Website-Icon Schaffhauser AZ

«Mit Hemd und Brille werde ich nie kontrolliert»

Gil gewährt einen Blick unter die Haube seines VW Scirocco.

Gil gewährt einen Blick unter die Haube seines VW Scirocco.

Autposer: vorverurteilt, schikaniert und nirgends willkommen. Drei PS-Freaks erzählen, warum sie sich von Gesellschaft und Polizei ungerecht behandelt fühlen. Sie wünschen sich mehr Respekt und Dialog.

«Du kannst die Tuningszene nicht verstehen, wenn du nicht Teil davon bist.» Dieser Satz eines Schaffhauser Garagisten hallt heute noch in meinem Kopf. Mit dem Mann, der ihn geäussert hat, konnte ich für diesen Artikel leider nicht mehr sprechen. Wie gerne hätte ich ihm erzählt, dass ich sie jetzt wirklich verstanden habe, die Tuningszene. Glaube ich zumindest. Und das, ohne dass ich ein Teil davon werden musste.

Vielleicht erinnern Sie sich an die Geschichte, die vor beinahe einem Jahr an dieser Stelle zu lesen war (AZ vom 11. Juni 2020). Die Geschichte eines Schreiberlings, der auszog, ein Autoposer zu werden. Warum? Weil man sich für seinen Geschmack zu einig war. Lärmklagen der Anwohner, politische Vorstösse, gehässige Leserbriefe. Sie sprachen alle nur eine Sprache: die der Ablehnung. Poser, Raser, Fahrer von PS-starken Karossen, das seien schlechte Menschen, die Spass daran haben, mit ihrem Lärm andere Menschen um wohlverdiente Ruhe und den Schlaf zu bringen. Die über ihr Fahrzeug ein gekränktes Ego zu kompensieren versuchen. Und die sich einen Dreck um unsere Gesetze scheren. Büssen soll man sie, ihnen ihre Autos wegnehmen und sie am besten gleich aus der Stadt verbannen.

Ob es an der Langeweile des ersten Lockdowns lag oder daran, dass die leeren Strassen – nicht nur in Schaffhausen, sondern in der ganzen Schweiz – offenbar dafür sorgten, dass Autofahrer tendenziell etwas mehr Gas gaben: Die ganze Stadt sprach über die Poser. Aber eben nur über sie. Mit ihnen gesprochen, ihnen wirklich zugehört, das hatten offenbar weder die Anwohner noch die Politik, noch die Polizei. Auch die Medien nicht, mich eingeschlossen. Und bei der Recherche wurde mir dann auch klar, wieso dem so war. Tuner, Poser, wie man sie auch nennen will, sind ein schweigsames Volk, keine «Snitches», wie sie es ausdrücken. Um mit ihnen zu sprechen, muss man Teil von ihnen sein. Dachte ich zumindest.

Poser halten Winterschlaf

Bis sich Ende Januar ein junger Mann bei mir meldete. Es stellte sich heraus, um mit Autoposern zu sprechen, reicht es auch, wenn man sich in einem Artikel lächerlich genug macht, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.

Der Mann heisst Michi. Mitte 20, Töffmechaniker, wie er mir später erzählen wird.Er sei auf meinen Bericht von vergangenem Sommer gestossen, schreibt er in einer E-Mail. «Sei mir nicht böse, aber mit einem Standard-Toyota geht das natürlich nicht», meint er in Anspielung auf meinen Selbstversuch im Kleinwagen meiner Schwester, den ich an der Fischerhäuserstrasse hatte aufheulen lassen (sofern man bei einem Diesel überhaupt von Heulen sprechen kann). Er könne mir anbieten, zu erleben, wie sich ein Auto mit 580 PS anfühlt. «Um zu verstehen, was den Reiz ausmacht.» Ich, begeistert, sage zu. Wann er denn Zeit habe, um posen zu gehen, frage ich. Erst im Frühling, antwortet er. «Mein Audi ist noch im Winterschlaf.» Das Nummernschild liege beim Strassenverkehrsamt.

