Glänzen wie ein Stern

27. November 2020, Nora Leutert

Die 61-jährige Teresa Abbruzzo aus Schaffhausen sucht immer wieder die Publicity italienischer TV-Shows. Dabei geht es ihr um ihr Recht als Frau.

Das Treffen begann mit einem Klischee. Teresa Abbruzzo bot an, uns mit dem Fiat Punto am Bahnhof Diessenhofen abzuholen. Dabei sind es nur wenige Minuten zu Fuss, weshalb wir dankend ablehnten. Ein weisser Wohnblock: Als wir kommen, winkt sie vergnügt aus dem Fenster im zweiten Stock. Sie trägt das Kleid aus dem Fernsehen. Kürzlich präsentierte sich die 61-jährige Kalabrierin damit im italienischen Staatsfernsehen Rai 2 in einer Fashion-Sendung. Um sich einen neuen Look verpassen zu lassen und um ganz Italien und ihre acht Enkelkinder mit Küsschen zu grüssen.

Das ist das, was man vor der Kamera sieht: Einer von vielen Auftritten einer temperamentvollen Nonna im Show- und Reality-TV. Ein TV-Sternchen, das alles gibt, um gesehen zu werden. Das ist Teresa Abbruzzo, genannt Terry, wie sie heute ist.

«Bitzeli mafioso»

Wir nehmen auf dem weissen Sofa im Wohnzimmer Platz. Während wir selbst noch nicht ganz sicher sind, wieso wir herkamen, ist für Teresa Abbruzzo das Treffen mit der Zeitung die normalste Sache der Welt. Gekonnt posiert sie vor dem Kamin für den Fotografen. Rundum stehen monströse Pokale. «Wir haben über hundert davon», sagt sie.

Ihre beiden längst erwachsenen Töchter haben die Auszeichnungen bei Gesangs- und Modellwettbewerben gewonnen, nun stehen sie in der elterlichen Wohnung. Teresa Abbruzzo wohnt zwar nicht mehr hier bei ihrem Ex-Mann, sondern in Schaffhausen. Gemeinsam mit ihm hütet sie aber die Woche hindurch die Enkelkinder.

Gerade tapst der Kleinste, noch nicht ganz eineinhalb, ins Wohnzimmer und schaut uns aus ernsten, dunklen Augen an. «Er isch bitzeli mafioso», sagt Teresa Abbruzzo und lacht, und dann kommt der Nonno und geht mit dem Kleinen in ein anderes Zimmer.

Auf dem Wohnzimmertisch hat Teresa Abbruzzo ihre eigenen Trophäen ausgebreitet. Schleifen von Schönheitswettbewerben. Der persönliche Durchbruch von Terry begann vor einigen Jahren, als sie in Italien Schönheitstitel wie jene der Miss Mamma und später der Miss Nonna gewann.

Immer wieder suchte sie seither den Glanz des Scheinwerferlichts oder sorgte selbst für Highlife: Sie holte etwa eine Vorqualifikationsrunde der Miss-Mamma-Wahl für Auslanditalienerinnen samt dem glamourösen TV-Moderator Paolo Teti nach Diessenhofen. Und regelmässig organisiert sie Benefizveranstaltungen mit Kinder-Modenschauen mit Gesang und Tanz. Doch wieso das alles?

«Ich verurteile nie jemanden»

Teresa Abbruzzo erzählt, dass sie die Leidenschaft fürs Spettacolo im Blut habe. Dass bereits ihr Vater die Musik liebte und er sich einst eine Mundharmonika aus Holz schnitzte. Doch das ist nur die eine Seite.

«Was heisst judicare?», fragt Teresa Abbruzzo einmal im Gespräch mit plötzlich ernster Miene. «Ah ja, verurteilen. Ich verurteile nie jemanden. Denn man weiss nie, was für eine Geschichte eine Person hat.» Sie zeigt uns Kalender, die sie für einen guten Zweck gestaltete und verkaufte. Ein Benefiz-Burlesque-Kalender aus dem Jahr 2017 zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Der Erlös des Kalenders ging zu Gunsten von Frauen, die Opfer von Gewalt wurden (an die thurgauische Benefo-Stiftung).

Der Kalender zeigt sexy Fotos von kostümierten Frauen. Darunter Teresa Abbruzzo selbst. Sie hat sich das einfallen lassen. Man weiss nicht genau, wie man das einordnen soll. Wieder ein Klischee? Auf dem Bild beisst sie mit neckischem und gleichzeitig gefährlichem Blick auf eine glänzende Perlenkette.

