Gewerbepräsident Marcel Fringer stellt der Regierung während der Krise ein gutes Zeugnis aus. Den eigenen Leuten hingegen zum Teil weniger.
Montag, erster Tag der Ladenschliessung im Lockdown: Die Stadt ist wie ausgestorben. Wir haben mit dem ehrenamtlichen Präsidenten des kantonalen Gewerbeverbandes eine Runde gedreht.
AZ Was halten Sie von der Ladenschliessung, Herr Fringer?
Marcel Fringer Ich habe Corona am eigenen Leib erlebt, deshalb schlagen zwei Herzen in meiner Brust: Die Frage nach der Gesundheit und die nach der Wirtschaft. Wenn der Staat die Ladenschliessung als richtige Massnahme einschätzt, dann ist es so.
Momentan herrscht ein Wirrwarr, was verkauft werden darf oder wann beispielsweise Geschirr oder Unterwäsche «Verbrauchsgütercharakter» haben. Hatten Sie in den vergangenen Tagen auch mit solchen Fragen zu tun?
Es gibt Groll, das höre ich in der Diskussion mit Betroffenen. Gewisse Geschäfte werden gegenüber anderen benachteiligt. Im Frühling mussten etwa die Blumenläden zumachen, während im Migros weiterhin Blumen verkauft wurden, dieses Mal trifft es wieder andere. Geklärt werden solche Details aber mit den Branchen- und Ortsverbänden. Wir als kantonaler Dachverband sind die politische Vertretung.
«GastroSchaffhausen» und «Pro City» schienen bisher in der Schockstarre oder im Winterschlaf. Was können Sie während der Krise für die KMUs machen?
Wir versuchen, zusammen mit der Wirtschaftsförderung die Infos zu den Hilfsmassnahmen für unsere 1200 Mitglieder aufzubereiten. Auch wichtig während der Krise: Seit dem Frühling haben wir die Zusammenarbeit mit den Ostschweizer Kantonen gestärkt und können vieles von ihnen übernehmen, die grösseren unter ihnen haben auch Rechtsanwälte. Mir ist es zudem gelungen, Zürich in den Ostschweizer Gewerbeverband zu holen, auch wenn die etwas Mühe mit dem Namen haben (lacht). Jetzt haben wir eine stärkere Vertretung im schweizerischen Zentralvorstand, der im direkten Austausch mit dem Bundesrat steht.
Sie bringen sich ganz oben mit ein. Was hat das den Schaffhauser Gewerbetreibenden konkret gebracht?
Dass die Gelder auf Bundesebene fliessen zum Beispiel und vielleicht auch, dass der Lockdown erst jetzt kommt. Oder dass nun die Coiffeurgeschäfte offen bleiben können. Klar, hier geht es nicht um die Anliegen von einzelnen Betroffenen, sondern um die der einzelnen Branchen.
Dinge also, die im Hintergrund laufen.
Ja, es ist sehr viel im Hintergrund passiert.
Sie sind indessen nie an die Öffentlichkeit getreten mit harten Forderungen.
Als Gewerbepräsi müssten Sie doch mal mit der Faust auf den Tisch hauen.
Das ist eine Gratwanderung. Es gibt Gewerbler, die mehr, und solche, die weniger Massnahmen wünschen. Ich selbst komme aus der Baubranche, da sagen alle, es laufe besser als letztes Jahr. Wir haben auch Profiteure unter uns.
Aber man kann schon zu Ihrer Einschätzung kommen. Ich war früher ein grosser Polteri, in den letzten Jahren habe ich mich gemässigt. Ich sehe es auch als meine Aufgabe, den Haufen zusammenzuhalten.
«Man darf nicht vergessen: Das sind alles Unternehmerinnen und Unternehmer.»
Marcel Fringer
Sie sagen, dass Sie zu breite Interessen vertreten, um es zu einer klaren Haltung zu bringen?
Wenn die Haltung gerechtfertigt ist, dann schon. Aber wenn sich ein Unternehmer am Stammtisch oder per Mail bei mir beklagt, nehme ich nicht das Telefon in die Hand und rufe die Presse an, um genau das weiter zu erzählen. Ich prüfe die Information zuerst und frage die Behördenseite. Meistens ist dann doch alles etwas anders. Nicht weil der Unternehmer lügt. Die Leute sind im Elend, sie sind am Anschlag. Wenn ich mit dem Rücken zur Wand stehe, lasse ich mich auch mal zu Aussagen hinreissen, die nicht abgeklärt sind.
Wie wollen Sie denn die Interessen des Gewerbes vertreten?