Spätestens da bin ich mir sicher, an einen echten Autoliebhaber geraten zu sein. Denn wer sein Auto wirklich liebt, der schont es in der kalten, nassen Jahreszeit.

Das ist sicher einer der Gründe, warum es seit vergangenem Herbst ruhiger geworden ist im öffentlichen Diskurs um die Poser. Die lautesten Karossen verschwinden grösstenteils von den Strassen, sobald der Frost kommt. Und die Lärmkritiker von ihren Terrassen und Balkonen, wo sie sich den Sommer über die Ohren zuhalten müssen.

Polizei: Der «Lerneffekt» ist klein

Anruf bei einem der engagiertesten Leserbriefschreiber der Stadt, wenn es um Lärm geht: Rudolf Burgstaller. Er wohnt etwas oberhalb der Fischerhäuserstrasse, dem Poser-Brennpunkt Nummer eins Schaffhausens, und setzt sich seit geraumer Zeit dafür ein, dass sich das ändert. Mit Leserbriefen, Anrufen bei der Polizei und Beziehungen zur Politik. Seine letzte Wortmeldung findet man in der Leserbriefspalte einer SN-Ausgabe von vergangenem August. «Wer sich mit lauten Karren beweisen muss, ist wohl im wahren Leben etwas zu leise und zu unauffällig geworden», schreibt er. Klingt wütend. Seither ist Funkstille. Hat sich die Poser-Lage beruhigt am Rhein?

«Es ist subjektiv ruhiger geworden», sagt er. Die Tempo-30-Zone an der Fischerhäuserstrasse, die der Stadtrat im vergangenen Sommer auf politischen Druck von links und gegen Widerstand von rechts («Autoschikane») eingerichtet hat, zeige Wirkung. Das Problem sei aber noch längst nicht gelöst. Besonders an Wochenenden und bei schönem Wetter seien sie immer noch präsent, die Poser. «Immer dieselben fünf», sagt er. Zwar sehe er von seinem Balkon aus nicht auf die Strasse hinunter, doch er erkenne sie mittlerweile am Ton. Und dann rufe er bei der Polizei an. Zuletzt vor zwei bis drei Wochen. Damit sei er nicht allein. Über den Quartierverein Niklausen und Gespräche in der Nachbarschaft spreche man sich ab und rufe gemeinsam an, um den Druck zu erhöhen. Gut ein Dutzend Anwohner täten das regelmässig, sagt er. Die Antwort der Polizei sei immer dieselbe. Man schicke jemanden. Ob dann jeweils tatsächlich jemand komme, könne er nicht überprüfen. «Ich habe das Gefühl, die Polizei ist überfordert», sagt er.

Die Polizei teilt auf Anfrage mit, dass sie ebenfalls eine Beruhigung der Lage an der Fischerhäuserstrasse wahrnehme. Man erhalte aber weiterhin Lärmklagen aus der Bevölkerung und führe regelmässige Kontrollaktionen durch. Zu erwähnen sei, «dass regelmässig die gleichen Personengruppen auffallen und zur Anzeige gebracht werden». Der «Lerneffekt» scheine gering zu sein.

«Mein Auto ist wieder eingelöst», schreibt mir Michi im April. Wir verabreden uns bei der Tankstelle im Grubenquartier, neben Herblingen und der Rheinhalde einer der beliebtesten Treffpunkte von Schaffhauser Auto-fans. Es ist ein sonniger Samstagnachmittag. Ich fahre standesgemäss mit dem Velo vor und ernte belustigte Blicke von herumstehenden Sportwagenbesitzern, ein Motorrad brettert mit Karacho über das kleine Strässchen von der Waschanlage Blauer Elefant in Richtung Hauptstrasse. Michi steht etwas abseits neben seinem schwarzen Audi und winkt mir zu. Er hat zwei Freunde mitgebracht. Aaron und Gil, ebenfalls Autofans, angereist in einem Mercedes, ebenfalls in Schwarz. Für Poser wirken sie viel zu freundlich. Nur die Trainerhosen und atmungsaktiven Oberteile passen ins Klischee. «Wir waren gerade trainieren, normalerweise laufen wir nicht so rum», sagt Michi, als hätte er meine Gedanken erahnt. Das sind sie jetzt also, die gemäss Leserbriefen ihr zu kleines Ego mit ihren Fahrzeugen kompensieren müssen? Ich bin skeptisch.

