Macher und Denker

26. Februar 2021, Jimmy Sauter
Gaswerkareal: Hier könnte eine neue Strasse gebaut werden, um den weiter unten gelegenen Abschnitt beim Salzstadel von Autos zu befreien.
Gaswerkareal: Hier könnte eine neue Strasse gebaut werden, um den weiter unten gelegenen Abschnitt beim Salzstadel von Autos zu befreien.

Stadtplanung: Das Gassa-Restaurant ist gescheitert. Wie soll es jetzt weitergehen? Ein Rundgang mit Christian Wäckerlin, Präsident des Schaffhauser Architektur Forums, und SVP-Politiker Michael Mundt.

Montagnachmittag auf dem Gassa-Areal. Auf dem Parkplatz wartet ein Autofahrer mit laufendem Motor. Auf den Treppen zum Rhein vor dem Salzstadel hängen ein paar Jugendliche herum. Mamas und Papas schieben Kinderwagen vorbei, ein Rentner geniesst auf einer Bank ein Sonnenbad. Hier hätte ein Restaurant entstehen sollen.

SVP-Grossstadtrat Michael Mundt befürwortete das Gassa-Projekt. Christian Wäckerlin, Präsident des Schaffhauser Architektur Forums «Scharf», schaltete sich kurz vor der Abstimmung mit kritischen Voten in die Debatte ein und ist über das Resultat nicht unglücklich. Aber eigentlich wollen beide dasselbe: eine Aufwertung des Areals vom Gassa-Parkplatz bis zum Gaswerk hinauf. Nur: Über die Wege, wie es dazu kommen soll, sind sie sich uneins.

1. Station: Gassa

AZ Michael Mundt, Sie haben sich für ein Ja zum Gassa-Restaurant eingesetzt. Würden Sie Christian Wäckerlin als Verhinderer bezeichnen?

Michael Mundt Nein, ich glaube nicht, dass er ein Verhinderer ist. Er möchte es einfach anders, als wir es uns vorgestellt haben. Aber klar war ich enttäuscht.

Christian Wäckerlin Was soll ich denn verhindert haben?

Das Restaurant und damit eine Aufwertung dieses Areals.

Wäckerlin Die Arealaufwertung, wie Scharf sie versteht, war nicht die Abstimmungsfrage, denn dieses Areal reicht von hier, dem Gassa-Parkplatz, bis zum Gaswerk. Es ging in der Abstimmung aber nur um diesen Platz. Am Anfang war ja der Wunsch von SP-Grossstadtrat Stefan Marti, hier am Wasser ein Bier trinken zu wollen…

Was haben Sie denn dagegen, am Rhein ein Bier trinken zu wollen?

Wäckerlin Nichts!

(allgemeines Gelächter)

Wäckerlin Ich wäre sicher auch einmal in dieses Beizli gegangen, wenn es zustande gekommen wäre. Ein Problem war, dass sukzessive neue Nutzungen dazukamen. Plötzlich war auch vom Heiraten die Rede. Davon hatte Marti nie gesprochen.

Mundt Ich kann mir das Resultat nur damit erklären, dass die Gastrobranche zurzeit wegen der Corona-Pandemie in der Krise ist und die Leute es nicht für angebracht hielten, jetzt ein neues, städtisches Restaurant zu bewilligen. Ich will auch das ganze Areal aufwerten, aber ich hatte das Gefühl, wenn wir jetzt an diesem Ort einmal mit einem konkreten Projekt begonnen hätten, dann wäre das ein Startsignal dafür gewesen, mit den Aufwertungsplänen weiter oben fortzufahren. Jetzt hier einfach einen Foodtruck aufzustellen, wie das zum Teil gefordert wird, das ist für mich keine Aufwertung.

Wäckerlin Warum keine Buvette? Testend starten, da wäre ich voll dabei. Man hat aber nicht einmal über die Strasse hinaus gedacht. Dort drüben beispielsweise (Wäckerlin zeigt Richtung «Wii am Rii») steht seit drei Jahren eine Beiz leer. Wenn man diese Ränder analysiert – und das macht ein Architekt, der streunt wie ein Hund umher und schaut sich auch den Kontext an –, dann wäre man nie auf die Idee eines fixen Baus gekommen. Das war ein fundamentaler Fehler.

