Die Sopranistin Kornelia Bruggmann umgibt eine besondere Aura. Ihren Alltag sieht sie als Gesamtkunstwerk.
Ein leichter Duft nach Quitten hängt in der Luft, als man in die Scheune des Siblinger Bauernhauses tritt. In der Feuerschale glimmt eine Glut. In einer Ecke ist eine Werkstatt eingerichtet, in einer anderen steht ein kolossales, noch nie gesehenes Flügelinstrument. Brennholz stapelt sich an der unverputzten Wand, darüber hängen schwere Porträtgemälde. Und jetzt steigt das Musikerpaar die Treppe hinunter.
Wer Kornelia Bruggmann schon mal singen gesehen hat, weiss: Diese Frau ist eine Naturgewalt. Wie die Sopranistin am Jazzfestival 2015 die kalte Munotkasematte betrat, im langen Kleid und mit wogendem Haar: Barfuss war sie, die Besucher trugen Windjacken und Turnschuhe und wichen ehrfürchtig zurück. Die Singende stimmte, wie einer Vision folgend, archaische Laute an: die fast vergessenen canti del capricorno, die Gesänge des Steinbocks des Komponisten Giacinto Scelsi, deren Studium Bruggmann über zehn Jahre ihres Lebens gewidmet hat. Über dem Arm trug sie einen Fuchs, ein Fell, versteht sich, und so schritt sie dahin wie eine Grenzgängerin zwischen Tier-, Toten- und Menschenreich.
Genauso aber beherrscht die in Biel aufgewachsene Sängerin Humor und Komik. So war sie etwa mit einer schrillen Ballade von Nina Hagen das Highlight des Schaffhauser Sommertheaters Das Parkett 2015. Die NZZ schrieb anlässlich eines Auftritts vor drei Jahren, Bruggmann sei als Stimmartistin «ein Phänomen!». Was sie mache, könne man eigentlich gar nicht beschreiben, man müsse es selber erlebt haben.
Fest steht jedenfalls: Kein Laut ist für diese Sopranistin unmöglich, keine Geste für sie zu gross. Und wenn sie wild mit den Augen rollt und strahlt und strahlt, kann sich dem niemand entziehen. Kornelia Bruggmann hat eine Aura, die ihresgleichen sucht.
Der Künstlerhort
Kornelia Bruggmann steigt also die Treppe in ihrer Scheune in Siblingen hinunter, gefolgt von Partner Andres Ehrismann. Die beiden bieten sofort das Du an und begeben sich hinter das eigentümliche Flügelinstrument. Der Bann von Kornelia Bruggmann ist auch jetzt ungebrochen. Nur, was für ein Bann?
Jedenfalls einer ohne Berührungsängste. «Ich mache alles, was mir nicht wehtut», ist Bruggmanns Credo als Sängerin. Zusammen mit Andres Ehrismann bringt sie den «Klangflügel» in ihrer Scheune zum Klingen, mit Zupfen und Streichen und Drücken, und plötzlich hat Bruggmann einen Pingpong-Ball im Mund, auch okay, und lässt ihn in eine Klangschale ploppen.
Auf diese Weise wird jeder Besuch empfangen, der in der Bilderausstellung vorbeischaut, die das Musikerpaar in Erinnerung an den verstorbenen Kunstmaler Stephan Dämpfle eingerichtet hat. Von der Scheune aus wird man in ihre Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer geführt, wo weitere Werke des Künstlerfreundes hängen und noch ein Konzert gegeben wird. Eintritt kostet das nicht, Kollekte oder Naturalien als Mitbringsel sind willkommen. Es ist nicht das erste Mal, dass das Musikerpaar in seinen intimen Gemächern Kunst zeigt und macht.
Leben und Kunst, Gastfreundschaft und Dankbarkeit treffen im Hof im Winkel in Siblingen aufeinander. Das ist es, was Kornelia Bruggmann kultiviert: Das grosse Ganze.
Wie ein Gedicht
Nach der Darbietung sitzt man Bruggmann am Küchentisch gegenüber. Vor ein paar Jahren gab die 61-Jährige die Lehrtätigkeit an der Zürcher Hochschule der Künste und an der Musikschule Schaffhausen auf, um sich ihrer Beziehung, ihren sieben Kindern und den sieben Enkeln widmen zu können. Und ihren Projekten als freischaffende Sängerin. «Alles, was jetzt noch kommt, ist wie ein Dessert», so Bruggmann.
