Köhleres neuster Streich

9. März 2020, Marlon Rusch
«Vorsicht! Einsturzgefahr!» Dabei ist das Dach des maroden Hauses längst eingestürzt. Fotos: Peter Pfister

Es gibt 1000 Arten, ein Bauprojekt zu blockieren. In Feuerthalen kommen nun alle zusammen. Eine Groteske in 4 Akten.

Würde man ein Theaterstück schreiben über die aktuellen Vorgänge an der «Chlus» in Feuerthalen, es wäre vermutlich eine Groteske.

Wir befinden uns in Feuerthalen, gegenüber der Rhy­badi, gleich neben der mächtigen Zürcher­strasse, die den Hügel hochführt zur ehemaligen Arova; nur ein paar Dutzend Meter trennen den Ort vom Fluss. Das Publikum hat Rheinsicht.

Die Kulisse ist beeindruckend: ein Haus, wie man es mitten in einem Schweizer Dorf nicht erwarten würde. Der Putz zu grossen Teilen verschwunden, die Fenster eingeschlagen, ganze Fassadenteile fehlen, das Dach ist längst eingebrochen – eine Ruine wie aus dem Krieg. «Schandfleck» nennen es die Feuerthaler. Und sie haben Angst um ihre Kinder. Denn gleich neben dem einsturzgefährdeten Gebäude befindet sich ein Spielplatz.

Im Zentrum der Handlung: Immobilienunternehmer Christian Köhler. Er hat das Gebäude mit der Firma Novahaus AG gekauft. In der Novahaus taucht Köhler offiziell nicht auf, das Handelsregister spuckt nur einen Namen aus: Peter Steiger. Steiger ist Köhlers Treuhänder und Immobilienverwalter. Mit wem man auch redet, alle sind sich einig: der wahre Tätschmeister ist Christian Köhler. (Die AZ hat Köhlers Firmenkonstrukte einst ausführlich aufgedröselt, siehe Ausgabe vom 23. Juni 2016.)

Die weiteren Protagonisten des Stücks: die Bauverwaltung der Gemeinde Feuer­thalen und die Baudirektion des Kantons Zürich. In kleineren Rollen: unzufriedene Anwohner, ein Baurekursgericht und der Zürcher Kantonsrat.

Das Stück handelt von Waldabstandslinien, von Mehrwertausgleichen, Freihaltezonen, Richt- und Nutzungsplanungen. Die Akteure sprechen von Umzonungsstopps und überregionalem Ortsbildschutz. Im Grunde sind das aber nur Metaphern.

Dies ist die Geschichte eines Bauprojekts, das nicht umgesetzt wird, weil die Bürokratie überhandgenommen hat über den gesunden Menschenverstand.

Bühne frei.

1. Akt: Exposition

Vor einigen Jahren kaufte Christian Köhler das Haus an der Adlergasse 16 in Feuerthalen. Eigentlich sind es zwei Gebäude, die an ein drittes angebaut sind. Doch während das eine, stattliche Haus bewohnt ist und gut im Schuss, sind Köhlers Gebäude längst abbruchreif. Und genau das hat der Immobilienunternehmer auch vor: er will das 120 Quadratmeter grosse Haus abreissen und das 2351 Quadratmeter grosse Land, das er erworben hat, neu bebauen.

Geplant sind neben dem Neubau des maroden Gebäudes zwei Mehrfamilienhäuser – insgesamt eine deutlich grössere Wohnfläche als die heutigen 120 Quadratmeter.

Doch es gibt einen Haken. Direkt neben seinem Grundstück befindet sich ein Waldgebiet; man erkennt es gut, wenn man in der Rhybadi sitzt und über den Fluss schaut. Die Bäume sind zwar schön anzusehen, doch das kantonale Planungs- und Baugesetz des Kantons Zürich verbietet, dass man näher als 30 Meter an den Wald baut. Der Waldabstand ist in Paragraph 262 geregelt – und betrifft fast die Hälfte von Köhlers Grundstück.

