Hallo Deutschland, ihr habt bekannt gegeben, dass Büsingen potenziell für ein Atomendlager geeignet wäre. Da könnten wir uns finden.
Hallo Deutschland, liebe Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), wir haben ein Angebot, das ihr nicht ablehnen könnt.
Aber eins nach dem anderen.
Es freut uns zu sehen, dass es bei euch vorwärtsgeht in Sachen Entsorgung atomarer Abfälle. Im «Zwischenbericht Teilgebiete», den ihr Ende September veröffentlicht habt, weist ihr 90 Regionen mit einer Gesamtfläche von 240 000 Quadratkilometern in ganz Deutschland aus, wo ein unterirdisches Endlager geologisch möglich wäre. Angetan haben es euch unter anderem die Gebiete im Südwesten, direkt an der Schweizer Grenze. Dass es da ein paar hübsche Gesteinsschichten gibt, haben wir auch schon bemerkt. Alle potenziellen Standortgebiete, die bei uns momentan noch im Rennen sind, befinden sich in der Nordschweiz, direkt vor eurer Haustür. Wir scheinen einen ähnlichen Geschmack zu haben.
Wir geben auch noch unseren Senf dazu
Eurer Website entnehme ich, dass ihr euch, ausser vom Nagra-Blau, das ihr für das BGE-Logo verwendet, auch von den politischen Mödeli der Schweiz habt inspirieren lassen. Ihr habt da tatsächlich so etwas wie einen Mitwirkungsprozess lanciert. Auf eurer «Hinweisplattform zur Endlagersuche» können Bürgerinnen und Bürger neuerdings ihr geologisches Wissen mit euch teilen. Auf einer interaktiven Karte kann ein Punkt markiert und ein schriftlicher Hinweis platziert werden. «Die Expertise der Bürger*innen ist ein wertvolles Gut und darf auf keinen Fall unterschätzt werden», lässt sich Dr. Jörg Tietze, der Bereichsleiter Standortauswahl, dazu zitieren, «– zumal uns die Endlagersuche alle angeht.»
Reife Leistung. So partizipativ sind nicht einmal wir mit unserer direkten Demokratie, die wir sonst jedes kleinste Gesetzchen in die Vernehmlassung schicken und regelmässig jede volljährige Schweizerin an der Urne nach ihrer Meinung fragen. 2003 haben wir mit dem neuen Kernenergiegesetz sogar das bei uns hochheilige Mitspracherecht der Kantone eingeschränkt. Die Entscheidungsgewalt für Endlager liegt seither gänzlich beim Bund, wer keine Abfälle vor der Haustür will, muss dagegen ein Referendum auf nationaler Ebene ergreifen. Das ist so, seit die Nidwaldner Bevölkerung Anfang des Jahrtausends ein geplantes Endlager im Wellenberg an mehreren Urnengängen abgeschmettert hatte. Zu Recht, muss man dazu sagen. Es gab schwerwiegende Sicherheitsbedenken.
Aber wie dem auch sei.
Schön, dass bei euch auch der kleine Hobby-Geologe noch mitreden darf. Wir hätten da nämlich auch noch unseren Senf dazuzugeben. Vielleicht können wir gar gegenseitig von unseren Erkenntnissen profitieren.
Wir in der Schweiz sind nämlich in einer ähnlichen Phase wie ihr, und das, obwohl wir bereits seit den 70er-Jahren auf Endlagersuche sind und etwa zehnmal weniger Fläche zur Auswahl haben. Momentan haben wir die potenziellen Standorte zwar auf drei Regionen eingegrenzt: Jura Ost, Nördlich Lägern sowie Zürich Nordost (Zürcher Weinland, bei Marthalen). Der Standortentscheid des Bundesrates, den das Parlament dann noch absegnen muss, wird aber nicht vor Ende des Jahrzehnts erwartet. Und auch bei euch wird es gemäss Mitteilung vom September noch mindestens bis 2030 dauern, bis ein konkreter Vorschlag zum Wo und Wie eines Endlagers da ist. Die Mühlen der Politik scheinen bei Atomenergiefragen noch etwas langsamer zu mahlen als sonst.
