Die Schaffhauser Financiers des Sklavenhandels

18. August 2020, Caroline Baur
Englisches Sklavenschiff, gemalt von William Jackson, irgendwann zwischen 1750 und 1803.
Englisches Sklavenschiff, gemalt von William Jackson, irgendwann zwischen 1750 und 1803.

Die ­Kolonialgeschichte von ­Schaffhausen ­bedarf der ­Aufarbeitung: Ein Blick in die Akten des Handelshauses Amman.

Bequem vom Schaffhauser Schreibtisch aus konnte man im 18. Jahrhundert dank Sklaverei und Kolonialismus vermögend werden. Wie gleichgültig die Schaffhauser Vorfahren gegenüber den Grundlagen ihres ökonomischen Systems sein mussten, zeigt sich an ihren zunehmend florierenden Geschäften.

Am anderen Ende der Kette, auf dem afrikanischen Kontinent: Frisch Versklavte warteten monatelang darauf, verschifft zu werden. Erst wenn die Reeder ihre zuhauf aus der Schweiz stammenden Textilien, aber auch Muscheln und Waffen an die dortigen Sklavenhändler gegen genügend «Lebendware» eingetauscht hatten, überquerten sie den Atlantik, eingepfercht auf einen halben Quadratmeter pro Mensch. In den Kolonien Amerikas und der Karibik produzierten die Versklavten jene Güter, die in Europa einen wachsenden Absatzmarkt fanden: Textilfarben wie Indigo, Baumwolle, Kaffee, Zucker, Mandeln.

Alles Waren, die das Schaffhauser Handels- und Bankhaus Amman in grossem Stil vertrieb: Nach Augsburg, St.Gallen, Zürich, Nürnberg, Wien, am zweithäufigsten nach Schaffhausen selbst. Johann Jakob Amman (1699–1777) und sein Sohn Johann Heinrich (1722–1794) erscheinen in den Artikeln von Schaffhauser Chronisten als tüchtige und talentierte Geschäftsmänner. Ihre Geschäftstätigkeiten lagern in einem unerschlossenen Depositum der Erben, der Familie Frey, im Stadtarchiv Schaffhausen. Das geschäftliche und familiäre Erbe liesse sich problemlos bis in die Gegenwart verfolgen: Beispielsweise über den Industriellen Hermann Frey, der Anfang des 20. Jahrhunderts Vorstand der Bank in Schaffhausen war, die 1921 mit dem Schweizerischen Bankverein fusionierte – der heutigen UBS. Das Ammansche Bankhaus wurde ebenfalls 1921 liquidiert.

Aus einer Kaufmannsfamilie stammend, heiratete Johann Jakob Amman im Jahr 1722 Catharina Rauschenbach, mit deren Vater er das Handelshaus aufbaute und es zu europaweiter Bedeutung brachte. Keine Messe wurde verpasst, die Beziehungen waren weitreichend. Besonders dreckig musste sich Amman, der schon in jungem Alter zum Direktor des Kaufmännischen Direktoriums ernannt wurde, seine Hände nicht einmal machen. Nur «indirekt» profitierte die Familie vom Sklavenhandel. Doch was heisst indirekt?

Schaffhauser Grossverteiler

In den Atlantikhäfen Frankreichs, Hollands, Englands und Portugals kauften die Ammans ihre Hauptwaren Indigo und Baumwolle, aber auch andere Güter. Sie stammten aus Brasilien, South Carolina, Surinam oder St. Domingue, dem heutigen Haiti. Damit versorgten sie als Grossverteiler in erster Linie die hiesigen Textilindustriellen. Diese wiederum belieferten die Ausstatter von Sklavenschiffen mit «Indiennes», den bunt bedruckten Stoffen, nach denen die afrikanischen Eliten fragten. In zwanzig Jahren vergrösserte sich der Umsatz des Ammanschen Unternehmens von rund 130 000 Gulden auf nahezu 960 000 Gulden, was einem jährlichen Wachstum von 10 Prozent entspricht. Ihrem gewachsenen Prestige entsprechend, verlagerte die Familie ihren Wohnsitz in das Haus zum Thiergarten.

Es ist möglich, dass die Ammans nicht davon wussten, in welche menschenverachtende Geschäfte sie verwickelt waren. Die journalistische Recherche lässt anderes vermuten: In den Kopierbüchern finden sich langjährige Geschäftspartner der Ammans, die nachweislich Reeder von Sklavenschiffen waren.

