Lärm, sagen die einen, Motorenmusik die anderen. Wer hat recht? Eine Reportage auf dem Velo und im Toyota.
«Pfus guet, chlini Stadt» – ach, Herr Wiesmann, wenn Sie nur wüssten, wie sich Ihre kleine verschlafene Provinz «änne am Rhy» seit 1970 verändert hat. Kein Auge kriegt man mehr zu in dieser Stadt. Und nein, es sind für einmal nicht die Italiener, bei denen es fidel und lustig zugeht, während andere hinter ihren bürgerlichen Wänden nicht mehr schlafen können. Die Störenfriede der Stunde, das sind die Sportwagenfahrer mit ihren aufgemotzten Karren, illegalen Auspuffsystemen und den bleiernen rechten Füssen. Sie sorgen momentan für eine Flut an Leserbriefen und politischen Vorstössen.
Einer, der dem Lärm den Kampf angesagt hat, ist Rudolf Burgstaller. Vor drei Jahren beklagte er sich in den SN unter anderem über das Unterstadt- und das Lindlifest, weil diese zu laut seien. Ein noch grösserer Dorn im Auge sind ihm aber seit längerer Zeit die «modifizierten Autos», die mit zu tiefem Gang und knatternden Auspuffen fast jedes Wochenende durch die Fischerhäuserstrasse protzen. «Das sind etwa fünf bis zehn Leute, die sich wahnsinnig cool finden», sagt er. Diese würden sich in den sozialen Medien verabreden, um dann dem Rhein entlang ihre Sportkarossen zu präsentieren. Das wisse er, weil er einen «Draht in die Szene» habe. «Die verabreden sich zum Blochen und ein ganzes Quartier leidet darunter.»
Die Jagdsaison ist eröffnet
Die Fischerhäuserstrasse ist kein Einzelfall. Ähnliche Stimmen werden zum Beispiel auch im Grubenquartier laut. Jedes Wochenende träfen sich dort die Autofans bei einer Waschanlage, liessen laute Musik spielen, kurvten sinnlos in der Gegend herum und machten Radau, heisst es. Unter den Lärmgeplagten ist man sich einig: Die Polizei tut zu wenig.
Bereits vor zwei Jahren machte die ehemalige Grossstadträtin Theresia Derksen (CVP) den Stadtrat in einer Kleinen Anfrage auf das Problem aufmerksam. Dieser versprach ein höheres Einsatzdispositiv der Verkehrspolizei, mehr Kontrollen. Das sei wirkungslos geblieben, konstatiert Derksens Nachfolgerin Nathalie Zumstein (CVP) in einer weiteren Kleinen Anfrage von Ende April, auf welche die Antwort noch aussteht.
Das liess die Schaffhauser Polizei nicht auf sich sitzen und liess die Zahlen sprechen. «Raser, Poser und deren getunte Fahrzeuge», so der Titel einer im Mai veröffentlichten Medienmitteilung. Die Ordnungshüter hätten aufgrund von sich häufenden Meldungen aus der Bevölkerung ihre «Kontrolltätigkeit erhöht», heisst es. Die Ausbeute: 17 Strafanzeigen wegen Verursachens von vermeidbarem Lärm durch Hochdrehen des Motors und noch einmal deren 10 wegen illegalen Abänderungen an den Fahrzeugen. Die Jagdsaison ist eröffnet, so scheint es.
Poser sind keine «Snitches»
Da will ich mitmachen. Es ist Zeit, diese Unholde zur Rede zu stellen. Woher nehmen die sich das Recht, den Schaffhausern den Schlaf zu stehlen? Und was ist überhaupt der Reiz daran? Ich schwinge mich auf mein Rennvelo und fahre in Richtung Rhein. Ich postiere mich auf dem Parkplatz am Salzstadel. Lange muss ich nicht warten, bereits nach wenigen Minuten erhellen Xenon-Scheinwerfer die Abenddämmerung und ein blauer Toyota mit Heckspoiler wummert um die Ecke. Modell Supra, wie ich später herausfinde. Er biegt aus der Fischerhäuserstrasse in die Rheinhalde, beschleunigt, es knattert, dann ist er weg. Nach ein paar Minuten noch einmal dasselbe Spiel, nur in entgegengesetzte Richtung. Nach zwei bis drei Minuten kommt der Nächste. Einbiegen, knatter knatter, Abgang. Sie halten niemals an und auf dem Velo komme ich ihnen nicht nach. Ich gebe auf für heute.

Der Sonntagmorgen danach. Mit einem Kaffee stehe ich am Fenster und traue meinen Augen kaum. An der Tankstelle gegenüber steht er, der blaue Toyota von gestern Abend. In den Hausschuhen und Jogginghosen renne ich das Treppenhaus runter. Jetzt kriege ich dich … leider nicht. Als ich aus der Haustüre stürme, lässt er den Motor an und braust davon. Auf dem Beifahrersitz meine ich einen ehemaligen Klassenkameraden zu erkennen.
