Regierungsrat Christian Amsler will mit aller Kraft alles richtig machen. Und doch lässt niemand ein gutes Haar an ihm. Was macht er falsch? In Wanderschuhen auf der Suche nach Antworten.
Das Problem präsentiert sich ganz zum Schluss in einem gelben Klarsichtmäppchen.
Wir sind bereits zurück von einem herrlichen Spaziergang im Naturschutzgebiet Schlossweiher. Wir haben Christian Amslers Kraftort besucht, der Regierungsrat hat uns den Teichfrosch rana esculenta gezeigt; er hat uns erklärt, warum im Glazialtal einst Vieh weidete, bis er als Stettemer Gemeindepräsident für die malerischen Weiher sorgte; wir haben Blattbauchlibellen beobachtet. Amsler hat sich Zeit genommen. Es war ihm ein ehrliches Anliegen, zu zeigen, wer er wirklich ist, «der Mensch hinter dem Politiker».
Hunderte Zeitungsseiten hat Christian Amsler schon gefüllt. Er, der Prorektor, Gemeinderat, Gemeindepräsident, Kantonsrat, Fraktionspräsident, Regierungsrat, Regierungsratspräsident, Ständeratskandidat, Bundesratskandidat. Und doch wäre es falsch, ihn als «animal politique» zu bezeichnen. Amsler ist engagiert wie vielleicht kein zweiter Schaffhauser Politiker. Und doch prasselt seit geraumer Zeit von links wie rechts Kritik auf ihn ein. Amsler ist die spannende Personalie der kommenden Wahlen. Sein Sitz wackelt. Und man fragt sich: Wieso nur? Was haben bloss alle gegen Christian Amsler?
Dann, ganz zum Schluss, nachdem er den schwarzen Audi wieder vor dem Regierungsratsgebäude einparkiert hat, drückt er uns zum Abschied dieses Klarsichtmäppchen in die Hand. Auf mehreren A4-Seiten hat er seine «Leistungen» als Bildungsdirektor aufgelistet, vierundzwanzig an der Zahl. Das Dossier soll beweisen, was ihm sonst niemand glaubt: dass es für all die Kritik wirklich, wirklich keinen guten Grund gibt. «Schaut doch», sagt er, «ich habe durchaus etwas erreicht!»
Es ist ein Schrei nach Anerkennung. Doch kann man überhaupt Anerkennung erlangen, wenn man so sehr nach ihr strebt? Oder bewirkt man damit genau das Gegenteil?
«Ich bin Fan»
Zwei Stunden zuvor schreitet Christian Amsler gut gelaunt zu seinem Auto, der Armeeoberst (1300 Diensttage) trägt natürlich Funktionshose und Wanderschuhe. Wenn er etwas macht, dann will er es richtig machen. «Ich bin extrem leistungsorientiert», sagt er. Die Amsler’sche DNA.
Im Auto dreht er auf, Martin Tingvall, Esbjörn Svensson, Abdullah Ibrahim. «Jazz ist mir sehr wichtig», legt er los und erzählt, dass er seit Kindesbeinen Klavier spiele, wie er manchmal im Auto brutal laut mache und richtig mitgehe mit der Musik, wie er mit dem Jazz runterkomme vom strengen Alltag. Natürlich wissen wir bereits Bescheid. Als Lokaljournalisten haben wir Amsler immer wieder öffentlich klavierspielen gehört, er verpasst wenige Gelegenheiten, dem linksliberalen, kulturaffinen Milieu zu beweisen: Seht her, ich bin einer von euch!
«Ich bin Jazz-Fan.» – Wir hören den Satz in den folgenden zwei Stunden in verschiedenen Varianten: «Ich bin grosser Froschfan.» «Ich bin Wildbienenfan.» «Ich bin ein Naturfreak.» «Ich bin Wasserfreak.» Als Amsler einen Feldhasen erspäht, gönnt er sich nur wenige Sekunden der Freude. Sofort ist der Fokus wieder bei ihm selbst: «Ich bin ein Verfechter von Buntbrachen.»