Laut zu poltern, das habe ich gemerkt, bringt ausser Publicity wenig. Im Gegenteil, ich habe manchmal sogar das Gefühl, es bringt einem in eine schlechtere Position. Ich versuche stattdessen, im Hintergrund Druck aufzubauen: Wir haben mit dem Regierungsrat Gespräche geführt und ihn so weit gebracht, dass er einzelne Branchen und einzelne Unternehmen angehört hat. Wir kämpfen wirklich dafür, dass die Hilfsgelder jetzt auch tatsächlich schnell fliessen.
Sie stellen der Regierung während der Krise ein gutes Zeugnis aus. Wäre da nicht mehr Offensive gefragt?
Wir hatten die Unterstützung der Regierung auf unserer Seite. Volkswirtschaftsdirektor Ernst Landolt hat die Problemfelder gesehen, er hatte sehr schnell ein offenes Ohr. Das ist vorteilhaft in Schaffhausen: Der Präsident des Zürcher Gewerbeverbands etwa kommt nicht an den Zürcher Regierungsrat heran, dort ist bei den Chefbeamten Schluss.
Es gibt Kantone, die ihre Aufgaben nicht gemacht haben. Schaffhausen hingegen hat bereits im Frühling die Grundlage dafür geschaffen, dass die Unterstützung des Bundes jetzt im zweiten Lockdown schnell ausbezahlt werden kann.
In Schaffhausen wurde während des ersten Lockdowns von 22 Härtefallgesuchen gerade mal die Hälfte bewilligt. Und seit Oktober wurden von nur 20 Gesuchen erst drei beurteilt, davon zwei gutgeheissen (Stand 14. Januar). Das sind ganz schön wenig.
Ich will mich auf keinen Fall gegen die Gewerbler kehren: Aber es gibt schon Unternehmende, welche es nicht auf die Reihe brachten, diese Formulare auszufüllen. Eigentlich müsste es seit einem halben Jahr räble, hunderte Gesuche müssten vorliegen.
«Ich kann nicht jeden Einzelnen an der Hand nehmen und daran heranführen.»
Marcel Fringer
Die Instrumente sind Ihrer Ansicht nach gut, sie werden nur nicht genutzt?
Ja. Und wieso sie nicht genutzt werden, das versuchen wir herauszufinden und die Unternehmenden zu informieren und zu unterstützen. Aber ich kann nicht jeden Einzelnen an der Hand nehmen.
Müsste man nicht darauf schliessen, dass die Hürden für die Härtefallentschädigung zu hoch waren?
Darüber kann man diskutieren. Dadurch, dass wir Druck aufgesetzt haben in Bern, ist es nun einfacher und unbürokratischer geworden. Das ist in meinem Sinn. Dennoch bin ich nicht der Meinung, dass absolut jeder seine Firma sanieren kann. Da bin ich auch noch Bürger und Steuerzahler.
Was halten Sie davon, wenn gewisse Leute von einer «Strukturbereinigung» reden?
Strukturbereinigung ist eine harte Formulierung. Aber man kann eine Firma, die schlecht aufgestellt war, nicht mit Steuergeldern für ein, zwei Jahre überlebensfähig machen. Gestern habe ich mit einer Wirtin gesprochen. Sie meinte, immerhin würden auch Unternehmende, die keine Rücklagen haben, ihren Lebensunterhalt bestreiten. Und das stimmt: Wenn einer zehn Jahre von der Hand in den Mund geschäftet hat, war er zumindest nicht auf dem Sozialamt. Aber jetzt funktioniert das leider nicht mehr. Viele Unternehmende haben neun Monate lang nichts gemacht und gedacht, es komme schon wieder.
Viele Betriebe sind jetzt jedenfalls trotz intensiver Bemühungen am Limit oder am Ende. Und dann gibt es ja auch noch all die, die erst kürzlich eröffnet oder umgebaut haben.
Für die jungen Unternehmen ist es aus meiner Sicht eine Katastrophe. Und dann gibt es wirklich auch Branchen, die vergessen wurden und durch alle Maschen fallen, insbesondere die Reisebranche. Und natürlich: Es gibt ganz viele schlimme Einzelschicksale, die mir sehr leid tun. Etwa der 64-jährige Unternehmer, der nächstes Jahr aufhören wollte und jetzt sein ganzes Erspartes aufbrauchte. Aber als Gewerbeverbandspräsident des Kantons muss ich dennoch das grosse Ganze anschauen.
Was ist Ihre Prognose für die Wirtschaft?
Die zentrale Frage ist, wie lange die Krise noch dauert. Die Arbeitslosigkeit wird jedenfalls steigen, es wird Entlassungen geben. Einige Firmen werden im Frühling nicht mehr existieren. Die, welche gut geschäftet haben und jetzt die Formulare ausfüllen, werden überleben, auch wenn sie vielleicht etwas redimensionieren müssen. Man darf nicht vergessen: Das sind alles Unternehmerinnen und Unternehmer, da muss man sich auch bewegen können.