Es ist eigenartig. Einerseits schöpft diese Frau im Gespräch, wie man es erwartet hat, aus dem Vollen. Und doch gleitet sie einem durch die Finger. Auch, nachdem man versucht hat, sie über eine Stunde hinweg mit Fragen zu ergründen. Sie bleibt schillernd.
Nur wenig gibt sie von sich preis. Stattdessen erzählt sie in grosszügigen Bildern. Sie hat eine fast schon lyrische Sprache und so klingt auch ihr Leben wie ein Gedicht, wo das Elementare kostbar und romantisch wird. Man sitzt plötzlich nicht mehr in einem Kaff im Chläggi, sondern in einem Tal, wo es sich gut lebt und sich Menschlichkeit offenbart. Wo man beim Nachbarn klopft, wenn man «kein Salz mehr hat». Wo Bruggmann regelmässig «Denker und Handwerker und Philosophinnen» zum «Tabloval», zum Tisch im Tal, bei sich zu Hause zusammenruft. Und wo sie, wenn ihr im Lockdown die Decke auf den Kopf fällt, «unter Balkonen, unter Linden und an Brunnen» singend «auf die Stör» geht.
Kornelia Bruggmann bringt alles zum Klingen. «Mein Alltag ist ein Gesamtkunstwerk», sagt sie. Der Hof, das Dorf gehört ebenso dazu. «Ich kann mich überall einrichten», sagt Bruggmann, «und es ist mir auch wichtig, mich einrichten zu können.» Sie ist nicht die Künstlerin, die in ihrem Umfeld anecken und stören will, sondern sie bettet sich ein. Siblingen ist für sie ein Ort mit toleranter, grosszügiger Stimmung und voller spannender Menschen. Sie bringt sich ein im Dorf, fungiert hier gar als Bestattungsbeamtin.
Immer wieder lässt sie einen Finger über den Teetassenrand kreisen. Sie scheint sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Darunter aber spürt man eine Spannung, eine Ungeduld vielleicht.
Mit dem Kopf durch die Wand
Die launische, divenhafte Seite, ja, die habe sie tatsächlich, sagt Bruggmann. «Eine Schwierigkeit war für mich immer, dass ich mit viel Dampf vorgegangen bin, gegen andere, aber auch gegen mich selbst. Mit zu viel Wille, zu viel Druck, mit dem Kopf durch die Wand», sagt Bruggmann und schildert dies so plastisch, dass man sich gar dazu verleiten lässt, sie nach ihrem Sternzeichen zu fragen.
«Stier», sagt Kornelia Bruggmann.
Und was hat es nun ihrer Meinung nach mit ihrer Aura auf sich?
«Die hohen Soprane, da ist so viel Spannung im Körper, das hat etwas Überkandideltes», sagt Bruggmann. «Eine Präsenz hinzubringen, ein Magnet zu sein, diese Strahlkraft erreichen zu können, davon lebe ich natürlich.» – «Nur», so fügt sie lächelnd an, «Im richtigen Moment, etwas bescheidener sein, das muss man dann auch können.»
Kornelia Bruggmann ist Künstlerin durch und durch, davon zeugt ihre Ausstrahlung, ihr Alltag, ihr Haus. Noch immer arbeitet sie gern bis tief in die Nacht, wie sie es sich angewöhnt hatte, als die Kinder klein waren und sie ihre Schlafenszeit zum Schaffen nutzte. Die Musik gehörte für die Kinder zum Einschlafen dazu. «Sie haben den Haushalt und unsere Kunst mitgetragen», so Bruggmann.
Im Musikzimmer der Sängerin sind an der Wand mit Bleistift Projekte und Ideen aufgeschrieben. Hauptsächlich arbeitet sie im Moment an Schuberts Winterreise. Ein Werk, das ideal in die heutige Zeit der Einsamkeit und Sehnsucht passt, findet Bruggmann. So ist die menschliche Annäherung, der Austausch auch für sie selbst das überhaupt Wichtigste beim Singen: Sich immer wieder zu bemühen «zum Lose, Lausche, Luege, Lüchte.» Daher rührt wohl auch ihre Aura.
Die Ausstellung im Winkel 5b in Siblingen, mit musikalischer Umrahmung, ist täglich von 16 bis 20 Uhr besuchbar, samstags um 19 Uhr mit Konzert. Bis 19. Dezember (Infos und Anmeldung: 077 492 82 04)