Die Hallauerin Berta Rahm hatte in der von Männern dominierten Architekturwelt einen schweren Stand.
Berta Rahm hätte als feministische Pionierin in die Geschichte eingehen müssen. Doch dazu kam es nicht, die Architektin und Verlegerin Berta Rahm (1910–1998) starb vor über zwanzig Jahren im Altersheim in Hallau frustriert und von der Öffentlichkeit vergessen. Dieses Jahr erst erlangte ihr Name neue Aufmerksamkeit, als im April ein Bau von ihr vor dem Abbruch gerettet wurde: Ein Anbau des Saffa-Pavillons, den sie 1958 für die «Schweizer Ausstellung für Frauenarbeit», kurz Saffa, entworfen hatte. Dank einem Hinweis der Kunsthistorikerin Eva Nägeli von der Schaffhauser Denkmalpflege entstand ein Rettungsverein, angegliedert an ein Nationalfondsprojekt.
Es gibt leider nicht viele Bauten von Berta Rahm, obwohl es ihr an Wille und Talent keineswegs mangelte. Ihr Weg war geprägt von «Diskriminierung, Filzokratie, Männerbündeleien bis zum persönlichen Super-GAU», wie die Weltwoche 1993 schrieb. Man liess Rahm nicht bauen, besonders in ihrem Heimatkanton Schaffhausen nicht. «Ihre Karriere endete nicht gut», bestätigt Nägeli.
Wer war «Frau Architekt»? Hört man sich in der Gegend um, klingt der Tenor meist ähnlich: Man habe sie zwar nicht persönlich gekannt, aber sie sei eine Schwierige gewesen. Störrisch, bissig, überall angeeckt sei sie. Dabei fing alles gut an. Als Berta Rahm 1934 ihr Architekturstudium an der ETH abschloss, nur elf Jahre nach der ersten Absolventin an der ETH überhaupt, war sie zuversichtlich: In England hatte sie gesehen, wie arbeitende Frauen geachtet werden. «Ich hoffte, die Diskriminierung in der Schweiz würde nicht mehr von langer Dauer sein», schreibt sie 1966 in der Schaffhauser AZ.
Arbeiten, nicht heiraten
Das war leider nicht so. Nach einer Reise durch Skandinavien, worüber sie ein Buch schreibt, kehrt sie in die beschaulichen Hallauer Verhältnisse zurück. Sie will arbeiten, stösst aber auf Widerstand. Für einen Wettbewerb um das Kantonsspital Schaffhausen gibt sie einen einwandfreien Entwurf ein, doch die Regierung erklärt ihr, man habe sie aus dem Rennen genommen, weil sie eine Frau sei. In Hallau spricht sie der Gemeindepräsident Bringolf auf der Strasse an und verkündet ihr, im Dorf dürfe sie nicht bauen. Ihre Mutter erhält 1945 ein Amtspapier mit dem Grund: «Da wir uns nicht vorstellen können, wie eine Frau mit Behörden verhandeln soll». Ihren Lebensunterhalt solle sie sich doch durch Heirat sichern. Das wird sie aber nie.
Ab und zu wird Rahm für einen privaten Bau beigezogen, auch in Hallau. Doch der damalige Baureferent, der gleichzeitig eine eigene Baufirma besitzt, macht ihr einen Auftrag nach dem anderen abspenstig. Bloss ein Landwirt gibt ihm einen Korb: Er ist der Vater des damaligen Liebhabers von Berta Rahm, Jakob Schelbli. Heute lebt dessen Neffe, Hansjörg Jauch, mit seiner Frau Johanna und der Familie auf dem von Berta Rahm gebauten Nägeliseehof.
Eine gute Sache
Der Hof ist im Stil eines dänischen Offenstalls gebaut, mit viel Licht und Luft für die Kühe. Der Stall erhält schnell internationale Aufmerksamkeit, Landwirtschaftsschulen aus ganz Europa reisen an. «Für die Kühe war der Stall aber zu kalt, heute sind Fenster eingebaut», erzählt Jauch, als er die AZ durch den Hof führt. Das Wohnhaus, das ebenfalls von Berta Rahm entworfen wurde, ist jedoch noch genau so funktional und gemütlich wie damals: «Eine gute Sache», sagt Jauch. «Die Räume sind offen, mit viel Stauraum», sagt die Bäuerin die besonders die alte Küche noch immer liebt. Weniger Freude am Erfolg des Hofs hatte dazumal der Gemeinderat. «Von da an hatte ich nur noch Schwierigkeiten», schreibt Berta Rahm in der AZ. Baubewilligungen werden ihr gegeben und wieder entzogen, die Handwerker hetzt man bei Bauarbeiten gegen sie auf.
