal einen Riegel schieben, wenn die Eventitis zu sehr überhand nimmt und die Leute beispielsweise auch noch auf dem Munot campieren möchten.

Die Munotwächterin mit Junghirsch Peter und seinem Harem. Zweimal am Tag werden die Hirsche gefüttert.
Die Munotwächterin mit Junghirsch Peter und seinem Harem. Zweimal am Tag werden die Hirsche gefüttert.

Etwas anders sieht es mit dem Munotverein aus, der auf dem Munot spezielle Ansprüche anmelden kann.

Der Munotverein kann sich gewisse Vorzüge rausnehmen, ja. Bei ihm kann ich darauf vertrauen, dass die Absichten rechtschaffen sind und kein Schaden angerichtet wird. Es ist schon so, dass der Verein ein gewisses Traditionsrecht hat: Er hat auf dem Munot und in der Zusammenarbeit mit der Stadt viel zu melden. Allerdings finde ich auch, dass man froh sein kann, dass sich der Verein um den Munot kümmert.

Man weiss schon ewig, dass auf dem Munot ein Sicherheitsproblem besteht, weil ein Notausgang fehlt. Aber statt dass etwas passiert, werden Gutachten um Gutachten in Auftrag gegeben, um die Besucherobergrenze auszuloten. Gewisse Dinge scheinen sich auf dem Munot nie zu ändern.

Die Restaurierung und archäologische Erschliessung des Undurft-Turms ist für mich ein schönes Beispiel, dass sich die Dinge auf dem Munot doch verändern. Man hat mit der aktuellen Neueröffnung dieses bisher unbekannten Teils den Weg eingeschlagen, geschichtlich mehr über den Munot zu informieren und ihn zugänglicher zu machen. Man macht sich auch schon lange Gedanken über einen behindertengerechten Zugang. Was die Diskussion um die Sicherheit auf dem Munot betrifft: Ich empfinde es nicht so, als wolle man nichts verändern. Es ist einfach echt schwierig. Und so halbpatzig wie der neue Rheinuferquai soll eine bauliche Lösung beim Munot nicht rauskommen, finde ich.

Aber Sie finden schon, dass man das Sicherheitsproblem lösen muss?

Der einzige Abgang des Munots, die Reitschnecke, ist ein Nadelöhr. Das schleckt keine Geiss weg, auch wenn der Munot ein gut überblickbares Areal ist. Wenn eine Massenpanik ausbrechen würde, könnte es gefährlich werden. Vorstellbar wäre, dass beim Grillieren einmal eine Gasflasche explodiert. Wenn der Stadtrat sagt, jetzt machen wir einen grossen Bauwettbewerb für einen zweiten Abgang von der Zinne, fände ich das super.

Der Munot ist umkämpftes Gebiet und gerät auch immer wieder in den Fokus politischer Fragen. Als die Klimajugend den Munot rot beleuchtete etwa. Wird da von Ihnen eine gewisse Haltung erwartet?

Ehrlich gesagt, ich war damals im Bett und habe geschlafen. Wenn ich gesehen hätte, wie die Jungen da raufkletterten, wäre in mir ganz einfach die Abwartin «dure druckt» und ich hätte sie verscheucht. Aber ich verstehe ihr Anliegen. Ich habe damals am Frauenstreik die Munotglocke auch nicht geläutet. Es gibt noch ein paar Dinge, für die ich den Glockenschlag auslassen würde. Es ist nicht immer einfach.

Sie stehen an der Schnittstelle zwischen Stadt und Munotverein. Viele wichtige Leute haben hier oben das Sagen und Etikette herrscht. Spüren Sie manchmal einen gewissen Druck oder geraten zwischen die Fronten?

Ich will es schon vielen Leuten recht machen. Aber ich bin nicht hier aufgewachsen und habe vielleicht auch einen etwas unbeschwerteren Zugang. Und ich finde nicht, dass der Munotverein ein starres Gebilde ist, ausserdem sind mir Traditionen nicht fremd. Der Munotverein hat sich ja auch sehr gewandelt. Das mit der Krawattenpflicht an den Munotbällen, was mir immer wieder unter die Nase gerieben wird, das ist ja schon ewig nicht mehr so.

Sind Sie Geheimnishüterin? Haben Sie eine Verschwiegenheitsklausel?

Es ist nicht so, als würde ich hier besonders viel mitbekommen. Der Munotverein macht seine Sitzungen ohne mich. Manchmal informieren sie mich, manchmal aber auch nicht (lacht).

«Ich habe zuvor lange die Gassenküche geleitet. Und das ist jetzt wirklich mal ein anderes Klientel.»

Karola Lüthi

Dann sind Sie nicht die Frau im Hintergrund, die über alles Bescheid weiss?