Zwischendurch, wie um sich zu versichern, dass er sich nicht zu stark mit den Linksliberalen verbrüdert und dadurch bei den Rechtsbürgerlichen in Ungnade fallen könnte, betont er: «Ich bin in einem tiefbürgerlichen Elternhaus aufgewachsen. In Finanz- und Wirtschaftsfragen habe ich eine klar bürgerliche Haltung.»
Die Wut der Lehrerinnen
Christian Amsler ist in diesen zwei Stunden voll und ganz im PR-Modus. Und doch spielt er uns hier nichts vor. Er ist dieser bürgerliche Sparpolitiker. Er ist dieser begeisterte Kulturaficionado. Doch während andere Politiker eine solche Differenziertheit zu ihren Gunsten nutzen können, um bei Wahlen im linken wie im rechten Teich nach Stimmen zu fischen, ist es bei Christian Amsler gerade umgekehrt.
Fragt man den FDP-Parteipräsidenten Marcel Sonderegger, ob Christian Amsler im Herbst als Regierungsrat wiedergewählt werde, antwortet dieser wenig euphorisch: «Ich bin davon überzeugt.» Es folgen Phrasen wie: «Es sind ja noch drei Monate bis zu den Wahlen.» Oder: «Man hat ja gesehen, wie schnell sich die Welt verändert.» Überzeugung hört sich anders an. Am Parteitag hat ihn die FDP zwar noch einmal mit Martin Kessler auf den Schild gehoben für einen weiteren Wahlkampf, doch es gab durchaus Stimmen, die Amsler lieber ausgewechselt hätten. Er selbst sagt desillusioniert: «Die FDP hat sich zur sturen Wirtschaftspartei entwickelt.»
Die Linken werden Amsler schlecht wählen. Wieso sollten sie den Kandidaten einer bürgerliche Sparpartei unterstützen? Dass er bereits grüne Anliegen vertritt, seit er sich mit 18 an der ersten FDP-Parteiversammlung wegen der giftigen Abgase gegen die geplante Glasfabrik im Herblingertal gewehrt hat; dass er sich glühend für Kultur einsetzt – all die Faktoren, die dem unverbrauchten Regierungsratskandidaten vor zehn Jahren noch viele linke Stimmen gesichert haben, dürften mittlerweile verpufft sein.
Die Bildung liegt ihm zweifellos sehr am Herzen. Er sagt: «Ich habe einen sehr guten Austausch mit der Lehrerschaft.» Doch er scheint der Einzige zu sein, der das so sieht. Man findet kaum eine Lehrerin, die wirklich zufrieden ist mit Bildungsdirektor Amsler. Unter dem Strich hat er seine Schulprojekte nicht realisieren können. Schaffhausen ist der letzte Kanton ohne Schulleitungen. Schaffhausen hat die tiefsten Lehrerlöhne der Ostschweiz. Hochrangige Lehrervertreter sagen: «Es gibt eine grosse Wut, weil wir in Bildungsfragen am Schwanz der Schweiz sind.»
Nun kann man zu Recht sagen, dass er für seine schlechte Bilanz nicht alleine verantwortlich ist. Das Parlament hat seine Vorlagen zerzaust. Die Sparpakete der Gesamtregierung haben die Bildung schwer getroffen und Amslers Visionen beschnitten. Wäre ein anderer Bildungsdirektor erfolgreicher gewesen? Wahrscheinlich nicht. Amslers Vorgänger haben ihren Stuhl jeweils nach wenigen Jahren wieder geräumt, während er die vielleicht schwierigste Direktion der Kantonsregierung bereits seit zehn Jahren leitet. Die Lehrer sind weiss Gott kein einfaches Völklein, und sie lassen sich bestimmt nicht führen wie ein Offiziersverein.
