Geldversand nach Moskau

24. Juli 2020, Nora Leutert
Symbolbild: Peter Pfister.

Der Schaffhauser Rentner Hans G.* wurde von russischen Kriminellen als «Money Mule» angeworben und machte sich der Geldwäscherei schuldig.

Plötzlich ging alles sehr schnell. Hans G.* merkte, dass ihm die Sache über den Kopf gewachsen war. Aber da stand auch schon die Polizei vor seiner Tür. Und Ende.

Es ist die kurze Geschichte von einem kleinen Mann, der bei etwas Grossem mitmischen wollte. Sie beginnt in Schaffhausen und verliert sich in Moskau.

Sachverhalt Geldwäscherei, heisst es in dem Strafbefehl, den die Schaffhauser Staatsanwaltschaft vor zwei Monaten erliess und den die AZ eingesehen hat. Der Beschuldigte: der im Kanton Schaffhausen wohnhafte Rentner Hans G., der in Wirklichkeit anders heisst.

Der Modus Operandi

Die schweizerische Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) hat in den vergangenen zehn Jahren einen rasanten Anstieg von Geldwäscherei-Verdachtsfällen registriert. Ein bekannter Modus Operandi von Kriminellen ist dabei die Rekrutierung von gutgläubigen Personen als Finanzagentinnen oder -agenten: Als solche sollen diese – auch «Money Mules» genannt (Geldesel) – deliktisch erwirtschaftetes Geld ins Ausland transferieren. 2019 wurden in der Schweiz insgesamt 175 «Money Mules» identifiziert.

Auch die Schaffhauser Polizei kennt diese Masche als die gängige Praxis. Im Kanton Schaffhausen gab es 2019 insgesamt 17 Geldwäschereidelikte, in den vergangenen zwei Jahren war ein deutlicher Anstieg von Fällen bemerkbar. Laut Schaffhauser Polizei steht dies im direkten Zusammenhang mit der Zunahme von Delikten im oder unter Zuhilfenahme des Internets.

Digitalisierte Kriminalität. So komplex, aber manchmal doch so simpel: Am Schluss kann das Gelingen eines Verbrechens davon abhängen, ob ein einfacher Mensch etwas Einfaches tut.

Ein Schaffhauser Rentner zum Beispiel. Hans G., der viele, viele Tausendernoten, insgesamt fast 200 000 Franken, in Couverts verpackt und nach Moskau versendet hat.

«Ich habe im Leben noch nicht mal einen Kaugummi gestohlen.»

Hans G.

Hans G. zögert, bevor er sich entscheidet, die AZ zu treffen. Aber schliesslich ist er doch einer, der gerne erzählt. Und diese Geschichte war für ihn ein Abenteuer. Allerdings ein unangenehmes, so sagt der fitte Rentner, Typ Unternehmer, bei einem Kaffee. «Ich habe im Leben noch nicht mal einen Kaugummi gestohlen», so G. und verwirft die Hände. «Ich habe ein so reines Heft, dass es fast weh tut.»

Fest steht: Hans G. ergreift eine gute Chance, wenn er sie sieht. Und so war es auch in diesem Fall.

Die Ereignisse überschlagen sich

Vor gut einem Jahr, im Juni 2019, habe er sich bei einer Schweizer Stellenvermittlungsfirma gemeldet, erzählt der Rentner. Er sei auf der Suche nach einem Nebenjob gewesen und habe seine Angaben hinterlassen. Und hier vermutet G. das Datenleck, das zu allem Weiteren führte.

Symbolbild: Peter Pfister.

Was dann passierte, steht im Strafbefehl: Ende Juni 2019 bekam Hans G. eine SMS. Im Namen einer Luganeser Immobilienfirma wurde ihm eine Stelle angeboten. G. bewarb sich und erhielt drei Tage später einen in schlechtem Deutsch verfassten Arbeitsvertrag als «Regionalleiter» beziehungsweise «Task Manager». G. unterschrieb. Per SMS und E-Mail erhielt er fortan weitere Instruktionen von seinem Arbeitgeber. Bei dem Arbeitgeber handelte es sich allerdings nicht um die Luganeser Immobilienfirma. Diese existiert zwar real, ihr Name wurde aber missbraucht von einer unbekannten Täterschaft mit Sitz in Russland.

Und G.? Hatte er nichts geahnt?

Etwas spanisch sei ihm das schon vorgekommen, erzählt Hans G. Wieso er das Stellenangebot erhalten habe, habe er sich aber nicht gefragt. Denn die Stelle sei genau das gewesen, was er suchte: zwei bis drei Tage die Woche, einen Monatslohn von 2 500 Franken, Arbeitsort Schaffhausen. Er habe geglaubt, er werde Interessierten freistehende Wohnungen zeigen und Immobiliengeschäfte abwickeln müssen.

Schnell aber war ziemlich klar, dass G. nicht als Immobilienmakler gebraucht würde.

Am 9. Juli 2019, kurz nachdem er den angeblichen Jobvertrag unterschrieben hatte, betrat G. seine Hausbank und hob am Schalter, wie per Mailinstruktionen angewiesen, von seinem Konto 9 900 Franken ab. Diese waren ihm unmittelbar zuvor von einem anderen Schweizer Konto überwiesen worden.

