Die Regierung lehnt Corona-Härtefallanträge ohne Begründung ab. Der Rechtsweg ist nicht vorgesehen – doch diese Praxis widerspricht der Verfassung.
Der Kanton signalisiert in der Krise Grosszügigkeit: 50 Millionen Franken stellte er zur Rettung von Schaffhauser Unternehmen für ein Corona-Hilfepaket bereit, das der Kantonsrat im Juli bewilligte. Aus diesem Topf wird die kantonale Beteiligung an Corona-Härtefallentschädigung finanziert.
Was aber, wenn ein Betrieb oder ein Selbstständiger aus Sicht des Kantons die Voraussetzungen für einen Härtefallantrag nicht erfüllt? Der AZ liegen zwei Entscheide vor, die den Betroffenen per E-Mail zugestellt wurden. Der Härtefallantrag, steht in den beiden Mails, wurde vom Regierungsrat behandelt und abgelehnt. Eine Begründung wird nicht angeführt, stattdessen der Hinweis: «Es besteht kein rechtlicher Anspruch auf eine Härtefallentschädigung, womit dieser Entscheid nicht anfechtbar ist.»
Der erste Teil dieses Satzes, «kein rechtlicher Anspruch», ist nicht erstaunlich. Die Covid-19-Verordnung des Kantons hält fest, dass «kein Rechtsanspruch auf Leistungen nach dieser Verordnung besteht».
Das Problem ist der zweite Teil. Die Regierung ist offenbar der Ansicht, dass keine Rechtmittel ergriffen werden können, dass man sich gegen einen ablehnenden Entscheid also nicht wehren kann. Damit handelt die Regierung nach der Einschätzung von mehreren Experten verfassungswidrig.
Der Ursprung des Fehlers
Wer von staatlichem Handeln betroffen ist, muss im Konfliktfall Rechtsmittel ergreifen können – diese Rechtsweggarantie ist in der Bundesverfassung verankertes Grundrecht. Doch bei Corona-Härtefallgesuchen gibt es keine Rechtmittel, wenn es nach der Schaffhauser Regierung geht.
Diese Praxis hat ihren Ursprung vermutlich in der Hektik der «ausserordentlichen Lage» im März. Der Bundesrat erliess damals unter anderem die «COVID-Verordnung Kultur» mit Soforthilfen und Ertragsausfällen für den Kultursektor. Sie hielt explizit fest, dass keine Rechtsmittel gegen Entscheide möglich seien. Ein Passus, der von der Fachwelt umgehend als mit der Verfassung nicht vereinbar kritisiert wurde: «Das geht vorne wie hinten nicht auf», schrieb der renommierte Verfassungsexperte Giovanni Biaggini von der Universität Zürich.
Der Ausschluss von Rechtsmitteln wurde in der Folge gestrichen, die nachfolgende Verordnung, welche den Kulturbereich ab September regelt, hält explizit fest, dass es ein Rechtsmittelverfahren gibt. Der Bund hat den Fehler korrigiert.
Bis nach Schaffhausen scheint sich die Erkenntnis, dass die verfassungsmässige Rechtsweggarantie auch während der Pandemie gilt, jedoch nicht durchgesetzt zu haben.
«Selbstverständlich anfechtbar»
Einer der Härtefallentscheide, die der AZ vorliegen, betrifft einen Kulturschaffenden, der zweite das Restaurant Kitchin am Herrenacker. Wirtin Jasmin Michaud sagte der AZ schon im November, sie brauche schnelle finanzielle Hilfe, und reichte einen Härtefallantrag ein. Jetzt wurde er vom Kanton abgelehnt, Michaud wird die Firma in diesen Tagen zum Konkurs anmelden. «Ich bin extrem enttäuscht vom Kanton», sagt sie. Michaud will nicht aufgeben und lässt sich juristisch beraten.

Es ist durchaus denkbar, dass die beiden Gesuche zu Recht abgewiesen wurden – die Kriterien für «Härtefälle» sind hoch angesetzt. Eindeutig nicht rechtens ist aber, dass der Entscheid nicht begründet wurde – und dass die Regierung behauptet, der Entscheid sei nicht anfechtbar.
Eine Begründung, die auch kurz sein könne, sei «ein essenzieller und unverzichtbarer Bestandteil jeder auf bestimmte Personen bezogenen staatlicher Entscheidung», schreibt Rainer Schweizer, früherer Ordinarius für öffentliches Recht an der Universität St. Gallen. Er hat die Entscheide und die Rechtslage für die AZ geprüft und kommt zum Schluss, die Ablehnung einer Härtefallentschädigung sei «selbstverständlich anfechtbar» und der Regierungsrat könne keine Ausnahme von der Rechtsweggarantie schaffen.
