Oldschool: Alter Hase, neues Album. Wie sich Sherpas neue Platte anhört und wieso er von der heutigen Rapszene enttäuscht ist. Ein Besuch in der Idylle.
Es git e Sach, die hani immer welä mache. Ich ha s Gfühl gha, ich mues das mache. Und nacheme Wiili hanis au chöne mache. Ich ha chöne welä und welä chöne. Denn sind Lüt mit Ahfrage cho und ich has dörfe mache. Denn sind Lüt cho und händ gmeint ich mües das mache. Und ich has nümm welä mache, obwohl ichs hett chöne mache. Ich wett und chan weni dörf, aber nid weni mues. Aber ich muess chöne welä, egal ob ich dörf.
Sherpa, Chöne welä (Skit), 2021
Elmar Oettli lebt in einem stattlichen Haus mit Garten. Am Hang, etwas ausserhalb des Beringer Ortszentrums. In seinem Wohnzimmer hängt ein Foto von Mani Matter. Es ist das Haus, in dem er aufgewachsen ist. Die Eltern sind mittlerweile ausgezogen, er wohnt mit zwei Freunden hier, wo die Vögel zwitschern und ein Gärtchen gepflegter aussieht als das andere. Gelegentlich jobbt der studierte Germanist als Aushilfslehrer. Den Rest der Zeit lebt er seinen Traum. Der spielt sich im ersten Stock ab und passt so gar nicht in dieses kleinbürgerlich idyllische Quartier. Oder eben doch? Zumindest, was seine Leidenschaft, die Rap-Musik, betrifft, hat Oettli eher konservative Ansichten.
Sherpa, sein Alter Ego, zu dem er wird, wenn er die Treppe in sein zum Tonstudio ausgebautes Kinderzimmer hinaufsteigt, ist ein alter Hase im Schaffhauser Rap-Game. Sein neustes Album «Alles chunnt anders», das er in diesem Raum komplett selbst geschrieben, aufgenommen, gemischt und gemastert hat, ist sein zehntes Projekt in 20 Jahren, das fünfte Soloalbum. Gross rausgekommen ist er nie. Hat er auch nie gewollt. Bereits 2008, als in der AZ ein Porträt über den damals noch blutjungen Rapper erschien, betonte er, mit Musik Geld zu verdienen sei nicht sein Ziel.
Der Wandel, der aufzieht
Heute Anfang 30, ist Sherpa mit dem amerikanischen HipHop der 90-er und der deutschen Gangsta-Rap-Welle der 2000-er grossgeworden. Vom aggressiven Stil der Deutschen sei er damals wenig angetan gewesen, erzählt er bei einer Tasse Kaffee am Küchentisch. «Mit denen von Aggro Berlin oder Kool Savas konnte ich nie viel anfangen.» Ihn reizten die technischen Feinheiten, mit denen Tupac Shakur seine Texte schrieb. Oder die erdrückend düsteren Texte aus dem Ghetto-Alltag, welche er auf Wutang-Clan-Platten hörte. Für ihn ist Rap nicht einfach Musik, sondern Teil der HipHop-Kultur: sportlicher Wettbewerb, Respekt, das Sich-Auseinandersetzen mit sozialer Ungleichheit. Beim Rap zählt für Sherpa primär der Text. Doch genau da, bei der «Consciousness», hapere es in der heutigen Rap-Szene.
Was isch passiert mit de Sach woni lieb, bi scho lang alarmiert, dass en Wandel ufzieht. Aber was isch mit Lyrics? Was isch mit Skills, was mit de Roots und was isch mit Sinn?
