Eine letzte Rebellion

13. Oktober 2020, Mattias Greuter
Aeronauten und Freunde am Set (v.l.n.r.): Marc Zimmermann, Simon Langhard, Pepi Rausch, Roger Greipl, Daniel d’Aujourd’hui und Marco del Ferro.
Aeronauten und Freunde am Set (v.l.n.r.): Marc Zimmermann, Simon Langhard, Pepi Rausch, Roger Greipl, Daniel d’Aujourd’hui und Marco del Ferro.

Die Aeronauten haben ein neues Album der Aeronauten – mit Guz.
Die AZ war zu Besuch beim Dreh für das Musikvideo – ohne Guz.

Wenn ein Grosser die Bühne verlässt, hofft das Publikum auf eine Zugabe. Olifr M. Guz ist tot – und die Aeronauten haben ein neues Album.

Die Arbeit am elften Aeronauten-Studioalbum war in vollem Gang, als der Chef ins Spital musste. Schliesslich starb Oliver Mauermann am 19. Januar 2020 nach 114 Tagen des Wartens auf ein Spenderherz. Die geplante Abschiedsfeier fiel wegen des Ausbruchs der Pandemie ins Wasser.

Doch im Lockdown entstand bei den Aeronauten aus Trauer Tatendrang. «Es war schnell klar, dass wir das Album fertig machen wollen», sagt Trompeter Roman «Motte» Bergamin, «das hätte Oli sicher so gewollt. Ab April standen wir wieder im Studio.»

Dabei war zuerst nicht ganz sicher, ob das letzte Album je das Licht der Welt erblicken würde.

«Die Songs befanden sich in unterschiedlichen Entstehungsstadien», sagt Bassist Marc Zimmermann. Guz hatte nicht mehr alles aufnehmen können. Die Aeronauten kramten sich durch Testaufnahmen und hatten Glück: Sie fanden Tonspuren, mit denen man arbeiten konnte. Guz, so Marc, sei immer der mit den besten Ideen und einer klaren Vorstellung gewesen. Jetzt musste die Band ohne ihn weiterarbeiten – «das hat uns zusammengeschweisst».

Stilschublade: Aeronauten

Jetzt ist das neue, das letzte Aeronauten-­Album fertig. Es enthält eine solide Portion Schalk und Ironie, schon im Albumtitel: «Neun Extraleben». Die Scheibe wird am 20. November veröffentlicht, die Single-Auskopplung «Irgendwann wird alles gut» gibt es schon jetzt auf Soundcloud und als Musikvideo auf Youtube.

Die Single-Auskopplung mit Video. Drehort: Pflegezentrum auf dem Geissberg.

Die neue Platte ist mehr Rückbesinnung als Aufbruch. Mit viel Punk, Bluesrock und etwas Garage erinnert sie stark an die frühen und ungestümsten Aeronauten-Platten. Aber Stil- und Epochenschubladen sind ja eh doof.

«Hart» sei die neue Platte, findet Saxophonist Roger Greipl, «frisch» und «direkt» ist der Sound für Marc Zimmermann. Die nützlichste und wohl zutreffendste Beschreibung: Die Single «Irgendwann wird alles gut» klingt verdammt stark nach Aeronauten. Müsste man jemandem zeigen, wie die Band sich anhört, würde man sie gleich nach «Ottos kleine Hardcore Band» (2015) und ein paar älteren Lieblingen wie «Freundin» (1995) abspielen. «Irgendwann» macht Spass. Und ja, es ist auch traurig, Neues von Guz zu hören.

«Es war zuerst seltsam, Oli wieder zu hören», sagt Saxophonist Roger Greipl. Die über 90-minütige SRF-Sendung zur Erinnerung an Guz nur vier Tage nach seinem Tod zu hören, war «krass», wieder zusammen im Studio zu stehen eine «Gruppentherapie».