Doch das Parlament, das seine Vorlagen zerzaust, ist bürgerlich geprägt, genau wie er. Die Sparprogramme, die seine Projekte zerstörten, wurden von bürgerlichen Regierungsräten geschnürt, zu denen auch er gehört. Und ist das Argument «Andere können es auch nicht besser» wirklich gut genug?
Prophet im eigenen Land
Amsler leidet sichtlich darunter, nicht geliebt zu werden. Als er 2017 mit nur 39 von 56 Stimmen zum Regierungspräsidenten gewählt wurde (die Wahl ist für gewöhnlich reine Formsache), hielt er dem Parlament eine emotionale Standpauke. Er war den Tränen nah. Auf dem Weg durch die Schlossweiher sagt er nachdenklich, er sei dünnhäutiger geworden in den letzten Jahren. Aber das sei auch gut so. «Man muss das zulassen. Ich höre stark auf mich, lasse die Emotionen an mich heran. Professionelle Routinen sind gefährlich, die machen etwas mit deiner Persönlichkeit. Ich bin ein ganz netter, sensibler Mensch.»
Wir stehen neben ihm und würden gar noch weitergehen: Christian Amsler hat mit Sicherheit ein grundgutes Herz. Woran es ihm fehlt, ist etwas Gelassen- und Bescheidenheit.
Denn trotz der dünnen Haut schont sich Christian Amsler nicht, im Gegenteil. Der Wunsch nach immer mehr Einfluss gipfelte in den vergangenen Jahren in erfolglosen Kandidaturen für den Ständerat und den Bundesrat. Wie wir hinter ihm dem engen Waldweg folgen, vorbei am zweiten und dritten Weiher, denken wir: Vielleicht liegt der Geltungsdrang ja in diesem riesigen Körper begründet, 196 Zentimeter hoch, breit wie ein Kleiderschrank. Sieht er es vielleicht als Aufgabe an, diesen 100 Kilogramm schweren, gottgegebenen Körper ums Verrecken mit Anmut zu füllen?
Wir erreichen die Feldbrunnenquelle, Christian Amslers Kraftort. Kundig erklärt er, was es mit den Toneinschlüssen im Boden auf sich hat, dass es ein noch so trockener Sommer sein könne: «Hier kommt immer Wasser. Egal wie die Politik entscheidet, dieses Bächlein fliesst.» Es sei tröstlich, sich die Nichtigkeit der eigenen Existenz ins Bewusstsein zu rufen, sagt der gläubige Christ. Als Amsler 2017 vom Parlament den Denkzettel bekam, sagte er zur Presse: «Man will mich prüfen.» Hier, an seinem Kraftort, wähnt man plötzlich einen Pastor vor sich. Und man bekommt eine Ahnung, wo er herkommen könnte, der Hang zur grossen Geste.
Was wurde er verlacht in den vergangenen Jahren für seine exzessive Performance in den sozialen Medien; sogar sein mittlerweile verstorbener Hund Nanda hatte ein eigenes Facebook-Profil – und bekam einen Nachruf in den Schaffhauser Nachrichten.
«Ich mag die Repräsentation», sagt Amsler. «Aber in Schaffhausen ist man da kritisch. Wenn jemand den Kopf aus dem Fenster hält, bekommt er eins auf den Nüschel.» Amsler betont, in seiner Funktion als «Aussenminister» werde er viel mehr geachtet als zuhause. Ein Prophet im eigenen Land. Vielleicht kommen auch daher die Bemühungen, die Provinz zu verlassen und in Bundesbern neu anzufangen.
Man könnte sich Amsler aber auch ennet der Grenze gut vorstellen. Er erinnert in seinem Habitus an Markus Söder. Würde er nicht vielleicht als bayrischer Bildungsdirektor eine bessere Figur abgeben als im nördlichsten Zipfel der Schweiz? In einem Umfeld, in dem man sich nicht schämen muss für die grosse Geste?