G. zog wie abgemacht seine Provision von dem Geld ab, die er behalten durfte, so steht es im Strafbefehl. Dann verpackte er das Geld zusammen mit angeblichen Vertragsdokumenten, die man ihm gemailt hatte, und versandte sie per Expresspaketversand nach Moskau. Dies wiederholte sich nachfolgend fast jeden Tag, mit immer grösseren Geldtranchen, während mehr als einer Woche.

Mit den höher werdenden Beträgen, die schliesslich fast 50 000 Franken betrugen, stieg auch Hans G.s Unbehagen. Es sei ihm schon klar geworden, dass die Sache nicht astrein war. Seine damalige Vermutung, so G.: Es gehe um Steuerhinterziehung im russischen Immobiliengeschäft. Den russischen Staat ein wenig zu schädigen, da habe er nichts dagegen gehabt, so G. «Ich hatte kein schlechtes Gewissen, den Vladi etwas zu sabotieren», sagt er mit dem Lächeln eines Schwerenöters.

Der Geschädigte war allerdings nicht Vladimir Putin und der russische Staat, sondern ein einfacher Luzerner Bürger. Durch eine gefälschte Online-Banking-Seite, in welche der Geschädigte seine Daten eingab, saugten die Täter das Geld von seinem Konto ab. Und überwiesen es auf Hans G.s Konto. Insgesamt rund 240 000 Franken. Die letzte Tranche, 49 000 Franken, konnte G. nicht mehr nach Russland versenden. Laut Strafbefehl hat Hans G. insgesamt gerade mal 1353 Franken Provision erhalten.

«Ich bin nicht der Dümmste und auch nicht der Hellste. Aber diese Täter waren raffiniert.»

Hans G.

Der Rentner beteuert: Hätte er gewusst, dass hier jemand ausgenommen wird, hätte er sich nie und nimmer darauf eingelassen. «Ich bin nicht der Dümmste und auch nicht der Hellste», sagt Hans G. «Aber diese Täter, die waren raffiniert.» Er sei im Glauben gewesen, der Luzerner Kontoinhaber gehöre zu den Geschäftsleuten, mit denen er zusammenarbeite.

Als G. am 18. Juni wieder wie instruiert das angekündigte Geld hatte abheben wollen, sei sein Konto gesperrt gewesen. «Ich habe den Russen noch geschrieben, dass ich das Geld nicht mehr abheben konnte und dass ich befürchte, der Luzerner sei aufgeflogen», sagt Hans G. und fasst sich an die Stirn. «Die müssen sich tot gelacht haben.»

Kurz darauf stand die Polizei vor seiner Tür. «In dieser Sache war ich wirklich ein Esel», sagt Hans G. heute.

Esel oder Fuchs?

Ob Esel oder Fuchs: Hans G. wurde verurteilt. Denn er musste «aufgrund der sich bietenden Gesamtumstände wissen oder hätte wissen müssen, dass die auf seinem Konto eingegangen Geldbeträge deliktischen Ursprungs sind», so heisst es im Strafbefehl, den G. angenommen hat. G. wird mit einer bedingten Geldstrafe von 7 500 Franken (oder 150 Tagessätzen, was einem Pendant von fünf Monaten Freiheitsstrafe entsprechen würde) sowie mit einer Busse von 1 500 Franken bestraft, zudem muss er die Verfahrenskosten von rund 600 Franken zahlen. Möglich wäre beim Delikt Geldwäscherei eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren, in schweren Fällen bis zu fünf Jahren.

Der zuständige Staatsanwalt Johannes Brunner sagt, der für Schaffhauser Verhältnisse relativ hohe Deliktbetrag sei in diesem Fall zwar nicht zu vernachlässigen, gleichzeitig sei der Beschuldigte wohl zumindest zu Beginn von einem real existierenden Arbeitsverhältnis und der Rechtmässigkeit seines Tuns ausgegangen. Mit zunehmender Dauer hätten die Zweifel des Beschuldigten dann überhand genommen, wobei er seine Tätigkeit auch dann nicht von sich aus beendet habe.

Hans G. scheint das Urteil mit Fassung zu tragen, auch wenn er Alles ungemein bedauert und sich dafür verflucht, dass er nun vorbestraft ist.

Eine Zivilklage hat er wohl aber nicht zu befürchten: Der Anwalt des Geschädigten aus Luzern, dessen Konto geräumt wurde, sagt auf Anfrage, man werde nicht rechtlich gegen Hans G. vorgehen. Es lohne sich nicht in Anbetracht von Hans G.s finanziellen Umständen. Man wolle den Lebensabend des Schaffhauser Rentners nicht zerstören. So, wie es dem Geschädigten selbst widerfahren sei. Denn dies ist der tragische Teil der Geschichte: Der Geschädigte habe einen grossen Teil seiner Ersparnisse, fast seine gesamte Altersvorsorge verloren, teilt sein Anwalt mit. Ob seine Bank den Betrag zurückerstatte, sei noch ungewiss, die Chancen eher gering.

Es ist eine Geschichte, die nur Verlierer kennt: Ausser den Tätern, deren Spur sich in Moskau in Luft auflöst.

*Name geändert