Zwei Fliegen mit einer Krippe

20. März 2021, Doerte Letzmann
Bald sind die Kinder weg. Die Kinderkrippe am Ringkengässchen soll umziehen. Foto: Peter Pfister

Die städtische Krippe soll weg aus der Altstadt, das Haus im Baurecht abgegeben werden. Kommt die Vorlage des Stadtrats durch?

In einer Sache sind sich alle einig: Die städtische Kinderkrippe Lebensraum, die einzige in der Altstadt, kann unter den gegebenen Umständen nicht in ihrem Gebäude im Ringkengässchen bleiben. Der Bau aus den 1950er-Jahren ist stark sanierungsbedürftig. Zwar hat die Stadt über die Jahre punktuell ausgebessert, aber entweder müsste das Gebäude komplett saniert werden, oder die Krippe muss in ein anderes Gebäude umziehen.

«Irgendetwas muss geschehen», betont deshalb Bernadette Rottinger. Die Leiterin der Kinderkrippe zählt die Probleme des alten Gebäudes auf: die einglasigen Fenster, die kleinen Räume, die Verteilung auf vier Stockwerke ohne Lift, die fehlenden Aufenthaltsräume für die Mitarbeitenden, der Schimmel im Keller. Das mache sowohl die Arbeit für die Angestellten als auch die Umsetzung des pädagogischen Konzeptes der Frühförderung schwerer.

Was sie besonders schmerzt? Dass sie schon Kinder mit besonderen Bedürfnissen ablehnen musste, da die räumlichen Einschränkungen keine optimale Betreuung zulassen.

Neue Räume für Kinderkrippe

Der Stadtrat plant deswegen eine Verlegung der Kinderkrippe. Er will, dass sie aus dem Ringkengässchen in Räumlichkeiten im Werk I der Stahlgiesserei umzieht. Nur: die neue Krippe läge im Mühlental und damit ausserhalb der Altstadt und müsste von einem privaten Investor gemietet werden.

Die Eigentümerin der Stahlgiesserei, die Klaiber Immobilien AG, hat der Stadt dafür ein «attraktives Mietangebot unterbreitet», wie es in der Vorlage des Stadtrats vom 8. September 2020 steht, über die am 23. März im Grossen Stadtrat abgestimmt werden soll. Für 108500 Franken im Jahr könne die Stadt eine «modern eingerichtete Kinderkrippe betreiben». Sie müsste lediglich 600 000 Franken für den Innenausbau bezahlen.

Eine «Win-win-Situation», sagt Finanzreferent Daniel Preisig (SVP) auf Anfrage der AZ. «Mit der Platzierung der Kinderkrippe in der Stahlgiesserei, dem Ort in Schaffhausen mit der höchsten Zuzugsdynamik, gewinnt unsere Stadt an Attraktivität für zuziehende junge Familien», erklärt er.

Auch für Sabina Hochuli, Abteilungsleiterin der Kinder- und Jugendbetreuung der Stadt, ist die Verlegung der Kinderkrippe in die Stahlgiesserei eine gute Option, denn dort befinden sich alle Räume auf einer Ebene. Treppen seien zwar nicht per se ein Problem, aber in einem modernen Kinderkrippen-Konzept müssen sich Kinder selbst von Raum zu Raum bewegen können, sagt sie. Bernadette Rottinger vom Ringkengässchen sieht das ähnlich. «Wir würden uns sehr freuen, wenn wir umziehen könnten», sagt sie.

Und Stadtrat Rohner (FDP) betont: «Die Stahlgiesserei ist aus fachlicher Sicht eine gute Lösung für Kinder, Mitarbeitende und Eltern.» Er spricht von strengen Kriterien für moderne Kinderkrippen, die im Rahmen des Projektes formuliert wurden.

Kritik von verschiedenen Seiten

Gegen die Idee der Verlegung der Kinderkrippe aus der Altstadt regt sich jedoch Widerstand. Die Interessengemeinschaft der Anwohner ist strikt gegen einen Wegzug der Kinder. «Mit der Aufhebung der einzigen Kinderkrippe in der Altstadt wird diese als Wohn- und Lebensraum abgewertet», sagt Kurt Frei von der IG Pro Kinderkrippe.

Auch die AL-Fraktion des Grossen Stadtrats ist skeptisch. «Wir sind zwar nicht grundsätzlich gegen eine städtische Krippe in der Stahlgiesserei, aber gegen eine Mietlösung, und wir halten am Standort Altstadt für eine Kinderkrippe fest», fasst Grossstadträtin ­Angela Penkov die Haltung der Fraktion zusammen. Deswegen will sie, dass der Stadtrat Alternativen prüft.

Auch die Fachkommission Soziales des Grossen Stadtrats, in der die Vorlage des Stadtrats diskutiert wurde, hat einstimmig eine Ergänzung der Vorlage in diesem Sinne beschlossen. Innerhalb von zwei Jahren soll der Stadtrat «Bericht erstatten, ob zusätzlich an einem anderen, besser geeigneten Ort in der Schaffhauser Altstadt ein Kinderbetreuungsangebot geschaffen werden kann». Penkov kündigt an, dass die AL den Antrag noch mit einer Anpassung versehen will, die den Stadtrat stärker in die Pflicht nimmt. Der jetzige Antrag entspricht einem Prüfungsauftrag, die AL will jedoch, dass sich der Stadtrat verpflichtet.