Der Kanton Zürich bewilligte jedoch, bereits bevor Köhler das Grundstück kaufte, ausnahmsweise einen Waldabstand von lediglich 20 Metern. So konnte die Gemeinde Köhlers Bauprojekt trotzdem genehmigen.

Eine Lösung schien gefunden. Dann kam die Bürokratie langsam ins Rollen.

2. Akt: Steigerung

Verschiedene Anwohner erhoben Einsprache gegen den reduzierten Waldabstand. Ein Nachbar sagt gegenüber der AZ, man solle doch mal recherchieren, was für einen Gewinn der Eigentümer machen könne, wenn der gesetzliche Waldabstand ausnahmsweise reduziert werde und er zusätzliches Land bebauen könne: 10 Meter x Länge der Waldgrenze (20 Meter) x 3 Stockwerke.

Die Anwohner hatten Erfolg. Das Baurekursgericht des Kantons Zürich hiess den Rekurs gut – und hob die Baubewilligung auf.

Doch davon liess sich Köhler nicht aufhalten. Zusammen mit der Gemeinde suchte er nach einer Lösung. Und fand sie.

Die Gemeinde Feuerthalen arbeitet bereits seit einigen Jahren an einer Teilrevision der Richt- und Nutzungsplanung. Im Rahmen dieses Prozesses wurde nun der «Ergänzungsplan 2 Klushalden» erstellt. Und darin ist erneut ein reduzierter Waldabstand von 20 Metern festgeschrieben.

Gemeindepräsident Jürg Grau sagt, der Eigentümer wolle «luftig bauen», nicht so einen «Sauklotz» hinstellen. Der verärgerte Anwohner spricht gegenüber der AZ hingegen von einer «jahrzehntelangen Posse um mehr Gewinn, mehr Steuern, mehr was weiss ich».

Jetzt gab es also diesen Ergänzungsplan, doch damit war Köhler noch lange nicht am Ziel. Im Gegenteil: Seine Probleme verschärften sich.

3. Akt: Höhepunkt

Einerseits muss die Ergänzungsplanung zuerst vom Feuerthaler Stimmvolk angenommen und vom Kanton abgesegnet werden. Und der kann nur im Rahmen der gesamten Teilrevision der Richt- und Nutzungsplanung darüber befinden. Und die dürfte gemäss dem Feuerthaler Gemeindepräsidenten Jürg Grau frühestens Ende 2020 so weit sein.

Und es wird noch komplexer.

Das Land liegt zwar in einer «Kernzone» und wäre an und für sich Bauland. Doch es fällt unter das «kantonale Inventar der schutzwürdigen Ortsbilder von überkommunaler Bedeutung». So kam es, dass der Kanton vor einigen Jahren eine «Freihaltezone» über das Bauland gelegt hat (ausser über die 120 Quadratmeter, die bereits bebaut sind). Ergo: derzeit doch kein Bauland.

Auch dieses Problem wollte die Gemeinde mit der Teil­revision der Richt- und Nutzungsplanung lösen – und die Freihaltezone entfernen. Doch das ist derzeit nicht möglich. Denn im Kanton Zürich kann man solche Ortsbildschutzfestsetzungen erst wieder aufheben, wenn der kantonale «Mehrwertausgleich» ­geregelt ist.

Nun befinden wir uns mitten in den Nachwehen des revidierten Raumplanungsgesetzes von 2014 – und bei der Klimax der Groteske «Chlus».

Das Mehrwertausgleichsgesetz soll regeln, dass bei Umzonungen Entschädigungen gezahlt werden – an Bauherren oder an den Staat, je nachdem, ob ab- oder aufgezont wurde. Die Kantone hatten Zeit bis April 2019, die Angelegenheit zu regeln. Doch der Zürcher Kantonsrat hat das Geschäft verzögert. Derzeit sieht es so aus, dass der Mehrwertausgleich erst Anfang 2021 rechtskräftig wird. In der Zwischenzeit gilt der besagte «Einzonungsstopp».

