Die Zukunftshoffnung der SP

3. Mai 2021, Doerte Letzmann
Livia Munz im Ratssaal, in dem der Grosse Stadtrat ausserhalb von Pandemiezeiten tagt.
Livia Munz im Ratssaal, in dem der Grosse Stadtrat ausserhalb von Pandemiezeiten tagt.

Seit 100 Tagen ist SP-Grossstadträtin Livia Munz im Amt. Warum sich mit ihr die Stadtpolitik, die SP und die Gesellschaft verändern wird.

Die AZ hatte Livia Munz, die im November 2020 für die SP in den Grossen Stadtrat gewählt wurde, schon einmal im Blatt. Und zwar 2004, als 17-jährige Co-Präsidentin der Jusos. Damals trafen sich Munz und der 77-jährige ehemalige SP-Parlamentarier Heini Schweizer zum Gespräch. In vielen Punkten waren sie sich einig, nur nicht darüber, ob man als Sozialdemokratin die Schriften von Marx und Engels kennen müsse.

Darauf angesprochen lacht Munz und sagt: «Die habe ich bis heute nicht gelesen.» Die junge SP-Grossstadträtin ist eher pragmatisch. Ihr geht es um die Sache, nicht um die politische Theorie.

Das erklärt, warum sie die Jusos nach einigen Jahren wieder verliess und sich stattdessen bei der Pfadi engagierte. «Ich habe die politischen Diskussionen geliebt», erinnert sie sich, aber bei den Jusos, da habe sie das Gefühl gehabt, nichts bewirken zu können. «Bei der Pfadi konnte ich viel mehr bewegen», erklärt sie.

Bei einer Tasse Kaffee an ihrem Küchentisch erzählt sie, wie sie jeden Samstag Nachmittag mit den Pfadfindern unterwegs und später als Ausbildungsverantwortliche für die Jugend- und Sportkurse tätig war. Auch während ihres Studiums in Basel kehrte sie jedes Wochenende zu den Schaffhauser Pfadis zurück. Erst mit Ende zwanzig hörte sie damit auf.

Start in die Stadtpolitik

Danach konzentrierte sie sich einige Zeit auf ihren Beruf als Lehrerin an der Sekundarstufe. Doch der Wunsch, etwas bewegen zu wollen, der blieb. Deshalb entschied sich die 34-Jährige im letzten Jahr für eine Rückkehr in die Politik. Dass sie dann so schnell in den Grossstadtrat gewählt wurde, hat sie dennoch selber überrascht.

Dass der Einstieg in die Politik so reibungslos geklappt hat, mag auch an ihrem Hintergrund liegen, denn Munz stammt aus einer SP-Politikerinnenfamilie aus Hallau. Ihre Mutter, Martina Munz, ist seit 2013 Nationalrätin. Der Vater war lange im Gemeinderat und hat sich später stark in der SP Hallau engagiert. Das hat Spuren hinterlassen.

«Livia Munz hat einen politischen siebten Sinn.»

Thomas Weber

Die Jungpolitikerin ist sich bewusst, dass ihre Kindheit ihr besondere Voraussetzungen mitgegeben hat. «Ich habe eine politische Grundbildung, die andere nicht einfach so haben», bestätigt sie.

Ihr SP-Parteikollege Thomas Weber, der sie schon seit der Schulzeit kennt, drückt es so aus: «Livia Munz hat einen politischen siebten Sinn». Er hat für sie nur Lob übrig: Nicht nur sprühe sie vor Energie, sondern sie sei auch gewissenhaft und seriös. Und das Beste: «Es geht ihr nicht um Macht, sondern um Inhalte», erklärt er. Und diese Inhalte, wie gute Arbeitsbedingungen und Gleichstellung, das seien die traditionellen Kernwerte der Sozialdemokratie.

Dass es Munz um die Sache statt um die Karriere geht, diesen Eindruck hat auch Carmen Vlah, die Co-Präsidentin der SP-Frauen Schaffhausen. «Sie wird politisch das tun, was für die Schaffhauser Bevölkerung nötig ist, statt ihre eigene Agenda voranzutreiben», vermutet sie.

Wandel in der SP

Trotz der schnellen Wahl in den Grossen Stadtrat will Munz nicht einfach in die Fussstapfen der Mutter treten. Auch auf eine Karriere innerhalb der SP legt sie sich nicht fest. Verändern möchte sie die Partei dennoch. «Die SP muss verjüngt werden», sagt Munz. Sie spricht von einem Wandel und einer Neuorientierung und davon, mehr junge Frauen für die Politik zu rekrutieren. Auch Thomas Weber sagt: «Livia Munz verkörpert eine neue Generation.»

Sieht man sich Munz’ vergangene Errungenschaften an, dann könnte die Neugestaltung der SP klappen. Als sie damals, 2003, den Jusos beitrat, war die Gruppe «im Prinzip ausgestorben», berichtet sie. Als Co-präsidentin baute sie dann zusammen mit Manuel Käppler eine Gruppe von rund zehn aktiven Leuten auf. Käppler sagt heute, Munz’ Engagement habe damals eine tragende Rolle gespielt.