Alternativen geprüft

Auf Anfrage zeigt sich der Stadtrat offen für alternative räumliche Lösungen. «Für das Anliegen, dass in der Altstadt ein Krippenangebot bestehen soll, hat der Stadtrat grosses Verständnis», sagt Daniel Preisig.

Spricht man mit Bildungreferent Rohner, so wird klar, dass schon mehrere Gebäude eingehend geprüft wurden. Die Villa Blankenstein auf dem Fäsenstaub zum Beispiel. Das Haus gehört der Stadt und ist zur Miete ausgeschrieben. Auch dieses Haus müsste aber grundlegend saniert und umgebaut werden, wenn es eine Krippe beherbergen soll. «Es gibt zwar einen Lift, aber der Rest des Gebäudes – da liegen noch die Leitungen auf dem Putz. Als Umgebung für Kinder undenkbar», erklärt Bernadette Rottinger. Würde die Stadt allerdings in den Umbau investieren, dann sei das Haus eine «gute Lösung», allein schon wegen der Nähe zu Spielplätzen und Kindergärten.

«Die Villa Blankenstein war lange im Rennen», sagt Sabina Hochuli, doch letztlich sei sie ebenfalls sanierungsbedürftig und keine Verbesserung zum Ringkengässchen. Dass die Räumlichkeiten in der Mietausschreibung explizit als Kita-tauglich angepriesen werden, sei eine «unglücklich gewählte Formulierung», ein «Standardtext für diese Art von Bauzone».

Laut Rohner wurde auch das Haus zur Freudenfels in der Safrangasse, in dem sich zurzeit die Einwohnerkontrolle befindet, schon eingehend geprüft. «Die Option Freudenfels könnte zum Tragen kommen», stellt er in Aussicht.

Der Bildungsreferent betont jedoch, dass die Nähe zu Kindergärten in Zukunft nicht mehr relevant sei. Denn Teil der Schulraumplanung sei, dass Kinder im Kindergartenalter zukünftig in Schülerhorten in den Schulen untergebracht würden. «Diese Änderung wird bereits jetzt Schritt für Schritt vollzogen und soll mit dem Umzug in die Stahlgiesserei abgeschlossen sein», sagt er dazu. 

Wunder Punkt Baurechtsabgabe

Der Umzug der Krippe ist nicht der einzige wunde Punkt. Der Clou der Vorlage ist nämlich, dass sie zwei Dinge miteinander verbindet: Gleichzeitig mit der Verlegung der Krippe soll über eine Abgabe der Liegenschaft Ringkengässchen im Baurecht abgestimmt werden. Ein Antrag in der Fachkommission Soziales auf eine Trennung der beiden Geschäfte wurde abgelehnt.

Dazu Daniel Preisig: «Die Geschäfte bilden zusammen ein sinnvolles Ganzes. Mit dem Umzug der Krippe in die Stahlgiesserei wird die Liegenschaft Ringkengässchen frei. Um einen Leerstand zu vermeiden, muss die Baurechtsvergabe rechtzeitig vorbereitet werden können.» Sowohl der Umzug in die Stahlgiesserei als auch die Baurechtsabgabe könnten im Sommer 2022 über die Bühne gehen.

Die AL sieht das anders. «Insgesamt fehlt der sachliche Zusammenhang zwischen der Baurechtsabgabe und der Krippenvorlage. Mit einer Baurechtsabgabe verliert die Stadt Einflussmöglichkeiten», sagt Angela Penkov. Sie stellt deshalb in Aussicht, dass die AL im Rat einen Rückweisungsantrag stellen und ein Referendum ergreifen werde, wenn die Vorlage so im Grossen Stadtrat angenommen wird.

Auch bei den Anwohnerinnen stösst die Baurechtsabgabe sauer auf. «Die Stadt will ein hochwertiges Grundstück in der Altstadt der öffentlichen Nutzung entziehen», monieren sie.

Ob die Vorlage im Grossen Stadtrat eine Mehrheit finden wird, ist unklar. Bisher haben sich die SP- und Mitte-Fraktionen nicht kritisch zur Vorlage geäussert.

Bei der Schweizer SP kommt das gar nicht gut an. Zu den Plänen des Schaffhauser Stadtrats schreibt Nationalrätin Jacqueline Badran auf Twitter: «Da sage ich vom Schiff aus: no way!» Auch die Schaffhauser Nationalrätin Martina Munz (SP) ist befremdet von der kritiklosen Haltung der städtischen SP. «Das geht gar nicht!», schreibt sie, ebenfalls auf Twitter.

Die SP-Fraktion sagt jedoch: nichts. Sie hat sich bis zur Stadtratssitzung am 23. März zum Schweigen verpflichtet. Nur so viel will der SP-Fraktionschef Urs Tanner preisgeben: «Wir haben mit den Mitte- und der AL-Fraktion eine einheitliche Strategie entwickelt.» Man werde eine Mehrheit finden im Grossen Stadtrat, deutet er an. Es gelte «einen Scherbenhaufen zu verhindern», fügt er hinzu. Zu einer Volksabstimmung werde es aber nicht kommen, da ist er sich sicher.

Noch im Bau: In der Stahlgiesserei will die Stadt ab 2022 Räume für die Krippe mieten. Foto: Peter Pfister