Sherpa, Nudle & Tomate, 2021
Enttäuscht und zurückgezogen
Der Wandel, den Sherpa meint, ist nicht neu und dürfte an Freunden der Rapmusik kaum unbemerkt vorbeigegangen sein. Er hat seinen Ursprung, wie fast alle HipHop-Trends und Stilrichtungen, in Amerika, genauer gesagt in Atlanta, Georgia. Bereits in den 90-ern kam dort etwas auf, was man heute Trap nennt: Tiefe Bässe, langsamere Beats, exzessiv klickende Hi-Hats, meist ein langsameres Sprechtempo als im klassischen Rap, dafür umso mehr Melodie in der Stimme, oft mit Autotune, und rhythmische Zwischenrufe in den Offbeat, sogenannte Ad-Lips. Weltstars wie 2 Chainz, Gucci Mane, Future und Drake brachten Trap auf die grossen Bühnen und ganz nach oben in die Charts. Zumindest in Amerika. In Europa dauerte es etwas länger, doch auch hier ist der wolkige Sound mittlerweile zum Standard geworden. Sogar knallharte deutsche Battle-Rapper wie Fler murmeln und singen heute über ihre Beats. Auf die Spitze treiben es Cloud-Rapper wie der Schwede Yung Lean, bei dessen Songs man sich vor verzerrten Stimmen und sphärischen Melodien fast auf einem Drogentrip wähnt.
Sherpa hält von alldem nicht viel. «Die versteht man ja kaum mehr. Da könnte man sich die Vocals auch gleich sparen», sagt er. Er vermisst Reimketten, schnelle Flows, das Rapperhandwerk. Und vor allem: Den Inhalt. «Heute zählt nur noch der Vibe; der Text, die Lyrik ist völlig egal geworden.» Diese Entwicklung beobachte er nicht nur in den Charts, sondern auch in der regionalen Rapszene. «Früher traf man sich zu Freestyle-Sessions. Heute stecken auch kleinere Rapper Zehntausende in die Produktion von Songs, machen Marketing und Social Media, es geht nur noch um Likes und Bekanntheit», sagt er. Was dabei verloren gehe sei die Reflexion, das Feilen an den Flows und Reimen, an der Message.
Sherpa wirkt etwa so, wie man sich den späten Kaspar Ilg (AZ vom 27. Mai) vorstellen würde. Zurückgezogen aufs Land und etwas enttäuscht von seinem künstlerischen Umfeld. Und von der Welt sowieso. Er rappt kritisch über Globalisierung und Digitalisierung, sagt Sätze wie: «Wir haben das Zuhören verlernt.» Rap ist ein Ventil für seinen Frust.
Aber während sich Ilg als «Maler, der an alten Idealen festhält» bezeichnete und ein goldenes Zeitalter von 20 Jahren definierte, dem er nacheiferte, kann man Sherpa sicher nicht vorwerfen, er sei in alten Mustern gefangen. Er entwickelt sich weiter, experimentiert. Mit Poetry-Slam-änlichen Skits, wie den am Anfang dieses Textes zitierten. Dazu inspiriert habe ihn Mani Matter, den er als «besten Rapper der Schweiz» bezeichnet.
Oder mit triolischen Beats, wie man sie im HipHop ansonsten kaum hört. Auch ein reines Instrumental mit Saxophon und ein Feature mit Singer-Songwriter Philipp Lippuner sind auf «Alles chunnt anders» zu hören.
Kreativ ist das allemal. Und lyrisch auf hohem Niveau. Dass sich Sherpa eher als Dichter denn als Musiker versteht, hört man auch der neusten Platte an. Der durchschnittliche HipHop-Hörer von heute, das kann man aus den Charts schliessen, würde sich etwas mehr Melodie und stimmliche Variation wünschen. Aber kommerzieller Erfolg war ja sowieso nie das Ziel. Kostendeckend muss es sein und das ist es, dank einer treuen Fanbase. Fast alle 100 Vinyl-Platten sind schon weg.
Ich ha nie wele de gröscht sii, nur en Sherpa wo id Höchi stiigt
Sherpa, Chumä n ufä, 2018
Sherpa, Chumä n ufä, 2018