Das Handy aus der Jogginghose gekramt, schreibe ich ihm eine Nachricht. «Nein, das war ich nicht. Fahre einen M4. Gibt’s Stress?», antwortet er. «M4» gebe ich ins Google-Suchfenster ein. Moment, von denen habe ich doch gestern auch ein paar gesichtet. Habe ich etwa meinen ersten Poser gefunden? Wenn ja, dann wird er es bestimmt nicht zugeben. Ob er denn einen Poser kenne, frage ich diplomatisch. Er kenne einige, schreibt er. Doch vermitteln werde er mir keinen. «Ich bin kein Snitch», stellt er klar, kein Spitzel. Aber die Poser zu fragen, lohne sich sowieso nicht, sagt er. «Die lassen lieber ihre Autos für sich sprechen.»
Seltsam. Die lauten Tuner plötzlich so leise. Und die, denen es zu laut ist, hört man überall.
Der Ton macht die Musik
Doch auch die Autofahrer haben eine Stimme. Mariano Fioretti (SVP) zum Beispiel, der sich in einer Kleinen Anfrage gegen eine angeblich vom Stadtrat geplante Tempo-30-Zone an der Fischerhäuserstrasse starkmachte. Er warnte vor einer «Schikanierung der Autofahrer».
Ob an dem Gerücht etwas dran ist, dazu will sich der Stadtrat noch nicht äussern. Doch auch wenn die Tempo-30-Zone kommt: ob sie gegen Poser nützt, ist fraglich. Denn Poser sind nicht zu verwechseln mit Rasern. Bei einer fünftägigen Tempomesskampagne an der Fischerhäuserstrasse Ende Mai seien 33 000 Fahrzeuge erfasst worden, teilt die Polizei mit. Geblitzt wurde keines. Laut war es trotzdem.
Um Autoposer zu überführen, hat die Polizei zwei Optionen. Die erste ist der Nachweis, dass an einem Fahrzeug illegale Veränderungen vorgenommen wurden. Bei Posern beliebt ist zum Beispiel der Klappenauspuff. Per Knopfdruck lässt sich damit der Abgasstrom, je nach gewünschter Lautstärke, in ein grösseres und damit schallintensiveres Endrohr leiten. Klappenauspuffe sind bei Neuzulassungen verboten, bei älteren Modellen sind sie teilweise aber noch erlaubt, wenn sie vor Übernahme der entsprechenden EU-Vorschriften in der Schweiz zugelassen wurden. Es kann also unter Umständen kompliziert werden.
Die zweite Option, einen Krachmacher aus dem Verkehr zu ziehen, ist der Tatbestand «Verursachen von vermeidbarem Lärm». Dazu müssen sich Polizisten auf die Lauer legen und darauf warten, dass ein Autofahrer seinen Motor aufheulen lässt oder wiederholt «unnötig» umherfährt. Beide Methoden sind mit erheblichem personellen Aufwand verbunden.
Ich wechsle die Seiten
Deshalb scheinen die Behörden nun ihre Strategie erweitert zu haben. «Laut ist out» steht auf den Plakatständern, die die Schaffhauser Polizei entlang der Hauptverkehrsachsen der Stadt aufgestellt hat. Ob sich die Tuner dadurch umstimmen lassen?

Dazu, so scheint es mir, müssten wir verstehen, woher die Faszination des lauten Autos überhaupt kommt. Anruf bei der Garage Zara im Schweizersbild – Besitzer Zaim Krasniqi ist einer der wenigen Schaffhauser Garagisten, die überhaupt noch Tuning anbieten und das auch so auf ihrer Website ausweisen. Selbst eine Garage, die sich früher «Tuning Center» nannte, heisst jetzt nur noch «Autotechnik». «Tuner» ist zum Schimpfwort geworden.
«Es ist wie wenn du deine Lieblingsmusik hörst: Dann stellst du ja auch lauter», erklärt mir Krasniqi. «Ja, aber ich tue das mit Kopfhörern, dann störe ich niemanden», entgegne ich. Krasniqi sagt: «Du kannst die Tuning-Szene nicht verstehen, wenn du nicht Teil davon bist.»
Na gut, denke ich mir, dann werde ich jetzt Teil der Szene. Ich schreibe meiner Schwester. «Ich muss dein Auto ausleihen.» Einen blauen Toyota Yaris. Jeder Tuner hat mal klein angefangen, da bin ich mir sicher. Ich steuere das winzige Gefährt in Richtung Schifflände. Ein letzter Zwischenstopp am Fussgängerstreifen, dann rein in die Fischerhäuserstrasse. Kupplung runter und Vollgas. Es röhrt, der Diesel hämmert, alles vibriert. Irgendein Lämpchen auf dem Armaturenbrett leuchtet kurz auf, erlischt aber gleich wieder. Naja, Euphorie macht sich nicht gerade breit, dafür habe ich wohl nicht das richtige Auto. Aber ich gebe zu, es fühlt sich gut an.
Ich glaube, ich habe es verstanden. Es ist diese reizvolle Abspaltung vom Vernünftigen und Rücksichtsvollen. Es ist der abschätzige Blick des Familienvaters mit Kindern am Strassenrand, der es ausmacht. Dass die Motorenmusik nicht allen gefällt, macht sie umso hörenswerter. Zumindest, wenn man sie selbst verursacht.