Auf seiner Webseite prangen Hakenkreuze, sein Projekt ist von Heinrich Himmler und der SS inspiriert. In Schaffhausen lud er zu einem Vortrag ein. Die AZ war unter falschem Namen dabei.
Dieser Artikel erschien am 26. April 2018 in der AZ. Weil die Zeitung Corona-bedingt derzeit etwas dünner ist, publizieren wir regelmässig ausgewählte Artikel aus vergangenen Jahren, die – so hoffen wir – noch immer sehr lesenswert sind. Eine kleine Aktualisierung finden Sie am Ende des Textes.
Ich sitze in einer Wohnung am Stadtrand von Schaffhausen auf einem gemütlichen Sofa. Der freundliche Mann mit Glatze und Vollbart neben mir erklärt mir gerade, dass wir, die arische Rasse, vor Hunderttausenden von Jahren aus der Galaxie Karona auf die Erde gekommen seien.
Eine äusserst merkwürdige Abfolge von Ereignissen hat mich auf dieses Sofa und in die Gegenwart des bärtigen Rassisten und Verschwörungstheoretikers Frank Willy Ludwig geführt.
Also von vorne.
Vor einigen Wochen taucht in gewissen Ecken des Internets eine Einladung zu einem Vortrag am Dienstag, 24. April in Schaffhausen auf: «Im Osten etwas Neues», Frank Willy Ludwig werde unter anderem zu den Themen «Was ist unser Urahnenerbe» und «Lösung aller Probleme» referieren. Ich will wissen, ob es in Schaffhausen eine Szene gibt, die sich dafür interessiert, und melde mich unter falschem Namen an. Drei Tage vor dem Vortrag erfahre ich den genauen Ort: das Restaurant «zum Alten Schützenhaus» auf der Breite.
Die Schaffhauser Polizei hat ebenfalls vom Anlass erfahren. Als ich das Restaurant betrete, passiere ich vier Uniformierte. Vor dem grossen Saal, in dem der Vortrag stattfinden soll, stehen zwei weitere Polizeikräfte, grüssen freundlich und kontrollieren meinen Ausweis. Zum Glück sieht ihn Frank Willy Ludwig nicht, denn gerade habe ich mich ihm mit meinem falschen Namen vorgestellt.
Ludwig ist freundlich und herzlich, freut sich über mein Erscheinen. Er ärgert sich, dass offenbar jemand die Polizei informiert hat: «Gut, dass du da bist. Du bist also nicht derjenige, der uns angepinkelt hat.»
Das «Folk» der «Arier»
Frank Willy Ludwig ist der Anführer der Bewegung «Urahnenerbe Germania». Sie gehört zum neopaganen und rechtsesoterischen Spektrum, über ihre Grösse ist wenig bekannt. Ludwig definiert seine Aufgabe so: «Die Förderung und der Aufbau natürlicher Stammeslandsitze in Siedlungen mit Wirtschaft (Mutterhof) und Schulen, durch das Erforschen und Praktizieren der Lebensweisen unserer Urahnen, der wedischen Hochkultur von Slawen und Ariern.» Das Wissen dieser Ahnen sei im «Folk», also bei den weissen Nachfahren dieser Ahnen, noch im Verborgenen vorhanden.
Mit diesen Ideen bewegt sich Ludwig nahe an der Ideologie der sich in Deutschland ausbreitenden «völkischen Siedler», ausserdem gehört Ludwig der Anastasia-Bewegung an (siehe unten).
Je tiefer man in seine Webseite «Urahnenerbe Germania» eintaucht, desto eindeutiger wird der Bezug zu rassistischem, rechtsextremem und nationalsozialistischem Gedankengut. Frank Willy Ludwig hat die Glaubensbücher der aus Russland stammenden Bewegung «Ynglism» ins Deutsche übertragen. Ihr Autor wird selbst in Russland wegen rassistischer Inhalte strafrechtlich verfolgt. Ludwig schreibt im Vorwort: «Mit dem Namen Grosse Rasa sind die Menschen mit der weissen Hautfarbe gemeint (…), welche vor ca. 600’000 Jahren auf die Mitgard-Erde kamen. (…) Die anderen Menschen, mit der schwarzen, roten und gelben Hautfarbe, kommen von ganz anderen Sonnensystemen.»
An anderer Stelle beschreibt Ludwig, warum er seine Bewegung «Urahnenerbe» nennt: «Das Wort wurde uns als Sinnbild eingegeben», heisst es, und weiter: «Es gab ja schon etwas Ähnliches als Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e.V. Diese wurde 1935 als Forschungseinrichtung von Heinrich Himmler (Reichsführer SS) (…) gegründet.»
Ludwig bezieht sich damit eindeutig auf Himmlers SS-Forschungsgruppe, die ab 1942 tödliche Menschenversuche an KZ-Häftlingen durchführte.
