One Man Show

8. Mai 2020, Marlon Rusch
Hinter der Kulisse.
Hinter der Kulisse.

Er redet wie ein Sturmgewehr, doch aus seinem Mund schiessen Charisma und Ideen. Jetzt verlässt Mister «SHf» Sebi Babic den Sender.

Gleich ist Fototermin. Doch das Bild, das den Berufsmenschen Sebastian Babic in seiner Ganzheit erfassen würde, bietet sich bereits wenige Minuten zuvor: Da steht dieser Mann, Geschäftsführer, Redaktions­leiter und «Anchorman» eines Fernsehsenders, mit Anzug, Krawatte und Turnschuhen auf einer Bockleiter im Aufnahmestudio und montiert den Greenscreen ab, behände und routiniert wie ein Techniker. Gleichzeitig redet und redet er, schnell wie ein Sturmgewehr, macht Witz um Witz, antwortet auf Fragen, ehe das Fragezeichen ausgeklungen ist; und wenn doch mal für einen Augenblick Stille einkehrt, schaut er einen mit wachen, neugierigen Mandelaugen an wie ein Welpe, dem man unmöglich einen zweiten und dritten Keks ausschlagen kann.

Sebastian Babic ist eine Figur, wie es sie nur bei einem Lokalsender geben kann. Er ist der Sender. Fragt man auf der Strasse zehn Passanten nach Sebastian Babic, kennen neun von ihnen das Gesicht des Mannes, der schon Dutt trug, bevor ihn die Hipster der Zehnerjahre für sich entdeckten. Umgekehrt ist seine riesige Adresskartei in den Redaktionsräumen legendär. Eine Handvoll Sendeformate hat er in den vergangenen Jahren aus dem Boden gestampft. Dutzende Sponsoringverträge an Land gezogen. Über 600 Studio-Talks geführt, viele davon wären ohne seine hartnäckigen Charmeoffensiven nicht möglich gewesen. Ein Hansdampf, ein Getriebener, ein Glücksfall für einen chronisch unterfinanzierten Sender.

Jetzt, nach 9 Jahren beim Schaffhauser Fernsehen, zieht Babic weiter. Mit 35 Jahren sei er in seiner leistungsfähigsten Phase, sagt er, die Zeit sei gekommen für ein neues, grosses Abenteuer. Wo? «Ich weiss es noch nicht. Wirklich nicht.»

Auf der anderen Seite: Ernüchterung. Er sei «niedergeschlagen» gewesen, als er von der Kündigung erfahren habe, sagt Beat Rechsteiner, CEO der Meier + Cie AG, der neben den Schaffhauser Nachrichten und Radio Munot auch das Fernsehen angehört. Obwohl schon lange klar gewesen sei, dass man Babic nicht ewig halten könne. «Er hat zum Fernsehen gepasst wie die Faust aufs Auge. » Für den Sender ist der Abgang eine Zäsur.

Das Paretoprinzip

2011 bewirbt sich Sebastian Babic auf eine Stelle in der SHf-Redaktion. Doch als Studienabbrecher («Fick dich, Bologna») und Praktikant bei den SN rechnet er sich keine grossen Chancen aus. Noëlle Guidon, die damalige Chefredaktorin, erinnert sich, dass Babic total überrascht gewesen sei, dass man sich für ihn entschieden habe. Es habe zwar etliche Bewerberinnen und Bewerber mit mehr Erfahrung gegeben, doch Babic sei so motiviert gewesen, man habe gar nicht anders gekonnt, als ihm den Job zu geben. «Bei SHf hatte man immer mega viel Spielraum; aber man brauchte viel Energie und Durchhaltewillen.»

Dabei waren das noch die goldenen Zeiten. Das Fernsehen hatte eine richtige Redaktion mit einer Handvoll Redaktorinnen, beschäftigte einen Kameramann allein für die Werbung. Doch kurz nachdem Babic gekommen war, wurde der erste grosse Aderlass beschlossen. Der Geschäftsführer ging, die Redaktionsleiterin ging, alle anderen Redaktoren gingen, die Kosten für den Sender wurden um weit über 50 Prozent gesenkt.

Babic blieb. Und kletterte nach oben. Stufe um Stufe.

Als er seinem ehemaligen Idol und heutigen Freund Bänz Friedli 2017 erzählte, er sei zum Geschäftsführer befördert worden, sagte dieser: «Spart ihr?» Ein Witz mit wahrem Kern: Mit jeder neuen Sparrunde stieg Babic mühelos auf. Der Aufgabenbereich wurde breiter und breiter – umgekehrt proportional zu den finanziellen Mitteln und zur Grösse der Redaktion.

Um zu bestehen, bediente sich Sebastian Babic des Paretoprinzips. Er hat die Regel, die besagt, dass 80 Prozent des Ergebnisses mit 20 Prozent des Aufwandes erreicht werden können, auf die Spitze getrieben. Perfekt war sein Fernsehen nie, wie auch?, aber es hat fast immer alles irgendwie geklappt.

Plötzlich, mitten im Gespräch, sagt er: «Warum macht ihr eigentlich kein AZ-TV? Du kaufst zwei gebrauchte D-SLR-Kameras, 7D, verbindest sie, zwei Lichter, zwei Stühle, zwei Mikrofone – 3000 Franken, that’s it. Ich könnte euch morgen einen Sender aufmachen.» Auf Babics Schreibtisch liegen ein Motorradhelm, eine Schachtel Kent braun und ein zuckerfreier Energy-Drink – der Mann scheint tatsächlich allzeit bereit.