Da wäre die Beziehung zum Finanz- und Reederunternehmen Schalch & Cie. Am Schaffhauser Unternehmen mit Sitz in Bordeaux waren die Ammans als Aktionäre beteiligt. Sie finanzierten Schalchs Sklavenexpeditionen sozusagen direkt mit. Zudem bezog Amman von Schalch allein in sechs Jahren Indigo im Wert von ungefähr 600 000 Gulden. Zum Vergleich: Für einen Gulden musste ein Tagelöhner zu jener Zeit drei Tage zu jeweils 13 Stunden arbeiten. Die Kaufkraft eines Guldens um 1700 entspricht heute etwa 50 Euro.

Weitere direkte Verbindungen zum Sklavenhandel hatten Ammans durch regelmässige Geschäfte mit der Firma Hegner, Gier & Cie. Sie stammten aus der Deutschschweiz und liessen sich in den 1760er Jahren in Bordeaux nieder. Vertreten wurde die Firma durch Jean-Rudolph Wirz, dessen eigene Firma J.-R. Wirz & Cie. zu einer grossen Reederei mit 13 Sklavenschiffen aufstieg. Zwischen 1786 und 1789 war er an vier Expeditionen beteiligt, bei denen über 600 Menschen versklavt wurden. Der grosse Verlust auf der Expedition «Duc de Normandie» trieb Wirz vermutlich in den Konkurs. Die Firma Hegner, Gier & Cie. stand indessen im Zentrum eines Netzwerkes, das die Schweiz mit Kolonialwaren belieferte und die Sklavenschiffe mit Textilien ausstattete.

Das tat auch der Ammansche Handelspartner Hans-Ulrich Pelloutier, der in Nantes eine Indienne-Manufaktur gründete. Pelloutier, Petitpierres und Bourcards aus Basel, alle in den Kopierbüchern der Ammans zu finden, wechseln spätestens in den 1780ern zur Reederei. Sie beteiligten sich an Sklavenexpeditionen der Schiffe Comte de Tréville und der Necker und gründeten eine Gesellschaft, die im Kontext des «Dreieckshandels» zwischen Europa, Afrika und den amerikanischen Kolonien Geschäfte tätigte. In öffentlichen Anzeigen bewarben sie ihre Güter: «Die Firma Favre, Petitpierre & Cie. […] macht die Ausrüster von Sklaven- und Kolonialschiffen darauf aufmerksam, dass sie in ihren auf Hochtouren arbeitenden Werkstätten alle für den Tauschhandel mit Schwarzen benötigten Waren […] herstellt und liefert.»

Letztes Beispiel Ammanscher Connections: Tourton & Baur aus Genf investierten je 375 000 Livres in die Société d’Angola zum Erwerb mehrerer Sklavenschiffe. In nur drei Jahren führte die Gesellschaft 27 Sklavenexpeditionen durch.

Vom Warenhandel zum Kapitalgeschäft

Am Handelshaus Amman lässt sich neben der Bedeutung des Kolonialsystems für die regionale Wirtschaft auch die Entstehung des Bankwesens nachzeichnen: An die Stelle mühsamer Bargeldzahlungen traten Wechselgeschäfte, üblicherweise von Handelshäusern ausgeführt. An der Buchhaltung der Ammans lässt sich erkennen, wie im Verlauf der Jahrzehnte die Geschäftstätigkeit mehr und mehr auf das Wechselgeschäft verlagert wurde, sodass Sohn Heinrich Amman eher als Bankier denn als Kaufmann in die Geschichte einging.

Viel eher, als direkt mit Menschen zu handeln, mischelten Schweizer Kaufleute als Kapitalgeber mit. Bei der grössten transatlantischen Sklavenhandelsgesellschaft, der Compagnie des Indes, lagen kurz vor Ausbruch der Französischen Revolution 31 Prozent des Unternehmens in Schweizer Aktionärshänden. Unternehmer wie die Ammans blieben beim Warenhandel und Wechselgeschäft, da das Risiko geringer war: Wo mit Menschen gehandelt wurde, kam es zu Aufständen, Suiziden und Krankheiten.

Direkt oder indirekt, Schweizer Firmen, darunter auch Schaffhauser, beteiligten sich an rund 100 Expeditionen und halfen mit, rund
172 000 Menschen zu versklaven. Reparationen aus Schaffhausen oder der Schweiz fehlen bislang.

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Dieser Text ist der Auftakt einer losen Serie zu Schaffhausens Kolonialgeschichte.

Quellen:«Der Warenverkauf des Handelshauses Amman» von Alexander Engel; «Schwarze Geschäfte» von Thomas David, Bouda Etemad, Janick Mraina Schaufelbuehl; «Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine zur Sklaverei» von Hans Fässler; cooperaxion.ch; louverture.ch; Depositum Amman/Frey Stadtarchiv Schaffhausen; Hinweise von Adrian Knoepfli.