Dies bestätigt alt Oberrichter Arnold Marti, ein ausgewiesener Experte für Verfassungsrecht und Rechtsschutz. Aus der Bundesverfassung ergebe sich, dass Gesuchsteller «einen Anspruch auf rechtliches Gehör haben, wozu auch gehört, dass die Ablehnung eines Gesuchs materiell begründet werden muss». Zumindest müsse die Gelegenheit geboten werden, eine formelle und begründete Verfügung zu verlangen – was der Kanton offenbar nicht getan hat. Denn: ob die Regierung die Voraussetzungen für Zugang zu Härtefallentschädigungen für alle gleich auslege und nicht willkürlich handle, müsse «in einem Rechtsstaat überprüfbar sein».
Nicht mit der Verfassung vereinbar
Auch Marti schreibt, die Entscheide seien entgegen der Auskunft der Regierung anfechtbar: «Nach der heute in Art. 29a der Bundesverfassung verankerten Rechtsweggarantie hat jede Person bei Streitigkeiten mit der Verwaltung, wozu auch Entscheide über Entschädigungsgesuche ohne Rechtsanspruch gehören, Anspruch auf Beurteilung durch eine richterliche Behörde», schreibt Arnold Marti.
«Das Vorgehen des Regierungsrates ist in mehrfacher Hinsicht nicht korrekt.»
Alt Oberrichter Arnold Marti
Es sei zwar möglich, in Ausnahmefällen per Gesetz eine Ausnahme zu definieren, ein solcher Ausschluss von Rechtsmitteln sei jedoch im Bezug auf Corona-Härtefallgesuche weder vom Bund noch vom Kanton vorgesehen und durch eine kantonale Regelung aufgrund der Kantonsverfassung und des Bundesgerichtsgesetzes wohl auch nicht zulässig. «Somit ist meines Erachtens klar, dass Rechtsmittel erhoben werden können», so Marti und kommt zum Schluss: «Das Vorgehen des Regierungsrates ist in mehrfacher Hinsicht nicht korrekt.»
Konkret ist dieses Vorgehen – keine Begründung, keine Rechtsmittel – weder mit der Bundes- noch mit der Kantonsverfassung vereinbar.
Daniel Sattler, Departementssekretär in Ernst Landolts Volkswirtschaftsdepartement, das die Gesuche behandelt, relativiert. Die Gesuchstellenden hätten natürlich Anrecht auf eine Begründung: «Diese bekommen sie auch. Wir sind während des Verfahrens in Kontakt mit den Gesuchstellern und erläutern ihnen den Entscheid mündlich und stehen für Fragen offen.»
Was die Anfechtbarkeit der Entscheide angeht, verweist Sattler auf die Vorlagen zur Covid-19-Verordnung und zum geplanten Gesetz. Dort ist erläutert, warum es keinen Rechtsanspruch geben könne: Weil die finanziellen Mittel limitiert seien. Mit dem Ausschluss eines Rechtsausschlusses könne «auch verhindert werden, dass anderweitig benötigte Mittel mit Rechtsstreitigkeiten blockiert werden».
Nur: «kein Rechtsanspruch» darf nicht bedeuten, dass die von der Verfassung garantierten Rechtsmittel nicht offenstehen. Sattler entgegnet: «Wir werden diesen Hinweis aus den Mitteilungen entfernen. Einem Gesuchsteller nützt es aber nichts, wenn er an ein Gericht gelangt und Leistungen einfordert, auf die er keinen Rechtsanspruch hat.» Mit unbürokratischer Unterstützung und Beratung sei den Betroffenen mehr geholfen, so Sattler. Diese Gespräche, auch nach Ablehnung eines Gesuchs, könnten beispielsweise aufzeigen, dass der Entscheid über ein Gesuch immer nur eine bestimmte Periode betrifft. Sattler betont: «Ein Betrieb, dem wir für bestimmte Monate keine Härtefallentschädigung ausrichten konnten, soll sich dadurch nicht entmutigen lassen, erneut an uns zu gelangen, wenn sich seine Situation verschlechtert.»
Die Härtefallentschädigungen basieren bislang auf einer Notverordnung, die bis spätestens März 2021 vom «Corona-Sofortmassnahmen-Gesetz» abgelöst werden soll. Bald berät das Parlament über den Entwurf der Regierung.
42 Härtefallanträge
Nach Angaben des Volkswirtschaftsdepartements sind bisher 42 Härtefallanträge eingegangen. Genau die Hälfte davon, 21, sind noch pendent. Von der anderen Hälfte der Anträge wurden 12 gutgeheissen und 9 abgelehnt.