Zuoberst auf seiner Webseite prangt ein kaum verfremdetes Hakenkreuz mit einer Sig-Rune im Zentrum, wie sie auch die SS verwendete. Nach eigenen Angaben wurde Frank Willy Ludwig in Deutschland wegen der Verwendung von verfassungswidrigen Symbolen angezeigt. Für ihn ist das Hakenkreuz aber unproblematisch: Er rechtfertigt dessen Verwendung in der 44-seitigen Schrift «heilige Symbole». Trotzdem ärgert sich Frank Willy in Rundbriefen an seine Anhänger über «Gutmenschen», die ihn mit der «Nazikeule» und der «Sektenkeule» angreifen würden. Ohne es zu wissen, meint Ludwig damit auch mich.
Ufos und abgetriebene Föten
Im grossen Saal des «Alten Schützenhauses» empfangen mich Frank Willy Ludwig und Markus B., ein Schaffhauser Anhänger Ludwigs, der den Saal reserviert und auf Facebook zum Vortrag eingeladen hat.
Er gehört zu einer Gruppe von Staatsverweigerern, die im thurgauischen Müllheim ein Fantasiegericht gegründet haben (siehe Kasten). Sein Facebook-Profil zeigt ein grosses Interesse an der Wehrmacht, an Donald Trump, an Ufos und allen möglichen Fake News und Verschwörungstheorien. Zwei Beispiele: Nestlé-Produkte enthalten – mit der ausdrücklichen Bewilligung von Barack Obama – einen Geschmacksverstärker, der aus den Zellen abgetriebener Föten besteht.
B. erzählt gerade, die Schaffhauser Polizei habe ihn vorgeladen. Die Polizei bestätigt dies später auf Anfrage. Ein vorgreifendes Verbot wäre aber nicht möglich gewesen, schreibt sie, weil bis zum Zeitpunkt der Veranstaltung keine strafbare Handlung vorlag. Den genauen Veranstaltungsort habe man mittels «intensiver Ermittlungsarbeiten» herausgefunden und Präsenz gezeigt: «Die Schaffhauser Polizei hat mit mehr als drei teilnehmenden Personen gerechnet und entsprechend ihr Dispositiv aufgestellt», schreibt Polizeisprecher Patrick Caprez.
Vorsichtshalber hat Frank Willy Ludwig nur drei Leuten den genauen Veranstaltungsort mitgeteilt. Es scheint so, als hätte Markus B. vielleicht noch einige Bekannte kurzfristig vor der Polizei gewarnt. Ich, ein linker Journalist mit falschem Namen, bin neben B. der einzige, der gekommen ist. «Der grösste Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant», doziert Ludwig gerade. Ich schlucke leer.
Als klar wird, dass niemand mehr kommt, schlägt Markus B. vor, das Treffen in seine Wohnung zu verlegen, wenige Autominuten entfernt. Wir verabschieden uns von der Polizei und steigen ins Auto.
In der Wohnung von B. setzen wir uns zu dritt auf ein Sofa, und Ludwig zeigt uns auf dem Laptop die Kurzversion seiner Präsentation. Es geht darum, dass alle alten Kulturen wussten, dass die grossen, blonden Menschen aus dem Norden kamen. Darum, dass sie eigentlich von einem anderen Stern stammen. Begeistert erzählt Ludwig von einer russischen Schamanin und von Siedlungen in Russland, wo die Menschen so leben, wie er es für richtig hält.
Ich kaufe Ludwig sein neuestes Buch ab: «Stammeslandsitze, Siedlung & Schule», auf der Webseite mit «SSS» abgekürzt. Jede Textseite ist mit Hakenkreuzen verziert.
Im kaum lesbaren Buch geht es nur am Rande um die arische Rasse. Vor allem wird erklärt, dass wir wie unsere Ahnen auf Stammeslandsitzen leben sollen: Jeder Familie eine Hektare Land, auf der sie sich selbst versorgt, vegetarisch und autark. Nach eigenen Angaben pflegt Frank Willy Ludwig mit seiner Familie seit über 16 Jahren diesen Lebensstil. Seine «Vision für Deutschland» ist, dass es ihm alle Deutschen gleich tun. Die «Lösung aller Probleme» wird auf zwei fett gedruckte Worte verkürzt: «BÄUME PFLANZEN!»
Vieles, was Ludwig sagt und schreibt, klingt harmlos, könnte auch von einem barfüssigen Standbetreiber auf einer Esoterikmesse stammen. Aber nicht alles.
Vernetzt mit Neonazis
Frank Willy Ludwig ist in rechtsextremen Kreisen ein gefragter Mann. Er nahm in Dresden an Kundgebungen von Neonazis anlässlich des Jahrestages der alliierten Luftangriffe statt, Seite an Seite mit dem wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung verurteilten Aktivisten Gerhard Ittner.
Ludwig trat mehrmals als Redner beim Holocaustleugnernetzwerk «Recht und Wahrheit» auf und sprach mindestens zweimal an den «Honigmanntreffen» des kürzlich verstorbenen – und ebenfalls wegen Volksverhetzung verurteilten – deutschen Verschwörungstheoretikers und Reichsideologen Ernst Köwing.