«Es war wie ein Gefängnis»

Schaut man aus dem hinteren Wohnzimmerfenster, sieht man die andere Seite von Terry Abbruzzos Geschichte. Dort steht das Haus, in welches sie vor 40 Jahren zog, als sie in die Schweiz kam. Man erhascht einen Blick auf die Vergangenheit dieser Frau. Auf ihr früheres Leben.

Mit der Heirat war sie damals einer strengen Erziehung entkommen. «Kalabrische Mentalität» nennt Teresa Abbruzzo die Kontrollsucht des Vaters. Seine harte Hand, die wusste, wie man zuschlug. Noch als 18-, 19-Jährige durfte die Tochter nie alleine von zu Hause weg, Nagellack oder kurze Röcke waren ihr verboten. «Es war wie ein Gefängnis».

Ihren schweizerisch-kalabrischen Mann lernte die junge Frau kennen, als er Ferien im Süden machte, und sie folgte ihm in die neue Heimat. Eine kalte Heimat. Eine, in der es nicht nur besser war. «Das Klima, die Leute», sagt Teresa Abbruzzo heute. «Ich verstand kein Wort, es war so anders hier. Und ich hatte noch nie Schnee gesehen.»

Die frischverheiratete Frau, die in Italien zwar eine kaufmännische Ausbildung gemacht hatte, sollte nicht arbeiten, so war es Sitte. Sie kümmerte sich um den Haushalt und war auch hier wieder isoliert in der Wohnung. Wenn, dann hatte sie Kontakt zu anderen italienischen Leuten.

«Niemand hat mir applaudiert»

Mit der Geburt ihrer beiden Töchter sei es besser geworden, sagt sie. Die Mädchen waren talentiert, sie sangen und modelten, die Eltern fuhren mit ihnen zu Wettbewerben in der ganzen Schweiz, in Deutschland und in Italien.

Als sie im jungen Erwachsenenalter ausflogen, zog es der Mutter den Boden unter den Füssen weg. Sie resignierte zu Hause, zappte sich durch die Fernsehprogramme. Bis ihre Töchter sagten, sie solle endlich von der Couch aufstehen, sich ein Ziel suchen. So fing Teresa Abbruzzo an, das zu machen, was ihr im Leben eigentlich Spass macht: Sie ging aus zum Tanzen und Feiern. Das Feuer war entfacht.

Als sie eines Tages in Kalabrien in den Ferien war, sah sie ein Inserat für die regionale Miss-Mamma-Calabria-Wahl in der Zeitung. Sie meldete sich sofort an und fuhr zur Qualifikation. Ohne jemandem Bescheid zu sagen. Sie gewann.

Wenig später, zurück in der Schweiz, wurde sie von der Schönheitswettbewerbs-Organisation angerufen. Abbruzzo erinnert sich: «Man sagte mir: Du musst herkommen zu den nationalen Wahlen. Du repräsentierst Kalabrien!» Teresa Abbruzzo kam in Erklärungsnot, wie sollte sie das der Familie erklären? Schliesslich fuhr sie auf eigene Faust zur Wahl in San Marino. «Alle anderen Kandidatinnen waren mit Unterstützung da. Niemand hat mir applaudiert. Ich war alleine», denkt Teresa Abbruzzo zurück.

Sie gewann den nationalen Schönheitstitel. Und fuhr alleine mit ihrer Gewinnerinnenschleife zurück ins Hotel. Für sie ein wichtiger Moment: «Ich habe das ganz alleine geschafft. Ich habe mir auch selbst ein Geschenk gemacht: Am nächsten Tag ging ich in einen Schmuckladen und kaufte mir einen Fingerring.»

«Es ist eine Provokation»

Fortan wollte Abbruzzo das Scheinwerferlicht, die Publicity, das Spettacolo nicht mehr missen. Sie wollte sich nicht mehr zurückhalten müssen. So begann sie, neben Auftritten in verschiedensten italienischen TV-Formaten, Anlässe zu organisieren und Kalender zu gestalten, immer für wohltätige Zwecke.

Beim Abschied schauen wir nochmal auf die Trophäen, die auf dem Wohnzimmertisch in Teresa Abbruzzos alter Wohnung liegen. Benefiz-Burlesque-Kalender 2017: Eine Frau beisst auf einem Bild mit neckischem, gefährlichem Blick auf eine Perlenkette. Es ist Terry Abbruzzo.

Ihre Idee hinter dem Kalender? «Eine Provokation», sagt Abbruzzo. Ein Statement, weil niemand das Recht hat, eine Frau zu schlagen, nur weil sie sich anzieht und schminkt, wie sie möchte, sagt Teresa Abbruzzo. Egal in welchem Alter. Die älteste der selbstbewusst posierenden Frauen ist siebzig Jahre alt.

Klischees? Ja. Es geht um den Spass daran. Und das Recht dazu.