Hippie, Punk und Bünzli

17. April 2020, Peter Pfister
Mit dem richtigen Werkzeug kann man im heimischen Badezimmer viel Spass haben und trotzdem ein apartes Resultat erzielen. © Peter Pfister
Mit dem richtigen Werkzeug kann man im heimischen Badezimmer viel Spass haben und trotzdem ein apartes Resultat erzielen. © Peter Pfister

Sich selbst die Haare schneiden ist kein Schleck. Immerhin kann man dabei einiges ausprobieren.
Wenn man die Sauerei nicht fürchtet.

Neue Serie: «Was tun?» Folge 5: Selbstschur.
Versammlungsverbot und Selbstisolation: Das kann schnell langweilig werden. Deshalb liefert die AZ jede Woche eine erprobte Idee, wie man sich beschäftigen kann, wenn fast alles verboten ist.
Folge 1: Burek backen
Folge 2: Online-Tutorials
Folge 3: Hobbyastronomie
Folge 4: Eierfärben
Folge 6: Ordnung nach Mari Kondo
Folge 7: Simplicissimus


Die Sonne ist ein fieses Ding, besonders wenn sie direkt von hinten kommt. Mein Schatten, der vor meinem Velo her über den Asphalt rauschte, sah aus wie jener eines Zirkusclowns. Wegen der frühmorgendlichen Kühle hatte ich mir eine Kappe über die Ohren gezogen. Im Schattenriss zeichnete sie als Glatze zusammen mit der darunter hervorquellenden Haarpracht den perfekten dummen August. Ich hatte genug.

Bis jetzt war meine Haarlänge eine Wellenbewegung gewesen, die in langsamem Auf und Ab den Jahreszeiten folgte: Ab Herbst liess ich mir den Winterpelz wachsen. Wurde es im Frühling wärmer, pilgerte ich zum Coiffeur meines Vertrauens und erhielt den befreienden Frühlingsschnitt. Doch dieser ist seit vier Wochen zur Untätigkeit verdammt. Tagsüber stiegen die Temperaturen schon über zwanzig Grad. Nachmittags um drei konnte ich meine Kopfhaut leise köcheln hören.

In der Verzweiflung griff ich zur Selbsthilfe. Von Redaktionskollegen erhielt ich die notwendigen Werkzeuge: einen Top-Haartrimmer mit zwei verschiedenen Aufsätzen und eine Coiffeur-Schere, «feinste Importware aus Hanoi!».

Die einschlägigen Seiten zum Thema, die zurzeit im Internet grassieren, liess ich beiseite. Mit einer Ausnahme: Wenn ich mir schon die Haare selber scheren musste, so wollte ich mir wenigstens einmal im Leben eine Irokesen-Frisur aufs Haupt zaubern. Zuckerwasser sei für die Herstellung von «markanten Punkfrisuren» geeignet, lernte ich. Dafür müsse man Zucker in warmem Wasser auflösen und in eine leere Sprühflasche füllen: «Je mehr Zucker du verwendest, umso besser hält deine Frisur!»

Die Vorarbeiten waren rasch erledigt. Um zu vermeiden, dass der Haartrimmer vor Überarbeitung zu rauchen begann, erledigte ich das Gröbste mit der Schere. Dann surrte ich von beiden Seiten gegen den Scheitel. Ein kleines Missgeschick geschah, als ich ein bisschen zu fest zulangte und der Aufsatz des Trimmers in die kleinste Stufe zurückrutschte. Ob mein Coiffeur, so er denn wieder arbeiten darf, auch Haartransplantationen vornimmt? Zum Glück lag noch eine leere Flasche Fensterputzmittel herum. Ich füllte kräftig Zucker und gelbe Wasserfarbe rein und glaubte, nun die magische «Sex Pistol» in den Händen zu halten. Klebriger gelber Nebel begann das Badezimmer in ein schwefliges Hammam zu verwandeln.

Eine Stunde später sass ich immer noch mit hängendem Kopf über einem elektrischen Heizlüfter. Ich hatte nicht bedacht, dass ich mittschädlig mittlerweile doch unter einer gewissen Haarwuchsdefizienz litt. Das magere Büschel war immer wieder in sich zusammengebrochen, kaum war ich vor die Kamera getreten. Mit zwei zusätzlichen Zuckerschüssen gelang es mir aber doch noch, wenigstens für zehn Sekunden, meinen Kamm zu stellen.

Der Rest war schnell erledigt. Bald erinnerten nur noch ein Berg Haare und allenthalben verteilte zuckersüsse gelbe Flecken an die grimmige Schlacht, deren Zeuge mein Bad soeben geworden war.

Am meisten freuten sich die Ameisen. Sie hatten eine neue Zuckermine entdeckt.