In der Krise verschieben sich die politischen Machtverhältnisse. Die Parlamente hinken hinterher. Der Schaffhauser Kantonsrat kommt nur langsam in die Gänge.
Es ist ein ungewohntes Bild: So mächtig wie gerade jetzt war der Bundesrat seit dem Ende des Vollmachtregimes 1952 nicht mehr. Der Eingriff in unsere Grundrechte ist massiv. Alles geschieht zum Schutz unserer Gesundheit. Wovon nicht nur Leben abhängt, sondern auch das schlichte Funktionieren unserer Gesellschaft. Rechtlich stützt sich der Bundesrat auf das Epidemiegesetz, das seit 2016 in Kraft ist.Das Gesetz soll der effektiven Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten dienen, es hebt jedoch auch den Föderalismus aus den Angeln und degradiert die Kantone in vielen Belangen zu Vollzugsinstanzen, die lediglich in einer Vernehmlassung konsultiert werden.
Die Verschiebung der Machtverhältnisse ist deutlich. So mussten einige Kantone beschlossene Massnahmen zurücknehmen: in Uri eine Ausgangssperre für über 65-Jährige, in Schaffhausen die Schliessung aller Krippen. Den Kantonen sind die Hände aber nicht vollständig gebunden. Ergänzende Massnahmen sind möglich und werden auch verfügt.
Die Kantone ihrerseits kennen auch Notfall-Klauseln. Im Fall von Schaffhausen ist die ausserordentliche Lage im Art. 68 der Verfassung geregelt, das dem Regierungsrat ermöglicht, auch «ohne gesetzliche Grundlage» Massnahmen zu ergreifen. Ausserdem hat die Regierung den Notstandsfall festgestellt, der rechtlich im Bevölkerungsschutzgesetz legitimiert wird. Bereits am 3. März wurde der Teilstab Pandemie der sogenannten Kantonalen Führungsorganisation KFO einberufen, wie Staatsschreiber Stefan Bilger erläutert: «Diesem Teilstab wurde die zivile Führung bei der Koordination des Einsatzes der Organisationen von Kanton und Gemeinden übertragen.» Er koordiniere auch die von Bund und Kanton zur Verfügung gestellten Mittel. Und die Regierung hat eine Notverordnung erlassen, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Epidemie abzufedern. Die Regierung regiert. Nur: Das Rettungspaket wiegt schwere 50 Millionen Franken und überschreitet damit die eigentliche Finanzkompetenz der Exekutive bei Weitem.
Wo bleibt die Politik?
Normalerweise gäbe das Anlass zu stundenlangen Debatten im Kantonsrat. In aussergewöhnlichen Zeiten ist jedoch die Sehnsucht nach einer starken Führung auch in Schaffhausen spürbar. Die Regierung erntet von allen Seiten Beifall. Wo bleibt jedoch die parlamentarische Legitimierung und das Gleichgewicht der Gewalten? Die Notverordnung müsste gemäss Verfassung sofort dem Kantonsrat unterbreitet werden.
Was heisst aber in Krisenzeiten sofort? Alt-Oberrichter Arnold Marti kennt die kantonale Verfassung in und auswendig, am Konzept der Notfall-Klausel war er massgeblich beteiligt. «Jetzt erleben wir den Praxistest», meint er und stellt der Regierung soweit ein gutes Zeugnis aus. Die Notverordnung sei zeitnah gekommen und mit einem Antrag dem Kantonsrat unterbreitet worden, daher habe man sich an die Gesetze gehalten. Was die Gewaltenteilung betrifft, fügt er aber an: «Nun ist der Kantonsrat am Ball. Er muss die Verordnung genehmigen und könnte allenfalls Änderungen beschliessen.» Der Rechtsweg über eine Normenkontrolle durch das Obergericht sei ebenfalls noch offen.
Die Demokratie ist also noch intakt. Allerdings kommt die Politik nur langsam in die Gänge. Der Kantonsrat hat entschieden, erst am 11. Mai zu tagen und dann die Notverordnung zu behandeln. Oder besser gesagt, sie abzunicken. Das muss Kantonsratspräsident Lorenz Laich zugeben. «Gerade ist es wichtig, der Regierung den Rücken zu stärken. Ich erwarte nachträglich keine grossen Änderungen», meint der FDP-Politiker. In einer ausserordentlichen Bürositzung mit allen Fraktionspräsidien habe man die Meinungen abgeholt und gemeinsam beschlossen, die März- und Aprilsitzung des Rates ausfallen zu lassen: «Zwei Lager standen sich gegenüber. Jene, die das gebotene Social Distancing höher gewichten, und jene, die auf die Handlungsfähigkeit des Kantonsrats bestehen», die Ersten seien in der Mehrheit gewesen.
Zeigt sich gegen Ende der Legislatur eine gewisse Ermüdung in der Politik? Oder ist es schlichte Überforderung? Laich möchte weder das eine noch das andere gelten lassen: «Wir sind alle sehr gefordert», man stehe jedoch untereinander in Kontakt. Erste Kommissionen würden Online-Sitzungen abhalten, die GPK und die Justizkommission etwa. Und für den 11. Mai habe man eine Lösung gefunden, die die Einhaltung der Verhaltensregeln ermögliche: «Mit höchster Wahrscheinlichkeit werden wir in der Dreifach-Halle auf der Breite tagen», kündigt Laich an. Und man werde allenfalls die Lehren aus der Situation ziehen.