Mundt Wenn man mit einem grossen Plan kommt, dessen Umsetzung vielleicht 35 Millionen Franken kostet, wird es sehr viel schwieriger, die Stimmbevölkerung dafür zu gewinnen, als für ein einzelnes, kleines Projekt, das nur 2 Millionen Franken kostet. Das Problem ist nicht das Stadtparlament.

Das Problem ist nicht das Stadtparlament? Sie und die gesamte bürgerliche Ratsseite gehören doch zu den Ersten, die die Kosten genau anschauen und dann damit beginnen, alles, was nicht unbedingt nötig ist, zu streichen. So ist es schon beim unteren Rheinuferabschnitt geschehen. Sämtliche einigermassen innovativen Vorschläge wie ein Steg zum anderen Ufer wurden aus Kostengründen verworfen. Man hat dem Stimmvolk nicht einmal eine Auswahl gelassen.

Mundt Ich war damals leider noch nicht dabei. Aber natürlich gehört es zur Pflicht von bürgerlichen Politikern, genau darauf zu schauen, wofür wie viel Geld ausgegeben wird. Hier oben könnte man mit weniger Geld viel mehr erreichen. Wenn man das Geld sinnvoll ausgibt, und das wäre bei einer Aufwertung dieses Areals der Fall, dann darf auch etwas investiert werden. Es bleibt aber zu berücksichtigen, dass viele auf bürgerlicher Seite auch Einnahmen sehen wollen, beispielsweise in Form von Baurechtszinsen von einem privaten Gastronomen.

Wäckerlin Weil es um den öffentlichen Raum geht, sollte man nicht primär marktwirtschaftlich denken. Oben am Lindli zum Beispiel hat die Stadt mehrheitlich Ausgaben. Die Stadtgärtnerei gestaltet, hegt, pflegt und räumt auf… Und das Lindli wird von den Leuten geschätzt. Man kann den öffentlichen Raum aufwerten, auch ohne Einnahmen generieren zu müssen.

«Ich kann mir vorstellen, dass jetzt ein privater Investor einspringt.» – Michael Mundt

2. Station: Gaswerk

Wir spazieren etwa 450 Meter vom Gassa-Parkplatz den Rhein hinauf bis zur grossen Kugel auf dem Gaswerk-Areal. Hier könnte die Rheinhaldenstrasse künftig abzweigen und mit der Buch­thalerstrasse verbunden werden. Damit würde das Rheinufer zwischen Gassa, Salzstadel und Gaswerk autofrei. Erste Pläne dazu existieren seit 15 Jahren (siehe unter anderem AZ vom 1. Dezember 2016).

Michael Mundt ist ein Befürworter dieser Strassenverlegung. Er hatte 2018 einen politischen Vorstoss eingereicht, in dem er forderte, der Stadtrat solle dem Stadtparlament innert sechs Monaten Resultate einer Machbarkeitsstudie zur Verlegung der Strasse vorlegen. Sie sind bis heute noch nicht veröffentlicht worden.

Michael Mundt, warum ist Ihnen die Verlegung der Strasse so wichtig?

Mundt Die Strassenverlegung wäre essentiell, um das ganze Areal aufwerten zu können. Wenn man bei diesem Prozess von Anfang an die verschiedenen Parteien ins Boot holt und zusammen mit Vertretern vom Bau – von mir aus gerne auch zusammen mit euch vom Architektur Forum – ein Kernteam bildet, dann könnte etwas entstehen, das mehrheitsfähig wird.

Sie sind für eine Strassenverlegung, egal was es kostet?

Mundt (lacht) Jein … Wenn wir 75 Millionen Franken ausgeben müssten, dann können wir es vergessen. Wenn es 35 Millionen sind, können wir noch darüber reden. Am Ende ist die Frage, wie viel die Aufwertung des ganzen Areals kosten soll.

Wäckerlin Das wird sicher nicht billig. Die Strassenverlegung böte zwar eine riesige Chance, aber ich wage zu bezweifeln, ob sie heute so möglich wäre. Es gibt auch Anwohner, die nicht so erfreut wären, wenn der Verkehr in Zukunft hier durchfliessen würde. Die Testplanung ist ein Planungsinstrument des Stadtrates und sollte vor Beginn mit allen Grundeigentümern möglichst positiv vereinbart werden. Die Erarbeitung selbst ist nicht öffentlich und bräuchte für planbare Ergebnisse eigentümerverbindliche Instrumente und während dem Prozess auch zwingend ein Medienmoratorium.

Der Journalist spitzt die Ohren.

