Mein Balkon ist eine Sternwarte

3. April 2020, Mattias Greuter
Nicht nur nachts: Der Mond ist heute Nachmittag gut sichtbar.
Nicht nur nachts: Der Mond ist heute Nachmittag gut sichtbar.

Unsere Wohnungen kommen uns gerade sehr klein vor. Gut, ist das Universum unendlich gross. Und der Zeitpunkt für einen Einstieg in die Astromonie ist perfekt.

Neue Serie: «Was tun?» Folge 3: Hobbyastronomie.
Versammlungsverbot und Selbstisolation: Das kann schnell langweilig werden. Deshalb liefert die AZ jede Woche eine erprobte Idee, wie man sich beschäftigen kann, wenn fast alles verboten ist.
Folge 1: Burek backen
Folge 2: Online-Tutorials
Folge 4: Eierfärben
Folge 5: Selbstschur
Folge 6: Ordnung nach Mari Kondo
Folge 7: Simplicissimus

Anmerkung: Die astronomischen Angaben beziehen sich auf die Region Schaffhausen und auf Anfang April 2020. Was jeweils gerade am Himmel los ist, finden Sie mit den Tips und Links am Ende des Artikels heraus.

Morgens um sechs Uhr sitze ich auf dem Balkon und friere. Es dämmert schon, aber noch ist es dunkel genug. Der Jupiter versteckt sich von mir aus gesehen gerade hinter dem Turm des Münsters zu Allerheiligen. Aber ganz in der Nähe sehe ich von Auge einen hellen Punkt, und ich weiss, was mich da aus 1500 Millionen Kilometern Entfernung anfunkelt. Ich richte das Teleskop aus und werde für das Frühaufstehen und Frieren belohnt: Saturn. Scharf und klar kann ich den charakteristischen Ring erkennen. Mein Teleskop: ein Kartonbausatz.

Sie haben jetzt Zeit, ein neues Hobby auszuprobieren? Um Ihren Lebensraum auf der Erde stand es schon besser – kein schlechter Zeitpunkt, um den Blick zu den Sternen zu richten. Ein Nachmittag in der Selbstisolation lässt sich mit Vorbereitung und Recherche verbringen, aber richtig spannend wird es natürlich nach Sonnenuntergang.

Erste Entdeckungen ganz ohne Teleskop

Für den ersten Einstieg brauchen Sie nichts ausser eine wolkenlose Nacht. Sie haben Glück: Jetzt ist gerade die ideale Zeit, um möglichst viele Sternbilder zu sehen. Auch der Mond ist gerade sehr gut zu beobachten: Die zunehmende Sichel ist noch nicht zu hell, und die von der Sonne abgewandte Seite ist zu erkennen, weil sie vom Sonnenlicht, das die Erde reflektiert, leicht erhellt wird.

Mit Linsen und Spiegeln wird der Nachthimmel noch eindrücklicher. Sie müssen aber nicht gleich Hunderte oder Tausende von Franken für ein Teleskop ausgeben. Liegt irgendwo ein Feldstecher rum? Je nach Grösse der Öffnung sehen Sie damit schon deutlich mehr als von blossem Auge. Ein paar Tipps vom Team der momentan geschlossenen Sternwarte: Suchen Sie mit einem der am Textende vorgestellten Tools den Orionnebel (unterhalb der drei Sterne, die den Gürtel bilden), den Kugelsternhaufen M41 (unterhalb des Sirius) oder den Doppelstern Alkor und Mizar in der Deichsel des Grossen Wagens. Highlight: Vom 2. bis zum 5. April zieht die Venus vor den Plejaden vorbei.

Die Planeten unseres Sonnensystems sind hervorragende Einsteigerobjekte. Die Venus ist aktuell als heller Abendstern zu sehen. Mars, Jupiter und Saturn stehen nahe beieinander und begrüssen Frühaufsteher. In den nächsten Tagen sind alle drei um halb sechs optimal sichtbar.

Auf den Spuren von Kopernikus und Galileo Galilei

Als erste Entdeckung empfehle ich: Bringen Sie das geozentristische Weltbild zum Einsturz!

Mit einem Feldstecher oder einem einfachen Teleskop können Sie die vier grössten Monde des Jupiters sehen, die nach ihrem Entdecker die galileischen Monde genannt werden. Ausserdem sollten Sie erkennen können, dass die Venus nicht rund erscheint: Sie nimmt zu und ab wie der Mond. Jetzt ist gerade «Halbvenus». Kopernikus hatte die Phasen der Venus vorausgesagt, noch bevor Galileo Galilei sie vor gut 400 Jahren beobachtete.

Mit einem Blick auf die Venus am Abend und auf den Jupiter am Morgen können Sie den Beweis, dass sich nicht alles um die Erde dreht, selber nachvollziehen. Überhaupt hat das Universum die grossartige Eigenschaft, unsere irdischen Angelegenheiten in eine neue Perspektive zu setzen – und ich finde, das können wir gerade ziemlich gut brauchen.

Tipps, Apps und Links

  • Gute Sternkarten, gewissermassen das Planetarium in der Hosentasche, bieten die App «Skyview» und stellarium-web.org (mit Anwendungen für alle Betriebssysteme).
  • Sehr empfehlenswert: das tägliche Bulletin «Heute am Himmel» auf astronomie.info
  • Den Bausatz für ein Newton-­Spiegelteleskop (abgesehen von hochwertigen Spiegeln und Linsen komplett aus Karton) finden Sie für 29.90 Franken auf astromedia.ch.
  • Wichtig: ­Blicken Sie nie ohne Sonnenfilter auf die Sonne, Erblindungsgefahr!
  • Die Hobbyastromomen der Schweiz sind sich einig: Das beste Geschäft in der Schweiz für den Kauf eines «richtigen» Teleskops ist Foto Video Zumstein in Bern. Beratung und Bestellung sind während des Shutdowns per Telefon möglich.