Jagd nach den schwarzen Diamanten

6. Oktober 2020, Nora Leutert

In den Wäldern der Region liegen Trüffel verborgen. Auf der Suche mit einem Kenner.

Ein abgelegener Parkplatz am Waldrand. Wir stehen neben dem Auto, der Blick gleitet über die herbstlich sonnigen Felder des Weinlands. Wir haben mit einem Mann abgemacht, den wir nicht kennen. Nur seine Telefonnummer haben wir.

Ein kleiner Lieferwagen braust über die Landstrasse heran. Der Fahrer, die Dächlikappe in die Stirn gezogen, auf dem Beifahrersitz sein Hund, bedeutet uns, ihm nachzufahren. Wir folgen ihm und wenig später hält er bei einem Waldweg an. Er steigt aus dem Auto, ein grosser, drahtiger Mann Mitte 40, und begrüsst uns freundschaftlich, der Hund springt neben ihm her. Christian B. ist ein unkomplizierter Typ. Nur deshalb war dieses Treffen überhaupt möglich.

Die Trüffelsuche ist eine delikate Angelegenheit. «Die Trüffel und die Trüffelsuche ist ein Mythos und es soll auch so bleiben», schreibt die Schweizerische Trüffelvereinigung auf ihrer Website und nimmt sich dabei wie ein Geheimbund aus. Sie beobachtet säuerlich, dass das Trüffeln seit einigen Jahren leider auch in der Schweiz in Mode gekommen sei. Die Plätze, das Abrichten der Hunde: All dies sei ein Geheimnis, das von den Trüfflern gewahrt werde.

Dabei ist die regionale Trüffelsuche, wenn sorgsam ausgeübt, nachhaltiger und sinnvoller als der Import. Christian B.s Telefonnummer haben wir über den Comestibles Oceanis gekriegt, nachdem wir die regionalen Trüffel entdeckten, die der Laden saisonal in seiner Auslage anbietet. Der unbekannte Trüffeljäger war bereit, uns auf die Suche nach den «schwarzen Diamanten» mitzunehmen. Wobei er die nötige Vorsicht walten lässt. Christian B. heisst eigentlich anders, er möchte in der Zeitung lieber nicht direkt erkannt werden. Er wolle nicht riskieren, plötzlich einen GPS-Tracker am Auto oder Beobachter im Schlepptau zu haben, sagt der Trüffelsucher aus dem Weinland.

Christian B. und Appenzeller-Cockerspaniel Alisha auf Trüffelsuche im Weinland.
Christian B. und Appenzeller-Cockerspaniel Alisha auf Trüffelsuche im Weinland.

Auch uns zeigt er heute nicht sein bestes Plätzchen. «Aber ihr könnt mich ruhig alles fragen», sagt er, während er lockeren Schrittes losgeht. Und wir haben viele Fragen. Zum Beispiel, wie unsere Erfolgschancen heute Nachmittag stehen. Aber noch bevor wir dazu kommen und uns überhaupt in Bewegung setzen, wird der Hund an B.s Seite bereits unruhig, er läuft davon und stöbert im Laub herum.

Unter Stress geht nichts

Als sich Christian B. vor vier Jahren einen Hund zulegte, war klar: Er wollte mit ihm nach Trüffeln suchen. B. hat schon Vieles ausprobiert im Leben, experimentiert und handwerkt gerne, die Trüffelsuche hat ihn gereizt. Trüffelsuchen kann laut ihm eigentlich jeder Hund lernen, und zwar selbst im hohen Alter noch. Mit seiner Appenzeller-Cockerspanielwelpe Alisha aber hatte er besonderes Glück – oder vielleicht lag es auch an seiner Methode. Als der Hund 17 Wochen alt war, begann B., ihn mit Übungstrüffeln auszubilden, die er erst in der Wohnung versteckte und später draussen vergrub. Anders als andere Trüffler trainierte er seinen Hund nur über den Geruchs- und nicht über den Geschmackssinn. «Sie möchte den Trüffel nicht fressen, sondern will nur das Goodie, mit dem ich sie belohne», so B. Wichtig sei dabei, dass die Trüffelsuche für Alisha ein Spiel bleibe. «Es gibt Trüffler, die haben ihre Hunde kaputt gemacht, indem sie zu viel Druck aufsetzten.» Wenn man den Hund stresse, würde er, sobald aufgefordert, bereits «anzeigen» und ein Loch graben. Und nicht erst, wenn da tatsächlich etwas ist.