Ludwig stammt aus Brandenburg, doch er scheint die Schweiz zu mögen. Auf seinem Youtube-Kanal «Sigreich» spricht er mit dem Schweizer Rechtsextremisten und Antisemiten Heinz Christian Tobler vor schönster Alpenkulisse über «Gutmenschen und Lügenpresse».
Im Juni 2017 sollte Frank Willy Ludwig einen Vortrag im Kanton Solothurn halten. Die Solothurner Zeitung berichtete aber schon im Vorfeld, und antifaschistische Kreise kündigten eine Störaktion an. In der Folge verbot der Kanton, dem das Veranstaltungsgelände gehört, das Treffen. Wenig später fand Frank Willy Ludwigs Vortrag dennoch statt, in einer unbekannten Lokalität bei Thun. Auf Youtube hat Ludwig seine über zwei Stunden dauernden Ausführungen über «Die slawisch arischen Weden – Urahnenerbe der weissen Rasa» veröffentlicht. Das Wort «Rasa» taucht in rechtsesoterischen Schriften oft auf, ein Code für «Rasse». Es steht auch auf der Einladung zum Vortrag in Schaffhausen.
«Weniger als sechs Millionen»
Der Vortrag, der zu einem gemütlichen Wohnzimmertreffen geworden ist, exklusiv für Veranstalter Markus B. und den Undercover-Journalisten, neigt sich dem Ende zu. Markus B. ist ausserordentlich interessiert an allem, was Ludwig erzählt. Er will an der nächsten «Ahnenreise» nach Rügen teilnehmen. Auf seinem Bücherregal stehen viele verschwörungstheoretische Bücher, und er will von Ludwig noch wissen: «Was glaubst du, ist die Erde rund oder flach?» Ludwig antwortet diplomatisch, er will seinen Fan nicht vor den Kopf stossen: «Das ist irrelevant. Ich interessiere mich für Wissen, das mein Leben beeinflusst.»
Wissen über den Holocaust, zum Beispiel. Markus B. sagt in einem Nebensatz, das sei «ja ganz anders gewesen», Ludwig pflichtet bei. Nach dem Abschied von B. fährt mich Ludwig noch in die Stadt zurück. Ich frage nach: Wie war das mit dem Holocaust?
Ludwig erklärt: «In einem Krieg wird es immer Ermordungen und Verbrechen geben. Über die Zahl würde ich mich nicht streiten, aber sechs Millionen geht nicht.» Es gebe historische Zahlen, die belegten, dass gar nicht so viele Juden nach dem Krieg «fehlen». Und überhaupt, ob jemand einen Menschen oder Millionen umbringe, sei unwichtig.
Im Klartext: Frank Willy Ludwig verharmlost den Holocaust. Ob Ludwig solche Aussagen auch vor einem grösseren Publikum gemacht hätte? Nach Schaffhausen trat er gestern Mittwoch im sanktgallischen Wangs auf. Ein geplanter Auftritt in Winterthur am Samstag, 28. April, wurde abgesagt. Nach wie vor geplant ist eine Ausstellung im Restaurant Frieden in Grafstal, zwischen Zürich und Winterthur: Morgen Freitag, 27. April, ab 18 Uhr. Gezeigt werden Gemälde eines russischen Malers, die auf der Webseite und in den Büchern von «Urahnenerbe Germania» die Ideologie Ludwigs illustrieren.
Mehr Polizei als Gäste
Überall, wo Frank Willy Ludwig auftritt, betont er, er tue ja nichts Verbotenes. Der Polizei sagte er auf der Breite, es gehe um Gärten, die Wirtsleute wussten ebenfalls nichts von der Ideologie des Redners. Die Treffen werden aus Angst vor «Denunzianten» klandestin organisiert. So klandestin, dass Markus B. und Ludwig ihren Vortrag über «Urahnenerbe» und «Rasa» schlussendlich für eine einzige Person veranstalteten: für einen dieser «Gutmenschen», einen Vertreter der «Lügenpresse», der jetzt die «Nazikeule» schwingt. Frank Willy Ludwig wird enttäuscht sein. Beim Abschied sagte er noch scherzend: «Mit der Polizei waren wir immerhin neun.»
Aktualisierung vom 25. März 2020:
Frank Willy Ludwig und die Anastasia-Bewegung sind weiterhin aktiv – auch in der Schweiz. Vor knapp einen Jahr berichtete der Sektenblog von Watson über ein Treffen in Thun.
Und laut dem Rundbrief von Frank Willy Ludwig soll am 3./4. April 2020 erneut eine Veranstaltung in der Schweiz stattfinden – der Treffpunkt ist geheim. Das neueste Video auf Ludwigs Youtube-Kanal trägt den Titel «Corona – die Krone der neuen Möglichkeiten und Chancen».