Entlastung in Sicht

7. März 2020, Romina Loliva
Etwas Unterstützung im Klassenzimmer: Assistenzen können Lehrpersonen entlasten.
Etwas Unterstützung im Klassenzimmer: Assistenzen können Lehrpersonen entlasten.

Lehrpersonen klagen schon lange über die mehrfache Belastung. Klassenassistenzen könnten Abhilfe schaffen – aber nicht alle Probleme lösen.

Wer es schon mit einer Schulklasse zu tun hatte, weiss: Hinter unschuldigen Kinderaugen können kleine Teufel lauern.

Manchmal kommt alles zusammen – der Lärmpegel, der Bewegungsdrang, die Gruppendynamik. Und wenn dann gewisse Schülerinnen und Schüler besonders um die Aufmerksamkeit der Lehrperson buhlen und dabei ein Verhalten an den Tag legen, das Laien gerne als «schwierig» bezeichen, wird die Fortführung des Unterrichts zu einem Ding der Unmöglichkeit.

In solchen Situationen wünschen sich viele Lehrerinnen und Lehrer Hilfe. Ein zweites Paar Augen, das den Klassenraum überblickt, ein weiteres offenes Ohr, das die Anliegen der Kinder aufnimmt, und ein Paar Beine mehr, die in der Pause im entscheidenen Moment lossprinten können, kurz: eine Assistenz. Für einige geht dieser Wunsch in Erfüllung. Klassen- oder Schulassistenzen werden seit knapp zehn Jahren in mehreren Kantonen eingesetzt, um die Lehrerinnen und Lehrer zu entlasten.

Das Konzept ist bestechend einfach. Die Assistentinnen und Assistenten müssen nicht pädagogisch ausgebildet sein, können vielfältig eingesetzt werden, sind flexibel und bieten eine niederschwellige Begleitung. Sie nehmen den Lehrpersonen administrative Aufgaben ab, organisieren Anlässe, beaufsichtigen Gruppen und unterstützen punktuell Schülerinnen und Schüler.

Pragmatismus und etwas Druck

Der Bedarf ist klar vorhanden. Dass die Anforderungen steigen, beklagen die Lehrpersonen seit Langem. Die Klassen werden heterogener, die Förderung von einzelnen Kindern und Jugendlichen kann zeitaufwendig und absorbierend sein, soziale Aspekte und erzieherische Herausforderungen treten in den Vordergrund, die Schule dafür in den Hintergrund. Ausserdem haben sich Didaktik und Unterrichtsformen stark gewandelt. Gruppenarbeiten, Werkstätte- und Online-Lektionen sind aus den Schulzimmern nicht wegzudenken. Der Koordinationsaufwand steigt damit jedoch deutlich an. Entlastungslektionen, Praktikantinnen und Senioren, die stundenweise präsent sind, reichen nicht immer aus, um Abhilfe zu schaffen.

Und nun sollen auch die Schaffhauser Lehrerinnen und Lehrer erhört werden. Bereits vor einem Jahr deponierte die Präsidentenkonferenz der Stufen- und Fachkonferenzen der Volksschule einen Antrag auf Schaffung von Klassenassistenzen beim Erziehungsrat. Nun bekommt das Anliegen Rückenwind von Kantonsrat und Bildungsreferent der Stadt, Raphaël Rohner. In einer Kleinen Anfrage erkundigt er sich, ob die Regierung in einem vierjährigen Pilotversuch Klassenassistenzen bewilligen würde. Rohner sieht sich in der Pflicht, wie er sagt, etwas zu unternehmen: «Die Rahmenbedingungen an den Schulen haben sich in den letzten Jahren massiv verändert», erklärt er, die Lehrpersonen seien oft am Anschlag, «für den Unterricht gibt es manchmal kaum mehr Platz.» Mit den Klassenassistenzen könnte die Lage etwas entschärft werden, «ohne lange Vorlaufszeit, pragmatisch und effektiv».

Trotz diplomatischem Konjunktiv setzt Rohner damit dem Kanton Druck auf. Denn ursprünglich hätte der Antrag auf Klassenassistenzen im Rahmen des sogenannten «ISF-Projektes» bearbeitet werden sollen, das die flächendeckende Einführung der integrativen Schulform im ganzen Kanton umsetzen müsste, wie das Erziehungsdepartement auf Anfrage bestätigt. Das Projekt verzögert sich jedoch. Dies aufgrund der nötigen zeitlichen Koordination mit weiteren Vorlagen, erläutert die Leiterin der Dienststelle Primar- und Sekundarstufe I Ruth Marxer, darum werde der Antrag nun voraussichtlich losgelöst vom ISF-Projekt bearbeitet werden.