Als man die strahlende Gülle noch ins Meer versenken konnte, war alles einfacher. Das haben wir beide ja bis in die 80er-Jahre ziemlich bedenkenlos praktiziert, genauso wie fast alle anderen Industrienationen. Schätzungsweise 220 000 Fässer mit radioaktivem Material liegen bis heute auf dem Meeresgrund. Hat bisher auch niemanden wirklich gekümmert. Also wieso das Theater? Ein unterirdisches Lager, wo auch immer, sollte doch allemal sicherer sein als die oberirdischen Zwischenlager, wo wir das Strahlengut momentan aufbewahren, und die nicht einmal vor Flugzeugabstürzen geschützt sind.
Opalinuston gibts überall
Die Frage nach dem besten Standort ist wohl sowieso eher eine politische als eine geologische. Denn den Opalinuston, der derzeitige Favorit unter den potenziellen Wirtsgesteinen, gibt es in Hülle und Fülle. Gemäss der Nagra selbst ist Opalinuston in der ganzen Nordschweiz und den angrenzenden Gebieten quasi flächendeckend vorhanden. «Die Anforderungen an Mächtigkeit und Tiefenlage werden in einem Streifen von Olten bis Schaffhausen erfüllt», schreibt die Nagra auf ihrer Website. Mit anderen Worten: Das Endlager könnte fast überall in der Nordschweiz oder Süddeutschland gebaut werden.
Technisch komplizierter als die Standortwahl dürfte die Konstruktion des eigentlichen Endlagers sein, da durch den Bau Risse und andere Beschädigungen im jahrmillionenalten Gestein entstehen können. Doch da sind wir dran, die Nagra schreibt, der Bau eines Endlagers sei «technisch bereits möglich». Na also, worauf warten wir denn noch? Böse Zungen vermuten bereits heute, dass es sich bei der Endlagersuche um eine Alibiübung handelt und der Bund insgeheim darauf wartet, bis ein Angebot aus dem Ausland kommt und wir unseren Dreck in gutschweizerischer Manier woanders entsorgen können. Dem wollen wir mal lieber kein Gehör schenken.
Wie wärs mit uns?
Damit es mal etwas vorwärtsgeht, schlage ich vor, dass wir zusammenspannen und uns die heisse Kartoffel einfach teilen. Doppelt so viele Fachleute, doppeltes Tempo bei der Umsetzung, oder? Und dabei könnten wir im selben Streich auch gleich noch eine politische heisse Kartoffel entschärfen, die wir uns seit Jahrhunderten hin und her geben: Büsingen. Deutsches Staatsgebiet, aber innerhalb der Schweizer Zollgrenze. Meistgenutzte Währung: Schweizer Franken. Die Einwohner sind Deutsche, sprechen aber hauptsächlich Schaffhauser Dialekt, wollen eigentlich lieber zur Schweiz gehören und zahlen teilweise sogar in der Schweiz Steuern. Es ist kompliziert.
In eurem Zwischenbericht wird die deutsche Enklave als potenziell geeignetes Gebiet geführt. Trifft sich gut. Wenn wir da ein gemeinsames Endlager bauen würden, könnten wir beide unseren Abfall quasi im «Ausland» deponieren und müssten nicht wütend aufeinander sein, dass wir ein Endlager direkt an die Grenze pflanzen, wie wir es mit den Atomkraftwerken grösstenteils auch gemacht haben. Und verzollen müssten wir das radioaktive Material auch nicht. Büsingen, der Zankapfel, könnte zum Symbol der Zusammenarbeit werden.
Ich habe schon mal bei der Büsinger Obrigkeit sondiert. Stefan Fix, Gemeindekämmerer und höchstes Mitglied der Verwaltung, ist «nicht begeistert», hat den Vorschlag aber mit Humor aufgenommen.
Die könnten wir sicher noch umstimmen, die Büsinger. Schliesslich bringt ein Endlager ja auch Arbeitsplätze