Für Gitarrist Lukas Langenegger ist das letzte Aeronauten-Album gleichzeitig das erste. Nur sieben Konzerte konnte er spielen, bevor Guz’ Gesundheit keine Auftritte mehr zuliess, das erste davon am AZ-Jubiläum im Herbst 2018. «Ich bin glücklich, dabei gewesen zu sein», sagt Lukas etwas melancholisch.

In der Klapse

Die AZ trifft die Band am Tag des Videodrehs für «Irgendwann wird alles gut».

Was machen die Aeronauten, wenn sie keinen Guz mehr haben? In der echten Welt (zum Glück) ein Album fertig, im Musikvideo drehen sie durch und landen in der Klapse.Das mehrheitlich leerstehende Pflegezentrum auf dem Geissberg liefert für eine psychiatrische Anstalt von vorvorgestern die perfekte Kulisse. «Alle Aeronauten sind Insassen», sagt Motte, als bedürften die pastellfarbenen Morgenmäntel einer Erklärung. Marco del Ferro (Marco 3000) und Simon Langhard (The Peacocks) ergänzen den Cast der Durchgedrehten. Ausserdem dabei: Renata Wiget und Nora Vonder Mühll als gestrenge Pflegerinnen, Pepi Rausch (Fahrer und gute Seele der Band) als noch viel gestrengerer Aufseher. Und: ein Geist.

Beim Dreh: Pflegerin (Renata Wiget), Insasse (Roman «Motte» Bergamin) und Geist.

Wer der Geist ist, den nur die Insassen sehen, ist offensichtlich. Ansonsten tritt der grosse Abwesende nur in flackrigen Schnipseln auf einem alten Fernsehschirm auf – und natürlich als Stimme. Die Aeronauten machen derweil Gruppentherapie und Bewegungsübungen im Garten. Beim Besuch der AZ stehen sie gerade für die Tablettenausgabe an. Regisseur Jovica Radisavlevic gibt nur rudimentäre Anweisungen und lässt den Insassen viel Spielraum.

Das Psychiatrie-Setting war seine Idee, Referenzen an «One Flew Over the Cuckoo’s Nest» sind unübersehbar. Und wer sich an das Video zu «Ottos kleine Hardcore Band» erinnert, erkennt Radisavlevics Handschrift wieder. Ausserdem, keine Überraschung: Die Aeronauten geben ziemlich überzeugende Bekloppte ab. «Wir sind wirklich so», schmunzelt Marc Zimmermann.

Lebenslänglich Aeronauten

Zum Schluss rebellieren die Insassen tanzend gegen die Obrigkeit, brechen quasi aus dem Regime aus, obwohl der eigentlich gewünschte physische Ausbruch für den Dreh zu aufwändig war. Noch einmal ausgelassener Widerstand, weil Guz singt, dass irgendwann alles gut wird.

Und irgendwann ist alles fertig. Der Plan war immer: Wenn Guz aus dem Spital und die Platte gepresst ist, gehen die Aeronauten auf Tour. Stattdessen wird «Neun Extraleben» zum Abschied, als der das Album nie gedacht war, eine Tour wird es nicht geben. Nur noch den Erinnerungsanlass im Taptab, verschoben auf den 6. November (ohne Konzert, dafür mit dem Dokfilm über die ersten 25 Jahre der Band), und eine Plattenfeier in Zürich, für die das Programm noch nicht ganz klar ist. «Dann ist das Projekt Aeronauten fertig», sagt Schlagzeuger Daniel d’Aujourd’hui. Trotzdem löse sich die Band nicht auf. Motte entwirrt den Widerspruch: «Wir spielen nicht mehr. Aber wir sind ein Leben lang die Aeronauten.»

«Neun Extraleben» erscheint am 20. November 2020 beim Hamburger Label Tapete Records und kann vorbestellt werden.
Der Plattenrelease wird am 5. Dezember im «El Lokal» in Zürich gefeiert.
Erinnerungsanlass für Olifr M. Guz: 6. November, ab 19 Uhr, Taptab.