Sie zieht nach Zürich, «ins Exil», macht sich selbstständig. Auch hier darf sie meist nur Küchen und Bäder bauen – Architektinnen sollen auf weiblichem Terrain bleiben, so die verbreitete Haltung. 1958 nimmt sie dann wichtige Vorarbeiten für die Saffa 1958 vor, sie scheint die prädestinierte Leiterin des Projekts zu sein. Stattdessen übergibt man die Verantwortung in die Hände der Architektin Annemarie Hubacher-Constam, mit der Begründung, dass im Zweifelsfall deren Mann, ebenfalls ein Architekt, einspringen könnte.
Das letzte Debakel
Das letzte Debakel spielt sich in Hallau ab. Ein Bauprojekt auf Rahms geerbtem Land wird abgelehnt. Der Quartierplan stehe nicht, es gebe keine Abwasserleitung, das Land sei nicht baureif – obwohl es als solches deklariert worden war. Dass die Abwasserleitung existiert, darüber hat Rahm Gewissheit und erbringt auch den Beweis dafür, doch ihr Rekurs wird abgewiesen: Der kantonale Baudirektor Lieb lädt sie nach wochenlangem Warten höchst persönlich zu sich ein, bloss um ihr zu sagen, sie solle den Auftrag einfach dem Baureferenten übergeben, dann würde es klappen: «Sie müssen begreifen, dass auf dem Lande ein Baugeschäft, dessen Inhaber zugleich Baureferent ist, seinen guten Freunden Garagen ohne Baubewilligung einbaut», soll Lieb gesagt haben.
Berta Rahm weigert sich, das Unrecht hinzunehmen. Sie zieht von einer Instanz zur anderen, bis vor Bundesgericht. Dieses lässt sie abblitzen, denn die Begründung des fehlenden Quartierplans sei rechtens. Zwei der drei Bundesrichter sind gebürtige Schaffhauser und hätten als befangen gegolten, doch das erfährt Rahm erst nach abgelaufener Frist.
«Mit der Zeit lernt man, dass in der Schweiz jeder Mann mit je einem andern Mann immer in einem Club, einer Partei, einer Loge, einem Offiziers- oder Schiessverein ist – und sie halten fest zusammen», wird Rahm später schreiben. Die mediale Öffentlichkeit ist gegen sie, bloss die Schaffhauser AZ nimmt 1966 mehrmals für Rahm Stellung, empört darüber, dass es sonst niemand tut. Für die AZ war der Fall klar: «Man versucht, Frl. Rahm als mehr oder weniger unzurechnungsfähig oder als Querulantin abzutun. So wie man das bis anhin offenbar von verschiedenen Stellen bereits über Jahre hinaus getan hat.»
Nach dem Bundesgerichtsentscheid, deren Kosten Rahm tragen musste, hängt sie die Architektur an den Nagel. Sie landet wieder an der ETH: in der Abwaschküche der Mensa. Geschlagen gibt sie sich trotzdem nicht, bloss ein Jahr später gründet sie den Ala-Verlag, wo sie Werke von Feministinnen wie der Frühsozialistin Flora Tristan herausgibt. Über diese verfasst Rahm auch eine Biografie. Unermüdlich propagiert sie ihren Verlag, mit dem sie die erste feministische Welle aufarbeiten will, doch auch hier muss sie sich immer wieder anhören, ihre Arbeit habe keine Relevanz. Als sie beispielsweise für die erste Sonderschau der Frankfurter Buchmesse das Thema «Frau» vorschlägt, bekommt sie die ernüchternde Antwort, man wolle nicht mit «branchenfremden» Sonderausstellungen beginnen, sie solle sich doch besser an eine Kosmetikmesse wenden.
Die Frustrationen auf ihrem Weg steckt Rahm nicht leicht weg. In einer Anmerkung in einem ihrer Bücher nennt sie die Namen aller Herren, die ihr das Leben schwer gemacht haben: Sie sind für Rahm lebende Beispiele eines hinterhältigen Patriarchats. Zu kampflustig für ihre Zeit, zahlte sie dafür einen hohen Preis.