Als Erdbeerroulade wiedergeboren

25. April 2020, Romina Loliva
Vorher – nachher.
Vorher – nachher.

Am Rande der Verzweiflung ist jedes Mittel recht: Auch professionelle Aufräumhilfe von Mari ­Kondo. Zu wahrem Glück findet man aber dann doch allein.

Neue Serie: «Was tun?» Folge 6: Ordnung nach Mari Kondo.
Versammlungsverbot und Selbstisolation: Das kann schnell langweilig werden. Deshalb liefert die AZ jede Woche eine erprobte Idee, wie man sich beschäftigen kann, wenn fast alles verboten ist.
Folge 1: Burek backen
Folge 2: Online-Tutorials
Folge 3: Hobbyastronomie
Folge 4: Eierfärben
Folge 5: Selbstschur
Folge 7: Simplicissimus


Seit ein kleines quietschfideles Menschlein – nun eineinhalb Jahre alt, mit diktatorischen Zügen ausgestattet – meine ungeteilte Aufmerksamkeit verlangt, ist es mit dem harmonischen Zuhause vorbei. Es vergeht kein Tag, an dem sich kein Geschirr stapelt, ich nicht gegen Kolonien von hartnäckigen Staubmäusen kämpfen oder gemeingefährlich platziertes Spielzeug aus dem Weg räumen muss. 

Besonders hart hat es meinen Kleiderschrank getroffen. Wo einst Pullis, Hosen und Shirts einigermassen übersichtlich abgelegt waren, herrscht jetzt pure Anarchie. Ein Urwald aus Stoff, der längstens die Grenzen des Schranks überwunden hat, nimmt mittlerweile das ganze Schlafzimmer in Beschlag. Und während mein Kind kleine und grosse Kleiderhaufen zu Kletterübungszwecken erklimmt, steigt mein Leidensdruck ins Unermessliche. 

Ich muss aufräumen. Nur sind die gängigen Methoden fehlgeschlagen und es mangelt deutlich an Platz. Deshalb ruf ich etwas widerwillig die Päpstin der Ordnung auf den Plan: Mari Kondo. Haben Sie noch nie von der flinken Japanerin gehört, die seit ein paar Jahren mit ihren Ratgebern Millionen scheffelt? Dann verbringen Sie eindeutig zu wenig Zeit im Internet, auf Netflix oder in Bücherabteilungen, die der sogenannten Frauenliteratur gewidmet sind. 

Wer zum Vergnügen oder Selbstkasteiung die zauberhafte Welt der Mari Kondo betritt, wird nicht nur nie mehr Unordnung erdulden müssen, nein, sie oder er wird als neuer Mensch geboren. Zumindest so das Versprechen, das im Handel knappe 20 Franken kostet. Kondo schwebt in ihrem Buch leichtfüssig durch die Wohnungen aller Welt und propagiert weibliche Perfektion, die mein feministisches Herz zum Weinen bringt. Aber ihr Prinzip ist einfach: Das, was dir keine Freude macht, muss weg. «Does it spark joy?», fragt Kondo mit einer niederschmetternden Naivität und bringt die Leute dazu, ihren Krempel tonnenweise aus dem Haus zu schaffen. Natürlich kauft man dann neue, schöne Dinge, die auf Kondos Online-Shop zu finden sind, aber das ist eine andere Geschichte. 

Ich strebe weder eine Wiedergeburt noch das Dezimieren meiner Garderobe an, aber eines muss ich Kondo lassen: Jedes Kleidungsstück in die Hand zu nehmen, macht Sinn. Plötzlich steigen Teile aus den Untiefen des Schranks, die wahrscheinlich seit Jahren kein Tageslicht gesehen, und andere, die ihr Haltbarkeitsdatum längstens überschritten haben. Einiges kann tatsächlich weg und landet in der Altkleider-Sammlung. Und nach eingehender Auslese ist der Haufen tatsächlich kleiner geworden.

Ordentlich ist es aber noch nicht. Darum mache ich mich ans Falten. Da schlägt Mari Kondo eine Technik vor, die leicht an Origami erinnert: Der Pullover wird nicht wie gewohnt nach dem Einschlagen der Ärmel in der Mitte einmal, sondern in seiner ganzen Länge dreimal gefaltet, damit ein Päckchen entsteht, das dann stehend in den Schrank gestellt werden soll. Wer nun rätselt, wie das gehen soll, fühlt sich so wie ich beim Hantieren mit der Wäsche. Egal wie ich die Teile auch falte, stehen wollen die Dinger nicht. Ausserdem muss man sich wohl einen Mari-Kondo-Schrank zulegen, um die Methode richtig durchzuziehen, denn in meinem müsste ich hintereinander stehende Reihen machen, was absolut widersinnig ist. Nach dem fünften Versuch gebe ich auf und entwickle meine eigene, platzsparende Faltart, die ich ganz ohne Bereicherungsaussichten hier weitergebe: Ich falte nicht. Ich schlage die Ärmel ein und rolle dann das Kleidungsstück zusammen. Das sieht dann etwas nach Erdbeerroulade aus, funktioniert aber. Erstaunlich schnell findet jedes Stück seinen Platz und ich, ganz ohne Mari Kondo,  allmählich zum Glück.