Unauffälliges Verhalten

«Was isch döt, Alisha?», fragt Christian B. und geht dem Hund nach, der am Wegrand stöbert. «Tue zeige», sagt er und als der Hund zu scharren beginnt: «Halt.» Der Trüffelsucher stösst mit seinem Schraubenzieher vorsichtig in die Erde, und ehe man sichs versieht, ruft er «fein, Alisha», gibt dem freudig wedelnden Hund ein Leckerli – und präsentiert auf der anderen Handfläche einen erdbraunen Klumpen. Der «schwarze Diamant». Gleich hier, wo wir die Autos parkiert haben. Ein Burgundertrüffel, der hiesige Herbsttrüffel. Nicht so edel wie der italienische Périgord- und der Albatrüffel, dafür eine nachhaltig gewonnene, erschwingliche Delikatesse, die B. für mehrere 100 Franken pro Kilo an lokale Läden und Restaurants verkauft, wobei dieser Trüffel hier 20 bis 30 Gramm wiegt. Und das, ohne dass wir uns anstrengen mussten?

Ein schönes Exemplar.

Gleich daneben scharrt Alisha schon wieder im Laub. «Schön zeige, wo isch es Trüffeli?», animiert sie Christian B., meint dann aber: «Nei, chum wiiter, Alisha, das isch Müüsli-Züüg.» Mäuschen, Eidechsen, Heuschrecken: Das interessiert die Hundedame auch, aber sie stöbert dabei anders im Laub. Ruckartiger, weniger bestimmt als bei Trüffeln.

Fünf bis zehn Gehminuten später hebt Christian B. bereits einen weiteren Trüffel am Wegrand aus der Erde. Ganz schön erfolgreich, diese Schatzsuche, denkt man, während sich Christian B.s unauffällige Umhängetasche füllt. Das täusche, sagt B. Beim Rüsten danach müsse viel weggeschnitten werden. Und von den bereits gefundenen Trüffeln sei kaum einer so gut erhalten, dass man ihn verkaufen könne. Auch ist nicht jeder Trüffel, den wir heute finden, ein (besonders) geniessbarer: «Das hier ist ein Teertrüffel», sagt B. und hält uns einen neuen Fund unter die Nase. Tatsächlich, der riecht ziemlich streng nach Bitumen. Den verarbeite er mit Butter, Salz und Öl gerne zu Trüffelbutter.

Während Alisha wieder einen Trüffel anzeigt, kommen uns Spaziergänger entgegen. «Ein Auge ist immer auf Beobachter aus», hat man auf der Website der Schweizerischen Trüffelvereinigung gelernt. Denn: «Es könnte ja im dümmsten Moment (wenn der Hund am Graben ist) jemand zuschauen oder vorbeimarschieren. Oder gar Fragen stellen, was der Hund da macht.»

Christian B. bleibt cool. Während die potenziellen Beobachter sich nähern, schaut er unauffällig, dass der Hund in seine Nähe kommt und ruhig bleibt. Während andere Trüffler bei den Anweisungen an den Hund teilweise ein Codewort nutzen wie zum Beispiel «Ball» («Wo ist der Ball? Such den Ball!»), spricht B. ohne Umstände von Trüffeln. Dabei muss allerdings gesagt werden, dass er sonst meist abends loszieht, wenn es nicht mehr so viele Spaziergänger hat.

Verbreiteter, als man denkt

Anderen Trüfflern ist Christian B. noch nie begegnet. Er kennt auch keine in der Region. Dabei gebe es hier durchaus gute Gebiete. Der Trüffel ist bei uns viel verbreiteter, als man denkt. Auch auf dem Randen stünden die Chancen gut, so B.: je kalkhaltiger der Boden, desto besser. Trüffeln kann jeder – professionell dranzubleiben, sei aber etwas anderes, so Christian B.: Die Plätze müssten regelrecht unterhalten werden. «Um sicher zu gehen, dass man keine alten und verschimmelten Trüffel nach Hause nimmt, muss man die Plätzchen etwa alle vier Tage besuchen», sagt er. Der Hund müsse alles anzeigen können, so dass man verfaulte Trüffel ausheben könne, um beim nächsten Besuch die Gewissheit zu haben, welche frisch seien. Das Schwierigste an der Trüffelsuche? Das sei vor allem der Verkauf, so B.: Längst nicht alle Restaurants hätten den einheimischen, nachhaltig gewonnenen Trüffel für sich entdeckt und setzten lieber auf den bewährten italienischen.

Nach zwei Stunden Suche riecht man, wenn man neben Christian B. zurückwandert, eine ganz schön starke Trüffelffahne. Könnte einem fast etwas schwindlig werden. Ist ihm die Note nicht langsam verleidet?

B. winkt ab: «Im Gegenteil.» Selbst Dessertkreationen mit Vanilleglace und Trüffel probiert er mittlerweile aus. Wir indessen hobeln die schwarzen Diamanten, die wir von der Suche stolz nach Hause tragen, lieber über die Pasta. Sie schmecken nicht ganz so penetrant, wie man das von anderen, teils chemischen Trüffelprodukten kennt – dafür sind sie aus dem hiesigen Wald.

Die regionalen Trüffel gibt es während der Saison im Oceanis Comestibles an der Mühlentalstrasse zu kaufen. Übungstrüffel zur Hundeausbildung können bei Christian B. bezogen werden (Kontakt über die Redaktion).