Heute wieder ein heisser Tipp, was Sie tun könnten: Den Simplicissimus lesen.
Wahrscheinlich werden Sie daran verzweifeln, aber es lohnt sich.
Also wurde ich bey Zeiten gewahr
Simplicissimus
dass nichts beständigers in der Welt ist
als die Unbeständigkeit selbsten.
Neue Serie: «Was tun?» Folge 7: Simplicissimus.
Versammlungsverbot und Selbstisolation: Das kann schnell langweilig werden. Deshalb liefert die AZ jede Woche eine erprobte Idee, wie man sich beschäftigen kann, wenn fast alles verboten ist.
Folge 1: Burek backen
Folge 2: Online-Tutorials
Folge 3: Hobbyastronomie
Folge 4: Eierfärben
Folge 5: Selbstschur
Folge 5: Aufräumen nach Mari Kondo
Als sich abzeichnete, dass ich an Wochenenden und Feierabenden bald sehr viel Zeit hätte, die ich nicht anderweitig verbraten würde, war schnell klar: Das ist Lesezeit. Aber nicht normale Lesezeit, sondern, und das ist das Fantastische daran, zusätzliche. Ein Fenster hat sich aufgetan für Bücher, die man liest, nicht weil sie sich aufdrängen, sondern weil man Zeit verschwenden kann. Wie in der Kindheit, als man Bücher vielleicht zwei, drei Mal wieder gelesen hat.
Schon lange denke ich: Ich will den Simplicissimus nochmals lesen. Das wichtigste Prosawerk der deutschen Barockzeit; ein Schelmenroman, der die Wirren des Dreissigjährigen Krieges schildert: so komisch, furchtbar brutal und irrsinnig. Einerseits fand ich den Roman von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, als ich ihn vor einigen Jahren las, derart abgefahren; ich kann mich dunkel daran erinnern, dass ich Freunde nervte mit Handyfotos von Textstellen. Und andererseits dachte ich in letzter Zeit ein paar Mal: Diese Welt ist so verrückt; ich glaube, es wäre sinnvoll, dieses Buch wieder präsenter zu haben.
Als Ausleger der Weltordnung: Der Bauernlümmel Simplicius aus dem teutschen Spessart. Ein hoffnungsvoller junger Mann, der sich später den Zunamen Simplicissimus verdient und alles aus seiner scheinbar naiv-närrischen Sicht betrachtet. Aber wie sagt Simplicissimus so schön: Ein Narr macht ihrer hundert.
Und so erlebt man, wie der junge Kerl – nachdem ein Trupp Soldaten, angelockt durch Simplicissimus’ Sackpfeifenspiel, sein Dorf zerstört – in die Welt hinaus zieht. Und als Narr, später Bandenführer oder als Lustknabe Abenteuer erlebt, die Titel tragen wie: Dem seltzamen Simplicio kompt in der Welt alles seltzam vor / und er hingegen der Welt auch. Oder: Simplicius erschnappet ein gute Beut / und wird darauff ein diebischer Waldbruder.
Simplicissimus ist übrigens auch mal als Wallfahrtsbruder auf Durchreise in Schaffhausen. Hier schmerzen ihn allerdings die Füsse so sehr, dass er die Erbsen, die er zwecks Selbstkasteiung in den Schuhen trägt, weich kocht. Ein weiteres Mal, da er in Schaffhausen weilt, wird viel Fatzwerk mit ihm getrieben und er wird von bösen Buben mit Gassenkot beworfen.
Was ich eigentlich sagen wollte: Der Simplicissimus kommt während der Corona-Krise wie gerufen. Dachte ich und begann ihn vor ein paar Tagen erneut zu lesen. Aber bald schon wollte ich ihn am liebsten in die Ecke schmeissen. Du elende Närrin, sprach ich zu mir, wieso tust du dir das an? Dieser Roman ist ein verdammt harter barocker Brocken. Und man selbst fühlt sich wie Sisyphos, wenn man ihn wälzt, denn die Seiten werden nicht weniger. Man muss sich diesen Simplicissimus verdienen. Vor allem dann, wenn man ihn in der Originalsprache des 17. Jahrhunderts und nicht in der modernisierten Variante lesen will: Das ist beschwerlich, aber der Versuch lohnt sich, wenn man etwas Sitzfleisch hat. Die Sprache ist einfach zu possierlich und bereichernd, um sie sich entgehen zu lassen.
Wenn Sie also selbst nicht eine Reihe von Büchern haben, die Sie nochmals lesen möchten, dann sei Ihnen der Simplicissimus empfohlen. Auch wenn Sie (wie ich wahrscheinlich dieses Mal) irgendwann daran scheitern oder durchdrehen, er ist es wert.
Empfehlenswert ist beispielsweise die von Dieter Breuer herausgegebene Originalsprachen-Ausgabe («Deutscher Klassiker Verlag»).