Die, die niemand gefragt hat

31. Juli 2020, Luca Miozzari
Die Veröffentlichung von «Strange Fruit» wäre eigentlich im Vorfeld der Demo im Juni geplant gewesen. Foto: Peter Pfister
Die Veröffentlichung von «Strange Fruit» wäre eigentlich im Vorfeld der Demo im Juni geplant gewesen. Foto: Peter Pfister

Sieben Schaffhauser Künstler haben sich zusammengetan und einen Song veröffentlicht. Sie zeigen «Eier» gegen Rassismus. Direkt, hart und sehr persönlich.

«Blood on the leaves, blood on the leaves», mahnt Billie Holidays ikonische Stimme in der Dauerschleife, akustisch leicht verzerrt, doch klar zu erkennen. Ein stärkeres Sample hätte das Schaffhauser Rapperkollektiv wohl kaum wählen können. Das Intro, eine Referenz an die Hymne der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, geht unter die Haut. Was dann folgt, noch viel mehr.

Sieben Schaffhauser Rapper haben sich zusammengetan und gemeinsam einen Track gegen Rassismus aufgenommen. «Strange Fruit», so der Titel, angelehnt an das Original aus den 1930er-Jahren. «Strange Fruit» – seltsame Früchte, das ist ein Symbol für an Bäumen gelynchte Afroamerikaner, wie sie in den rassistischen Südstaaten lange traurige Realität waren.

Seit etwas mehr als einer Woche ist der Song samt Videoclip auf Youtube und Insta-gram verfügbar. Ausbeute bisher: 2000 Klicks, beide Plattformen zusammengezählt. Ibrahim Arogundade und Michael Stalder, die neben der Schaffhauser Antirassismus-Demo im Juni auch dieses Projekt auf die Beine gestellt haben, sind zufrieden. «Wir hatten bisher fast nur positives Feedback», sagt Stalder.

Gleichzeitig zeigt sich, dass der Song ein Problem anspricht, das heute noch relevant ist, auch bei uns: strukturelle Benachteiligung von People of Color. «Niemand hat euch gefragt», kommentierte ein anonymer Youtube-User, dessen Beitrag mittlerweile wieder gelöscht worden ist. «Wenn wir nur das machen würden, wonach wir gefragt werden, kämen wir ja nirgends hin», sagt Arogundade mit einer wegwerfenden Handbewegung. «Genau deshalb, weil niemand fragt, haben wir diesen Song überhaupt gemacht.» Eigentlich hätte der Sampler bereits vor der Demo erscheinen sollen, doch es gab Verzögerungen. «Immerhin konnten wir jetzt ein paar Bilder von der Demonstration im Musikvideo verwenden», sagt Stalder.

Der inoffizielle Protagonist dieses Videos, das ist der Diessenhofer Rapper Mixxo. Er singt den Refrain.

Mir sind kei Täter // Nei, mir sind glich wie du // Keine ghört ines Schema // Vo wod chunnsch isch egal // Love is all we knew and all we do

«Rassismus ist ein Thema, das mich schon lange beschäftigt hat, bevor ich diesen Part geschrieben habe», sagt er. Er konnte gar nicht anders. Zwei Zeilen aus seinem Beitrag lauten:

Gebore i de Schwiz, ha denkt Rassismus isch keis ding // De Traum isch platzt, und das scho als Chind

«Es gibt so viele Menschen, die Ähnliches erlebt haben wie ich.» Vertreten will er sie nicht, sagt er, das sei ein zu starkes Wort. Nein, er wolle eine Stimme für sie sein, eine von vielen.

Lieber direkt als kaschiert

Tobias Hunziker, alias Toe (Sprich: «Tö») hat keine persönlichen Rassismuserfahrungen, von denen er berichten kann. Er ist weiss. Dementsprechend anders ist sein Ansatz. Er sucht sich einen Gegner nach Battle-Tradition. Sein Rap-Part ist ein Rundumschlag, eine Breitseite gegen konservative Kreise, gegen den Nationalismus, gegen Stammtische und Migrationskritiker. «Für mich sind diese Themen eng mit Rassismus verknüpft», sagt er. Sein immaginärer Gegner muss sich einiges anhören.

Meinsch du chunnsch gross use, bi dir lauft bruni Soss use // Drum schickemer dich ufs Meer und lönd di mitme Floss use

Toes Zeilen sind bildlich, verstörend. Was er seinem Gegenüber an den Kopf wirft, ist nichts für zart Besaitete. «Ich wollte an die Grenzen des Sagbaren gehen», sagt er. Rassisten wüssten ihre Absichten fast immer kaschiert und gut verpackt zu vermitteln. «Ich bin lieber direkt.» Auf Toes Part angesprochen, sagt Mixxo: «Ich finde ihn sehr hart, aber gut. Ich glaube, so pointiert hätte ich das nicht hingekriegt.»