«Poserautos sind sicherer als das meiste, was sonst auf den Strassen herumfährt», sagt Aaron.

Umgang hat sich verschlechtert

Wir beschliessen, an einen ruhigeren Ort zu gehen. Etwas ausserhalb des Buchthaler Ortszentrums haben Michi und seine Freunde eine Scheune gemietet, in der sie Autos unterstellen und an ihnen herumschrauben. Ich steige zu Michi in den Audi, das Velo lasse ich stehen. «Komm, wir nehmen die Landstrasse dorthin, dann kann ich dir etwas zeigen», sagt er und lässt den Motor an. Nur ein leises, tiefes Brummen ist zu hören, das von der Kühlung beinahe übertönt wird. «Wie viele PS waren es nochmal?», frage ich, als könnte ich mit der genannten Zahl etwas anfangen. 580.

Im Eingang der Scheune steht ein VW Scirocco, das Baby von Gil. Weiter hinten mehrere weitere alte VWs mit Sportsitzen und Beschriftungen, wie man sie aus dem Rallye-Sport kennt. Sie haben alle bereits etwas Staub angesetzt. Mit einem Leuchten in den Augen erzählen die drei, wie sie mit diesen Autos früher zu Vernstaltungen mit Gleichgesinnten gefahren sind. 2015 waren sie am Wörthersee-Treffen, einer der grössten Versammlungen von VW-Fans der Welt. Den Umgang, den sie dort erlebt haben, würden sie sich auch für die Schweizer Autoszene wünschen, sagen die drei, die auf der Zürcher Seite des Rheins wohnen. Auch im Singener Industriegebiet habe man sich früher noch friedlich treffen und über Autos sprechen können. «Heute macht die Polizei dort regelmässig Razzien, Kontrollen an den Grenzen und versucht alles, damit Autofans nicht mehr hingehen.»

«Wir haben manchmal das Gefühl, vorverurteilt zu werden, nur weil wir so ein Auto fahren.»

Der Umgang mit Autofans habe sich in letzter Zeit stark verschlechtert, sind sie sich einig. Das liege einerseits an der Repräsentation in den Medien, die zu einseitig berichten. «Wer gerne leistungsstarke Autos hat, wird immer gleich als Poser oder Raser abgestempelt», sagt Michi. Dabei seien 95 Prozent derer, die ein Auto fahren, wie er eines fährt, einfach nur begeistert von der Technik und vom Fahrgefühl, wollen niemanden stören oder beeindrucken. «Die Blicke, die ich kassiere, wenn ich einfach nur anständig einer Strasse entlang fahre, sagen schon alles.»

Schlechter Ruf — zu Unrecht?

Verschlechtert habe sich andererseits auch der Umgang mit der Polizei. «Wir haben manchmal das Gefühl, vorverurteilt zu werden, nur weil wir so ein Auto fahren», sagen die drei. Beispiele haben sie unzählige zu erzählen. «Letztens wurde ich angehalten und der Beamte meinte nur gehässig: ‹Ausweis!›. Nicht einmal ein ‹Grüezi› brachte er raus. Das zeugt nicht gerade von Respekt», erzählt Michi. Oft würden zudem Autos zu Kontrollzwecken konfisziert. Einfach so. «Ich kenne jemandem, dem haben sie die teure Auspuffanlage aufgeschnitten. Die war im Eimer. Entschädigt wurde er nicht, obwohl sie nichts Illegales gefunden haben.»