Eine warme Kartoffel

Der Support im Kantonsrat freut die Lehrpersonen. Der Präsident des Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (LSH), Patrick Stump, begrüsst den Vorstoss von Raphaël Rohner im Kantonsrat: «Vielleicht geht es endlich vorwärts», sagt er, und kommt dann gleich zum wunden Punkt: «Klassenassistenzen sind eine gute Sache, aber damit sind nicht alle Probleme gelöst.» Mit Problemen meint Stump hauptsächlich das eine grosse Problem der Schaffhauser Schulen: den Lehrpersonenmangel. Vakanzen mit Klassenassistenzen zu füllen, das dürfe ganz sicher nicht passieren, präzisiert der LSH-Präsident. «Die Assistenzen sind eine pragmatische und praktische Lösung, sie sind auch im Verhältnis zu den Lehrpersonen eine günstige Lösung», das dürfe aber nicht dazu verleiten, mit Assistenzen Lehrpersonen zu ersetzen, «auch keine Heilpädagoginnen und Heilpädagogen».

Diese Kompromisslosigkeit kommt nicht von ungefähr. Die Klassenassistenzen sind in der Lehrerschaft eine vielleicht nicht heisse, aber zumindest warme Kartoffel. Eine, die man zwar gerne haben will, woran man sich aber nicht die Finger verbrennen möchte. Und weil auch schon Fälle, in denen nicht qualifiziertes Personal eingesetzt wurde, bekannt wurden, pochen die Lehrpersonen auf klare Regeln und Anstellungsbedingungen: «Kostenneutral kann man die Assistenzen nicht einführen», warnt Stump.

In die gleiche Kerbe schlägt auch Denise Da Rin, Leiterin des Zentrums Unterricht und Lernen der Pädagogischen Hochschule Zürich, wo dem Assistenzpersonal eine Weiterbildung angeboten wird. Die Schulassistenzen brächten ausschliesslich dann eine Entlastung, wenn die Rollen und Verantwortlichkeiten klar seien, die Aufgabenbereiche gut abgesteckt würden und damit kein Abbau bei den Pädagoginnen und Pädagogen stattfinden würde: «Die Assistenzen sind eine zusätzliche Massnahme, kein Ersatz für Fachpersonen», erklärt Da Rin, es brauche Organisation und genügend Ressourcen: «Der Koordinationsaufwand muss im Zeitbudget der Lehrperson berücksichtigt werden.»

Ein weiterer heikler Punkt sei die Erwartungshaltung: Eine Assistenz könne die Betreuung von Schülerinnen und Schülern mit ausgewiesenem Förderbedarf nicht übernehmen, «das ist zu vermeiden», betont die Fachexpertin, «das Modell bewährt sich nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen». Und schliesslich müssten auch die Arbeitsbedingungen für das Assistenzpersonal stimmen: «Assistenzen lediglich sporadisch und auf Abruf zu beschäftigen, ist nicht sinnvoll», feste Pensen seien fair und nötig, um motivierte Personen zu finden und um eine zielführende Zusammenarbeit im Team zu gestalten.

Mit Klassenassistenzen Geld sparen, das will auch Raphaël Rohner nicht. «Solche Hintergedanken habe ich nicht», entgegnet er, «die Schule darf etwas kosten.» Dass die Assistenzen eine günstige Lösung seien, treibe ihn nicht an, «aber die tiefen Kosten sind sicherlich ein Argument, um den Schulversuch durchzubringen». Dieser habe den Vorteil, dass er ohne Gesetzesänderung realisiert werden könne und der Kanton erst danach entscheiden würde, ob das Modell dauerhaft eingeführt werden soll.

Und wenn die Regierung Nein sagt? Dann könnte sich Rohner vorstellen, im Sinne des Pragmatismus, dass der Versuch auf städtischer Ebene ein Thema werden könnte.

In der Zwischenzeit wird sich auch der Erziehungsrat mit dem Thema befassen, wie Ruth Marxer vom Erziehungsdepartement mitteilt, die Diskussion werde in der Maisitzung wieder aufgenommen, verbindliche Entscheide seien aber noch nicht zu erwarten.
Die Mühlen der Bildungspolitik mahlen eben langsam.