Wenn Munz sich an diese Zeit erinnert, dann schmunzelt sie. «Wir hatten sehr viel Spass, auch wenn wir politisch nicht viel bewegt haben», erinnert sie sich.

Livia Munz im Gespräch mit Heini Schweizer, Februar 2004.
Livia Munz im Gespräch mit Heini Schweizer, Februar 2004.

Sie erzählt, wie sie sich zusammen mit ihren Parteikolleginnen für die Legalisierung von Cannabis einsetzte. Zumindest sei das der Plan gewesen. Die Gruppe habe extra Filter drucken lassen, auf denen sie für die Legalisierung warb. Die Filter wurden aber nie verteilt. «Als alles gedruckt war, entdeckten wir einen Rechtschreibfehler. Da haben wir die Sache über Bord geworfen», erzählt Munz und lacht.

Die Legalisierung von Cannabis befürwortet sie heute noch, aber das wird kein zentraler Punkt ihrer Arbeit als Grossstadträtin sein. Da ist sie pragmatisch.

Politische Ziele noch offen

Ihre restlichen Ziele hat sie noch nicht formuliert. «Ich habe keine politische Agenda», betont Munz. Aber es gibt Themen, für die sie sich einsetzen will: Gleichstellung, das Wohl der Jugend und die Integration von Ausländerinnen.

Die Schaffung einer Stelle für Gleichstellung, die hält sie bei den jetzigen Machtverhältnissen im Grossen Stadtrat für möglich.

Daneben bewegt sie vor allem das Thema der Integration von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt. Die Berufswahl sei ein herausfordernder Prozess für die Jugendlichen.

«Man muss bei der Jugend ansetzen, wenn man die Gesellschaft weiterentwickeln will.»

Livia Munz

Sie findet, da könne die Politik und auch die Stadt-Politik noch einiges tun. «Bei der Schulbildung in der Stadt gibt es allgemein noch viel Nachholbedarf», sagt die Grossstadträtin. Sie kritisiert, dass Schaffhausen von der integrativen Schulform, die in anderen Kantonen bereits etabliert ist, noch weit entfernt sei.

Generell ist ihre Politik auf die Jugend ausgerichtet: «Man muss bei der Jugend ansetzen, wenn man die Gesellschaft weiterentwickeln will», erklärt sie. Und das habe Vorteile: «Wenn wir die Jugendlichen richtig unterstützen und integrieren und ihnen der Sprung in den Arbeitsmarkt gut gelingt, dann können wir langfristig viel Geld sparen.» Deswegen lohne sich dort eine Investition, argumentiert sie.

Als Lehrerin an der Sekundarstufe weiss Munz, wovon sie spricht. Sie war lange in Embrach im Kanton Zürich als Lehrerin tätig, tritt aber nach den Sommerferien eine Stelle in einer Oberstufe in Neuhausen an.

Dort wird sie als Fachlehrerin eine Kleinklasse im Werkjahr unterrichten und die Schülerinnen und Schüler, denen die Schule am schwersten fällt, auf ihre Berufswahl vorbereiten.

Sie ist sich daher bewusst, dass die Politik noch viel machen kann bei der Unterstützung von Jugendlichen auf dem Weg in die Arbeitswelt.

Frauenpolitik vorantreiben

Ebenso bestimmt setzt sich Munz für Frauenpolitik ein. Mit ihrem Postulat, das die Bereitstellung kostenloser Tampons und Binden für Schülerinnen an den obligatorischen städtischen Schulen fordert, hat sie ein Frauenthema im Grossen Stadtrat bereits angestossen. Und sie ist zuversichtlich, dass es Unterstützung finden wird.

In der Opposition stösst der Vorstoss aber bereits jetzt auf Kritik. Grossstradtrat Mariano Fioretti (SVP) kommentierte in einem Tele Top – Beitrag: «Eine Frau braucht andere Unterwäsche als ein Mann und hat mehr Ausgaben. Was machen wir denn dort?» Er glaube nicht, dass der Bedarf überhaupt bestehe.

Munz hält dagegen: «Da hat er recht, Frauen brauchen auch andere T-Shirts als Männer.» Nicht nur bestehe der Bedarf, sondern aus ihrer Sicht tue es der Gesellschaft gut, über die Menstruation zu diskutieren. Mit dem Vorstoss will die Politikerin also auch ein breiteres Umdenken erreichen.

Will sie die Gesellschaft irgendwann von Bern aus verändern? «Nein», sagt Munz. Denn das sei ein Fulltime-Job und dafür sei sie zu gerne Lehrerin.

Überhaupt mache sie keine solchen Zukunftspläne. Denn die Politik mache ihr grosse Freude, aber sie müsse noch sehen, ob das so bleibt. Jetzt wolle sie erst einmal die Schaffhauser Stadtpolitik mitgestalten.