Ein kleines Comeback, extra für dieses Projekt, gab der Rapper Pole. Wer die Schaffhauser Rap-Szene kennt, weiss, wer sich hinter diesem Pseudonym verbirgt: Es ist der ehemalige Redaktionsleiter des Schaffhauser Fernsehens, Sebastian Babic. Im Video tritt er nicht auf, nur seine Stimme ist zu hören.

Wir können nicht atmen wegen Pfefferspray und Panzerwagen // Mit Masken und Plakaten gegen Wasserstrahlen // Strassen, Farbe Rubinrot, Hades gegen Cupido // Stell keine Fragen, ihre Antwort lautet Gummischrot

«Ich wollte mich nicht in den Vordergrund drängen, zumal ich ja als Rapper keine Ambitionen mehr habe», sagt Babic. Doch das Projekt seiner Freunde sei ihm am Herzen gelegen.

«Keine Eier»

Eine solche Solidarität haben nicht alle Schaffhauser Rapper an den Tag gelegt. Neben den teilnehmenden Künstlern – ausser den bereits genannten: Santa aus Stein am Rhein, NJ und Tony Dean (ehemals Trap Toni), die beide auf Englisch rappen, und Dari Ferrari, der einen Part auf Spanisch beigesteuert hat – hätten sie noch mehrere weitere angefragt, sagen Stalder und Arogundade. Sie erhielten zahlreiche Absagen. Keine Zeit, keine Lust, nichts zu sagen. «Das fand ich schwach.» Er sehe keinen guten Grund, bei so etwas nicht mitzumachen. «Das sind Rapper. Ein paar Zeilen zu schreiben und sie einzurappen, ist für die nicht schwierig.» Ausserdem wisse er, dass die, die absagten, keine Rassisten seien. «Sie haben durchaus eine Meinung zum Thema. Ihnen fehlen scheinbar einfach die Eier, dafür einzustehen.»

Eine Frage der Zeit?

Rap sei prädestiniert für den Kampf gegen Unterdrückung und Diskriminierung, sagt Mixxo. «Die Hip-Hop-Kultur ist im Kern antirassistisch.»

Die afroamerikanische Herkunft des Sprechgesangs hat auch schon des öfteren dazu verleitet, zu behaupten, Rap sei vor gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten gefeit. Hip-Hop sei frei von Sexismus, Diskriminierung oder Rassismus, behauptete der deutsche Chart-Rapper Prinz Pi kürzlich in einem Interview.

Die antisemitischen Zeilen von Kollegah und Farid Bang zum Beispiel, deren geplantes Konzert in Schaffhausen vor zwei Jahren nach einem öffentlichen Aufschrei abgesagt wurde, zeichnen ein anderes Bild. Aus der lokalen Rapszene kam damals Unterstützung für die beiden Skandal-Rapper. Man solle sie auftreten lassen, hiess es.

Michael Stalder, Rapper Justin alias Mixxo, Ibrahim Arogundade und Tobias Hunziker, Rappername Toe (v.l.n.r.). Foto: Peter Pfister
Michael Stalder, Rapper Justin alias Mixxo, Ibrahim Arogundade und Tobias Hunziker, Rappername Toe (v.l.n.r.). Foto: Peter Pfister

Mixxo und Toe sind sich einig: Belustigende Texte über Auschwitz-Insassen, wie Farid Bang sie schreibt, sind daneben. Ihm deshalb den Mund zu verbieten, finden sie jedoch den falschen Weg. Die Rapszene habe eine andere Art, damit umzugehen.

«Viele Rapper wollen einfach provozieren, um an Aufmerksamkeit zu gelangen», sagt Mixxo. Ernstgemeinte rassistische Absichten sehe er hinter solchen Texten nicht. Wichtig sei es dann, lyrisch Gegensteuer zu geben. Und zwar ernst gemeint. Das sei eines der Ziele, welche sie mit ihrem Song verfolgten.

Das Projekt hat Akteure aus der Schaffhauser Rapszene hinter einem Anliegen vereint, das ihnen unter den Nägeln brannte. «Wir kannten uns vorher nicht», sagt Toe. Erst durch die Arbeit an diesem Song habe man sich kennengelernt. Arogundade hofft, dass das Lied auch Menschen ausserhalb der Rapszene erreicht. «Der Song ist für alle gedacht.» Neben anderen Projekten sei unter anderem nächstes Jahr im selben Zeitraum eine weitere Demonstration geplant. Der Kampf geht weiter.

Und vielleicht wird irgendwann endlich das eintreten, was Toe in seinem Text prophezeit:

Frog mich nöd, wie lang de Zuestand no bliibt // Ich weiss, Rassismus wird usstärbe, es isch e Frog vo de Ziit

Den Song mit Musikvideo finden Sie hier.