Nein, nicht so. Dabei, interessieren tut es mich schon (lacht). Ich habe Spass daran, zu entdecken, wer mit wem verwandt oder verbandelt ist und wo sich ein Kreis wieder schliesst. Nicht in dem Sinne, dass ich mir denke: «Ah, hab ichs doch gewusst, dass dieser mit jenem». Ich will nicht melodramatisch werden: Aber mich interessiert, was Leute für ein Schicksal haben. Ich habe ja zuvor lange die Gassenküche geleitet. Und das hier ist wirklich mal ein anderes Klientel.

Das kann man sagen, ja.

Hier habe ich mit gesunden Leuten zu tun, die gute Berufe, Familien und Freunde haben, Leute mit einem Funkeln in den Augen. Ich kenne auch den anderen Teil von Schaffhausen. Ich habe mich lange nicht in diesem FDP-Klüngel bewegt, sondern im Sozialarbeiter-Kuchen. Ich finde es läss, jetzt noch einen anderen Teil von Schaffhausen kennenzulernen. Was die Leute im Hintergrund machen, ob sie intrigieren, das weiss ich nicht.

Was die Leute im Hintergrund machen, ob sie intrigieren, das weiss ich nicht.

Karola Lüthi

Mitzuhören gäbe es auf dem Munot sicher einiges. Morgen Dienstag speist die Regierung am Medienhock mit der lokalen Presse auf der Zinne. Die Devise ist: Was auf dem Munot besprochen wird, bleibt auf dem Munot. Auch die AZ hat während Corona schon ihre Redaktionssitzung hier oben abgehalten.

Es ist übrigens schon so, dass auf dem Munot eher die AL Sitzung macht und nicht die junge SVP (lacht).

Tatsächlich?

Eine Anfrage habe ich von ihr jedenfalls noch nie gekriegt.

Jedenfalls haben diese Mauern schon viel gesehen.

Das denke ich mir oft: Wie alt diese Gemäuer sind und wie winzig das Zeitfenster, in dem ich hier wohne und wache. Wie wenig ich weiss. Das merke ich nur schon, wenn ich meinen Vorgängern zuhöre. So viele Munotwächter haben hier gehaust. Die Turmwohnung muss früher eine zugige Hütte gewesen sein, und es gab legendäre Blitzeinschläge.

Finden Sie, die Bedeutung des Munots hat sich in der Pandemie verändert? Die der Festung in der Krise?

Was man gemerkt hat ist, dass die Leute ihre Kinder bewegen mussten in dieser Zeit. Sie haben geschätzt, dass sie hier hochkommen können. Und natürlich gab es viel Besuch aus der Schweiz, besonders aus dem Welschen.

Ist in der Krise auch eine neue Heimatliebe erwacht?

Ja, ich habe schon das Gefühl. Viele Leute haben die Heimat und den Munot neu entdeckt.

Hat sich Ihr Verhältnis zum Munot auch verändert? War es einsam hier oben?

Es war schon einschneidend. 2017 habe ich als Munotwächterin angefangen. Und ich brauchte etwa drei Jahre, um wirklich anzukommen und zu wissen, wie der Karren läuft, das ging erstaunlich lange. Und als ich mich zurechtgefunden habe, kam Corona. Wir hatten den Munot ja dann auch eine Weile geschlossen. Ich fand das nicht entspannend, sondern eher beängstigend.

Die Munot-Führungen machen Sie als selbstständig Erwerbende. Haben Sie dafür Corona-Entschädigung bekommen?

Ja, da war ich sehr froh drum. Mein Partner und ich haben zusammen 60 Stellenprozent, das ist nicht viel.

Haben Sie eigentlich Anweisungen, die Munotglocke bei Alarm noch zu läuten?

Nein (lacht). Ich habe ja auch keine Feuerwache. Aber an Sonderanlässen wie dem 75. Gedenktag der Bombardierung läute ich die Glocke.

Und etwas möchte ich noch wissen: Nutzen Sie die Munotzinne eigentlich oft als private Terrasse?

Wenn Touristen weg sind, ja.

Was passiert dann hier oben?

Das ist ganz früh morgens oder dann abends nach acht. Abends, wenn der Munot auskühlt, trinken wir eins auf der Terasse, sinnieren. Oft haben wir auch Gäste, weil wir wegen dem Munotglöggli um 21 Uhr ja etwas angebunden sind. Aber weil ich eine enorme Frühaufsteherin bin – um 5.30 Uhr stehe ich auf – gehe ich meist ganz zeitig ins Bett abends.

Direkt nach dem Läuten um 21 Uhr? Dann sind Sie vielleicht eine der wenigen Personen, die sich ans Munotglöggli halten.

Ja (lacht). Und es ist schon so, dass ich den Munot viel für mich alleine habe, das ist cool.