Mundt Das hören die Medien sicher nicht gern.

Wohl kaum.

Wäckerlin Das muss so sein. Was jetzt auf der Breite geschieht, wo einzelne Protagonisten jeden Tag die Medien instrumentalisieren, das hilft gar nicht. Aber generell: Stadtentwicklung in Schaffhausen war immer auf Einzelbaustellen fokussiert. Wenn ein Bedürfnis erkannt wurde, entstanden aus dem Parlament Vorstösse. Gassa, die Strassenumlegung, ein Spielplatz, ein Park, das Gaswerkareal… usw. Dann folgen einzelne Vorlagen und Beschlüsse. Was in Schaffhausen noch nicht funktioniert, sind Arealentwicklungen auf einer umfassenderen Ebene. Für dieses riesige Gebiet müssten nun alle bekannten Absichten und Projekte als beste Ideen für die zukünftige Entwicklung dieses wertvollen Stadtteils eingesammelt und verglichen werden.

Ideen dafür liegen ja schon lange vor, aber bis heute ist nichts passiert.

Wäckerlin Wir haben jetzt vorgeschlagen, eine Testplanung zu machen. Es braucht dafür mindestens drei Teams mit Fachpersonen aus der Stadt- und Raumplanung, aus der Architektur und aus der Landschaftsplanung. Mit 200 000 Franken wäre das möglich. Die Ergebnisse werden am Schluss öffentlich ausgestellt und vermittelt.

Mundt Ich glaube, die Vorlage einer Strassenverlegung ist fast fertig in irgendeiner Schublade des Baureferats.

Wäckerlin Leider ist Daniel Preisig mit seinem Gassa-Projekt dazwischengegrätscht.

Christian Wäckerlin, Sie sagen, die Hürden für eine solche Strassenverlegung sind hoch. Möglicherweise gibt es Einsprachen und den Gang durch alle Gerichtsinstanzen.

Wäckerlin Im Extremfall, wenn es nicht gelingt, alle Eigentümer zu überzeugen, dann ja.

Das könnte ewig dauern und dann doch scheitern. Wäre es gerade deshalb nicht klüger, anstatt das grosse Ganze zu planen, Schritt für Schritt vorwärtszumachen und damit beim Gassa anzufangen?

Wäckerlin Wie will man Schritt für Schritt eine neue Strasse bauen? Dieses Problem wäre doch mit Gassa nicht gelöst.

Mundt Es wird zu gross gedacht. Gerade das Beispiel Breite: Dort hat man auch Ewigkeiten geplant. Jetzt droht ein Scherbenhaufen. Deshalb muss man Schritt für Schritt mit kleinen Projekten vorgehen. So wie beim Gassa. Ob man dort heiraten kann oder nicht, das ist mir völlig egal. Mir war wichtig, dass es endlich vorwärtsgegangen wäre. So hätte die Stadt zeigen können, dass sie Aufwertung kann. Das Projekt wäre ein Anziehungspunkt geworden. Aus meiner Sicht braucht es auch mehr Grünflächen und einen Ort für Kinder zum Spielen. Das geht aber nicht beim Gassa. Dafür ist das Gassa der ideale Ort für eine Beiz.

Wäckerlin Abstimmungspropaganda ist nicht mehr nötig. Es ist bachab.

Mundt Jetzt muss man das Resultat analysieren. In bürgerlichen Kreisen sagen mir viele, sie hätten Nein gestimmt, weil die Stadt selber ein Restaurant bauen wollte. Das sei aber nicht ihre Aufgabe. Ich kann mir deshalb vorstellen, dass jetzt ein privater Investor einspringen wird.

Wäckerlin Du bist immer noch zu sehr auf diesen Platz fokussiert. Du musst den Blickwinkel aufmachen. Stadtentwicklungsprozesse benötigen entsprechende Zeitfenster und die Demokratie ist auch dafür da, die Prozesse zu verlangsamen. Das kann bis zu 20 Jahre dauern. Das übersteigt eine Amtsperiode eines Politikers bei weitem.

Aber das ist doch ein Argument, das gegen solche lang andauernden Planungen spricht. Vielleicht ist in vier Jahren jemand anders im Baureferat und die heute gemachten Pläne verschwinden wieder in irgendeiner Schublade.

Mundt Vielleicht ist dann Daniel Preisig Baureferent, dann geht es schneller (lacht).