Vielleicht aber ist seine grösste Stärke gar nicht seine Energie – sondern dieses entwaffnende Charisma.

«Sebi ist wie ein Löwe; er hat immer alles gegeben, was er hat», sagt etwa Lia Budowski, die als junge Praktikantin mit Babic Fernsehen gemacht hat. «Aber er hat mich auch mehr als einmal getröstet, als ich weinend an meinem Bürotisch sass. Sebi hatte es einfach immer mit allen gut. Er ist heute noch ein Vorbild.»

Der Menschenfänger

1986 fuhr der 25-jährige Tomislav Babic im Renault 4 von Kroatien in die Schweiz, im Gepäck ein mittelgrosser Koffer mit ein paar Kleidern, in der Heimat seine Frau Antonija und der einjährige Sebastian. Vater Tomislav hatte Germanistik studiert. In der Schweiz wollte er ein Jahr lang jobben, Geld verdienen, und dann schnell zurück in die Heimat.

Doch Babic blieb. Holte die Familie nach. Und kletterte nach oben. Stufe um Stufe.

Er fing als Kellner im Wasserfels in Stein am Rhein an, später übernahm er den Falken, die Brasserie, die Hopfenstube, das Hombergerhaus, über 100 Angestellte, grösster Gastrounternehmer der Region, Präsident des Gastroverbands.

Sebastian erzählt von einer schönen Jugend in Stein am Rhein mit vielen Freunden. Aufgewachsen in der Wirtewohnung, die Hausaufgaben an Tisch 7, es sei immer was los gewesen. Er hat ihn schnell erkannt, den Schlüssel zum Erfolg: Man muss der perfekte Gastgeber sein. Immer freundlich, immer zuvorkommend, ein Dienstleister, der sich auch nicht anmerken lässt, wenn es ihm mal nicht so gut geht. Nicht nur als Wirt.

Er würde es sich bald zu Herzen nehmen. Zuerst aber ergab er sich der jugendlichen Wut: Mitte der Nullerjahre schlug ein junger Rapper aus Stein am Rhein erste Wellen. Pole war schnell, guter Flow, eine gute Portion Pathos. Die Immigrantengeschichte war der perfekte Topos.

Meine Eltern kamen hierher mit nix und kämpften sich hoch
ich hab gelernt für die Schule und sie wie Deppen malocht
seht uns jetzt an, guckt, wer jetzt Scheine macht, wer Business macht
unsern Namen kennt die ganze Stadt.
Ich bin die Stimme für die homes aus dem Block
Balkan-Rap und ihr seht rot wie bei Stopp
Das Leben schwierig, meine bros ohne Job
doch wir sind over the top, over the top.

Es war die Zeit, als Sebastian von seinem Vater einen silbergrauen Porsche bekam – «vorgeschossen» und abgestottert in elf Jahren Frühdienst, jeden Sonntagmorgen um acht im Falken. So erzählte es Vater Tomislav 2017 in einem AZ-Porträt.

Bald aber kam in den Texten des Jungspunds Pole ein erfrischendes Augenzwinkern hinzu. Und Sozialkritik. Die verspielten Clips wurden auf Viva gespielt.

Der Spagat

Doch mit der zunehmenden Verantwortung als SHf-Mann musste das Alter Ego Pole immer mehr in den Hintergrund treten. «Als Rapper lässt du auch Sachen raus, die du nicht eins zu eins so meinst», sagt Babic. Er habe heute noch zwei Alben zuhause rumliegen, die irgendwann raus müssten. «Vorher kann ich nicht in Frieden sterben.»

Den Zielkonflikt zeigt vielleicht folgende Strophe am eindrücklichsten:

Ich bezweifle, dass du weisst, wie es ist
täglich in der Zeitung zu lesen, wie scheisse man ist
Jugos hin, Jugos her, guck, ich scheisse auf Christoph …
Hundesohn, du weisst es noch nicht.

Einige Jahre später hat besagter Christoph auf Babics Schaffhauser Fernsehen ein eigenes Sendeformat. 2019 hielt Babic im Haus der Freiheit von Toni Brunner in Ebnat-Kappel zum Jubiläum von Blocher-TV eine Laudatio auf den SVP-Grandseigneur. Heute sagt Babic, er würde seine politische Haltung als «ideenoffen und undogmatisch» beschreiben. Blocher habe «durchaus etwas zu sagen».

Undogmatisch, in der Tat. Babic kutschiert wirklich mit allen gleichermassen. Sonst hätte er kaum, ohne Zuschauerzahlen vorweisen zu können (die Erhebung wäre zu teuer), so viel Werbung verkaufen können.

Man könnte sich fragen: Hat er überhaupt eine Linie? Reicht Nettigkeit als Programm?

Manchmal, lacht Ex-Praktikantin Lia Budowski, sei Babic etwas gar zu nett gewesen. «Manchmal hätte es auf der Redaktion ein Machtwort gebraucht, doch das konnte er nicht sprechen. Er ist nicht wirklich ein Chef.»

Jetzt zieht Babic weiter. Am 29. Mai ist sein letzter Arbeitstag bei SHf. Er will wieder mehr Journalismus machen – weniger Chef sein.

Es wird ihm kaum schwerfallen, anderswo Fuss zu fassen.