Mitleid mit dem Magistraten
In Schaffhausen bekommt er dafür tatsächlich gerne mal eins auf den Nüschel. Und zwar nicht nur von links und mitunter von der eigenen Partei – sondern in aller Härte auch von der hemdsärmligen Volkspartei. Die SVP macht sich immer wieder lustig über den gesellschaftsliberalen Feingeist mit den bunten Jazz-Schals, der lieber noch die zweite Wange hinhält als zurückzuschlagen. «Er ist halt eher ein Linker», bringt es Parteipräsident Walter Hotz auf den Punkt. «Die SVP-Wähler schauen seiner Kandidatur sehr kritisch entgegen.»
Die SVP triezt ihn schon, seit er 2009 erstmals für den Regierungsrat kandidierte. Damals wollte ihn die Stettemer SVP-Sektion verhindern. Er sei ein Blender mit einem Powerpoint-Lächeln, sagten sie und bauten mit FDP-Mann Florian Hotz eigens einen Gegenkandidaten auf, nur um Amsler zu verhindern. Die Stettemer SVP scheiterte kläglich, doch die Feindschaft blieb. «Dass die SVP etwas gegen mich hat, kann ich bis heute nicht einordnen», sagt Amsler ratlos. «Das finde ich nicht heraus, davon musste ich mich lösen.»
Vielleicht kann die Causa BBZ helfen, die Differenzen zu erklären: Auf der einen Seite haben wir den Schwingerkönig Ernst Schläpfer, der sich aufführt wie ein Inselkönig. Auf der anderen den dünnhäutigen Regierungsrat, der es (trotz gegenteiliger Beteuerungen) nicht verputzen kann, wenn man ihn kritisiert und respektlos behandelt. Da ist der Schläpfer, der ins Schaffhauser Fernsehen geht und in aller Seelenruhe sagt: «Ja, ich bin vielleicht schon auch selber schuld, dass sie mich rausgeworfen haben. Ich lasse mir halt nicht alles sagen.» Und dort ist der Amsler, der sagt: «Wir sind hier nicht im Sägemehl! Zu Schläpfer gäbe es so viel zu sagen, aber ich darf nicht wegen dem Amtsgeheimnis! Ihr könnt das Obergerichtsurteil anschauen, ich werde voll und ganz entlastet!»
Mit welchem der beiden sympathisiert wohl die SVP?
Und wie man zurückspaziert durch die herrlichen Schlossweiher und mit Amsler über den Fall Schläpfer redet, über die Schulzahnklinik (der Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission PUK wird kommende Woche präsentiert), über all die Kritik, die auf ihn einprasselt, und wie Amsler sagt: «Ich weiss wirklich nicht, was man gegen mich haben kann» – da bekommt man plötzlich Mitleid. Und das ist ein sonderbares Gefühl. Man möchte nicht Mitleid haben müssen mit einem Magistraten. Das fühlt sich irgendwie falsch an.
Schliesslich sind es vielleicht weniger handfeste Verfehlungen, die die Leute auf Christian Amsler einprügeln lassen. Vielleicht ist er gar kein schlechter Regierungsrat. Vielleicht wächst die Abneigung gar nicht in den Hirnen der Menschen heran – sondern in den Bäuchen.
Amsler steht unter Druck, und die hohen Ansprüche an sich selbst wirken als Katalysator. Er weiss: Macht er wieder so wenige Stimmen wie bei der Ständeratswahl, dann ist es zappenduster. Doch mit dem krampfhaften Versuch, sich locker zu machen, zieht sich die Schlinge nur noch mehr zu.
Man würde ihm wünschen, dass er mal einen Joint raucht – und ein wenig über sich selber lacht.
Oder mal wieder Markus Werner liest, der schrieb: «Nur das Zögern ist human.»