Wäckerlin Ja, oder vielleicht ist Daniel Preisig dann Stadtpräsident. Jedenfalls: Es gäbe Instrumente, um dieses Schubladisieren zu verhindern. Das untere Rheinufer ist leider nicht städtebaulich entwickelt worden. Der Prozess und auch das Resultat war und ist nicht überzeugend. Beim Gassa war es die Liegenschaftsverwaltung, die das Zepter an sich gerissen hat. Man wollte, dass das vorinvestierte Geld wieder in die Kasse zurückfliesst. Ich vermute, die Baureferentin wurde umdribbelt. Man muss der Stadtplanung das Heft wieder in die Hand geben. Wenn das Gassa-Restaurant angeblich eine so grosse, einmalige Chance gewesen wäre, dann hätten sich auch die Baureferentin und der Stadtpräsident einmal äussern müssen. Ich habe nur Daniel Preisig gehört.

«Weil es um den öffentlichen Raum geht, sollte man nicht primär marktwirtschaftlich denken.» – Christian Wäckerlin.

3. Station: Salzstadel

Wir gehen wieder zurück in Richtung Altstadt und machen beim 1673 erbauten Salzstadel halt. Im denkmalgeschützten Gebäude sind der Bootsclub, der Kanu-Club, der Fischereiverein und der Pontonierfahrverein eingemietet. Sie lagern hier ihre Boote.

Christian Wäckerlin, Sie haben den Salzstadel als mögliche Beiz ins Spiel gebracht. Wie müssen wir uns das vorstellen?

Wäckerlin Die Stadt könnte den Salzstadel sanieren. Dabei könnte auch die heute provisorische Infrastruktur der Mieter gestärkt werden. Das riesige Gebäudevolumen könnte Synergien ermöglichen, die es bisher nicht gab, die aber schon immer gewünscht wurden. Nebst Garderoben könnte ein Vereinslokal sinnvollerweise mit der heute thematisierten Gastronomie kombiniert werden. Auch hier wäre eine überzeugende Lösung zu dieser Aufwertung über einen Architekturwettbewerb zu finden, für den selbstverständlich die Denkmalpflege grundlegende Bedingungen schafft. In Schaffhausen gibt es mit Güterhof, Schweizerhof oder Rathauslaube genügend realisierte Beispiele, bei denen die Denkmalpflege gewichtig mitgeredet hat.

Mundt Der Salzstadel wäre ebenfalls ideal für ein gastronomisches Angebot. Draussen könnte eine Wiese oder ein Kiesplatz erstellt werden. Die Modernisierung des Gebäudes würde aber sicherlich teurer als das Gassa-Projekt. Heute muss man alles noch energetisch auf den neusten Stand bringen. Und das schliesst nicht aus, dass man beim Gassa vorwärtsmachen kann.

Wäckerlin Ich glaube, die Botschaft, es solle jetzt vorwärtsgehen, ist rübergekommen.

Was geschieht, wenn die Strasse doch nicht verlegt werden kann?

Wäckerlin Dann muss man mit einer Koexistenz aller Nutzer in diesem Gebiet umgehen lernen. Zum Beispiel mit Temporeduktionen. Und man muss Poser verbieten, denn es kann doch nicht sein, dass in einem aufgewerteten Gebiet weiterhin rücksichtslos rumgelärmt wird.

Wie wollen Sie das machen? Wollen Sie einen Stadtpolizisten hinstellen?

Wäckerlin Ja, verbieten.

Mundt Ich bin gegen eine Tempo-30-Zone. Entweder muss die Strasse verlegt werden, oder es wird hier nicht viel möglich sein. Der ganze Verkehr nach Büsingen und Dörflingen muss irgendwo durchfahren.

Zum Schluss kramt Christian Wäckerlin drei alkoholfreie Biere hervor. Man stösst miteinander an.

Bevor wir zum gemütlichen Teil kommen, noch eine letzte Frage: Wann stehen wir hier und sehen ein neu gestaltetes Areal?

Wäckerlin Im besten Fall, wenn alle Prozesse nach Plan verlaufen, sind Teilaspekte wie ein neuer Park vielleicht in 10 Jahren realisiert und der Entscheid, ob die Strasse verlegt wird oder nicht, steht fest.

Mundt So viel Geduld habe ich nicht. Ich wünschte mir, dass alles in 10 Jahren fertig ist.


Vielleicht ist Michael Mundt dann Baureferent.