Wird bei jeder Polizeikontrolle nachgemessen: Die Mindesthöhe des Fahrwerks.

Es gehe der Polizei aber nicht nur um die Autos, sondern auch um die Fahrer. «Ich werde ständig kontrolliert. Auf dem Arbeitsweg aber noch nie, weil ich da Hemd und Brille trage», sagt Aaron. Offenbar passe er dann nicht mehr ins Poser-Feindbild.

Der Informatiker findet, Autos aus der deutschen Luxusklasse, wie er eines fährt, hätten zu Unrecht einen schlechten Ruf. «Diese Autos sind heute fahrende Computer mit Spurhalte-Assistent, automatischer Bremsfunktion und anderen Systemen, die sowohl den Fahrer als auch die anderen Verkehrsteilnehmer schützen.» Die angeblichen «Poserautos» seien sicherer als das Meiste, was sonst so auf der Strasse unterwegs sei.

Mag sein. Aber was ist mit denen, die diese Autos missbrauchen, unnötigen Lärm machen und Anwohner wie Rudolf Burgstaller in den Wahnsinn treiben? «Ich habe Verständnis dafür, dass einen das stört. Ich glaube aber nicht, dass das Lärmproblem so gross ist, wie es gemacht wird. Einerseits ist es in der Stadt nun mal lauter als auf dem Land. Andererseits zweifle ich etwas daran, dass die Beschwerden einiger Weniger repräsentativ sind für die gesamte Gesellschaft», sagt Aaron.

«Ich glaube nicht, dass das Lärmproblem so gross ist, wie es gemacht wird.»

Nun sagt auch Gil etwas, der bisher wortlos an seinem Scirocco gelehnt hatte: «Gerade wenn man jung ist, möchte man halt ab und zu etwas Gas geben. Die meisten wachsen da aber irgendwann raus, wenn sie älter werden.» Was fehle, das seien Orte, an dem Autobegeisterte ihre Leidenschaft ausleben können: eine Rennstrecke. Geeignete Strecken gebe es in der Schweiz leider kaum, weil Rundstreckenrennen (mit Aunahme der Formel-E) hierzulande bereits seit 1955 verboten sind. «Überall, wo wir hinkommen, stören wir. Nicht einmal das Singener Industriegebiet lässt man uns. Wenn es einen Ort gäbe, wo wir niemanden stören, würden wir da hingehen.»

«Wir erkennen das Problem an, dass einige Autofans zu wenig Rücksicht auf Anwohner nehmen. Aber es darf nicht sein, dass alle verteufelt werden, nur weil sich wenige nicht benehmen», sagt Michi. Er würde sich weniger Schuldzuweisungen und mehr Dialog wünschen.

Die unerwiederte Liebe

Rudolf Burgstaller, dem ich ein paar Tage später von meinem Gespräch mit den drei Autofans erzähle, lacht nur. Für ihn als Anwohner mache es keinen Unterschied, ob er mit seinem Engagement gegen laute Autos einem grossen Teil der Szene Unrecht tue. Für ihn zählt nur, dass es leiser wird an der Fischerhäuserstrasse.

Sicher haben Sie, liebe Leserin, bereits geahnt, was mir Michi auf der Landstrasse auf dem Weg zur Scheune zeigen wollte. Das, was unter der Haube seines Audis steckt. Kick-Down ohne Vorwarnung. Es drückt uns in den Sitz, ein Kribbeln in der Magengegend breitet sich blitzschnell durch den ganzen Körper aus, alles fliegt an mir vorbei. «Alles in Ordnung bei dir?», fragt Michi, als wir langsamer werden.

Was ich in dem Moment nicht artikulieren kann: Ich kann verstehen, wie man sich in so ein Auto verlieben kann. Und dass man dann nicht dabei zuschauen will, wie andere einen dafür hassen. Das muss es sein, was der Garagist mir damals mitteilen wollte.


Die mobile Version verlassen