Und genau der ist Köhler nun zum Verhängnis geworden. Er wollte bauen – nun sieht er sich vor einem Haufen Probleme.

Auch der Rücken kann nicht entzücken: Die Rheinseite der Liegenschaft. Foto: Peter Pfister

4. Akt: Retardierendes Moment

Was also tun?

Die Gemeinde hat eine klare Vorstellung, wie es nun weitergehen soll: Das Haus, so Gemeindepräsident Jürg Grau, muss abgerissen werden, denn es ist gefährlich. Gerade für die Kinder, die auf dem angrenzenden Spielplatz spielen.

Doch auch ein Abbruch ist nicht frei von Bürokratie. Es bedarf einer Abbruchbewilligung von Gemeinde und Kanton. Und um eine solche Bewilligung zu bekommen, muss der Eigentümer das bestehende, marode Gebäude zuerst 3-D-fotografisch dokumentieren lassen – um sicherzustellen, dass ein Neubau an derselben Stelle dieselben Dimensionen aufweist.

Doch Köhler hat offenbar die Schnauze voll. Er denkt nicht daran, einen Finger zu rühren. Er hält die Gemeinde hin. Und mit dem einsturzgefährdeten Haus hat er ein perfektes Druckmittel.

Auf Briefe der Gemeinde, die ihn auffordern, seiner «Unterhaltspflicht» nachzukommen, reagiert er nicht. Auch ist er, wie es aussieht, nicht bereit, das Gebäude ausreichend zu sichern. Damit macht er sich strafbar. «Man darf ein Haus nicht einfach so verlottern lassen», sagt Jürg Grau und beruft sich auf das Baugesetz.

Doch das lässt Köhler kalt. In Schaffhausen hat er mehrfach bewiesen, dass er sich nicht scheut, auf Konfrontationskurs mit den Behörden zu gehen. Die AZ hat mehrfach darüber geschrieben, wie er den Umbau seines denkmalgeschützten Hauses an der Ampelngasse 1 vorantrieb, ohne Baubewilligung und ohne der Baupolizei auch nur Zugang zum Gebäude zu gewähren (AZ vom 9. Februar und 26. Mai 2017).

Die Feuerthaler Behörden hätten wohl die Möglichkeit, gemäss Baugesetz saftige Bussen auszusprechen oder das Gebäude gar selber abreissen zu lassen, auf Kosten des Eigentümers. Doch die Behörden sind vorsichtig. Sie wollen Köhler wohl nicht provozieren.

Das Problem, scheint man zu hoffen, es wird sich irgendwann von selber lösen.

Ausstehend: 5. Akt: Katastrophe

Auf der Rheinseite des maroden Hauses hat Christian Köhler derweil in Schild aufgestellt: «Betreten der Baustelle verboten. Bei Unfällen wird jede Haftung abgelehnt! Der Unternehmer»

Ob er damit im Falle eines Unfalls juristisch tatsächlich abgesichert ist, ist zumindest fraglich.

Dabei lässt sich Köhler für gewöhnlich relativ schnell juristisch beraten.

Die Geschichte um das Haus an der «Chlus» wurde Anfang Februar vom Feuerthaler Anzeiger erstmals erzählt. Die Zeitung wollte mit Köhler sprechen. Dieser stand aber nicht für eine Stellungnahme zur Verfügung und liess über seinen Anwalt ausrichten, dass er nicht namentlich genannt werden dürfe.

Auch eine Anfrage der AZ schlug Köhler aus. «Leider kann ich Ihnen nicht weiterhelfen», schrieb er kurz und knapp.

Wie das Stück ausgeht? Ob es, wie es die Dramentheorie vorsieht, in einer Katastrophe endet? Ob die Bürokratie ausgehungert wird und der Menschenverstand obsiegt? Ob Köhler vielleicht doch einen Schritt auf die Behörden zugeht und schon bald die Bagger anrollen?

Der 5. Akt wird nachgereicht.