«Die Linken träumen»

21. Februar 2020, Marlon Rusch
Schon 2003 hat Martin Egger die Behörden punkto Kammgarn zum ersten Mal «provoziert».
Schon 2003 hat Martin Egger die Behörden punkto Kammgarn zum ersten Mal «provoziert».

FDP-Mann Martin Egger will die Kammgarn West an einen privaten Investor ­ver­kaufen. Doch wer soll das sein? Und glaubt
Egger tatsächlich, die Bevölkerug spielt mit?

Geht es um die Zukunft der Kammgarn West, ist Martin Egger so was wie der Erzfeind des Stadtrats. Schon vor vielen Jahren kämpfte er für Büroräume in den damaligen Hallen für Neue Kunst. Er möchte, dass die Hallen an einen privaten Investor verkauft werden. Nun ist der FDP-­Grossstadtrat der Anführer des rechtsbürgerlichen Widerstands gegen die städtische Vorlage, die mit dem Areal grosse Pläne hat.

Martin Egger Schon wieder sitze ich hier. Die Kammgarn lässt mich einfach nicht los.

AZ Wie meinen Sie das?

2003 reichte ich meinen ersten politischen Vorstoss ein. Das war sogar parteiintern ein Skandal, und es gab Mitglieder, die verlangten, dass ich als Parteipräsident abgesetzt werde.

Damals wollten Sie aus den Hallen für Neue Kunst ein Verwaltungsgebäude machen.

«Büros statt Hallen» – genau. Das war unsere erste Provokation. Das Ganze wurde dann eine knochentrockene Sache. Die Frage war schliesslich, ob «nicht eingenommene Einnahmen» gleichzusetzen sind mit «Ausgaben».

Wieso wollten Sie provozieren?

Die Hallen für Neue Kunst wurden nie demokratisch legitimiert. Sie wurden einfach so für die Kunst zur Verfügung gestellt.

Sie kämpfen jetzt seit 17 Jahren für Büroräume.

Falsch, ganz falsch! Ich kämpfe für eine Nutzung, wie sie der Bevölkerung 1982 eigentlich versprochen wurde, als die Stadt die Kammgarn gekauft hat. Im Abstimmungskampf damals ging es ja unter anderem darum, dass es eine gemischte, öffentlich-privat-kulturelle Nutzung geben soll. Darüber waren sich alle einig. Heute ist die Frage, wie wir dort hinkommen. Es geht um die Anzahl Flächen, die für die einzelnen Nutzungen zur Verfügung gestellt werden. Man könnte ja sagen: Mit Kammgarn und TapTab haben wir eigentlich bereits Kultur.

Haben wir nicht jetzt mit der städtischen Vorlage eine unglaublich gemischte ­öffentlich-privat-kulturelle Nutzung?

Grundsätzlich schon.

Die Vorlage ist eigentlich ein wahnsinniger Glücksfall. Sie bringt die Sanierung eines Gebäudes, das man sowieso sanieren muss. Sie bringt einen neu gestalteten Platz ohne Autos mitsamt Tiefgarage. Sie bringt eine moderne Bibliothek mit Ludothek, die sonst an ihrem heutigen Standort ebenfalls umfassend saniert werden müsste. Man könnte zwei Stöcke dem Kanton geben und hätte dann eine PH an einem idealen Ort und trotzdem attraktive Gewerberäume, die man vermieten und mit denen man satte Mieten einstreichen könnte …

… Moment! Der Nutzungsmix mit zwei Etagen öffentlich-kultureller Vermietung und drei Etagen für eine wirtschaftliche Nutzung – das finden wir von der FDP/jF-Fraktion einen guten Mix. Die Frage ist aber, was denn «wirtschaftliche Nutzung» überhaupt bedeutet. Die Befürworter einer PH in der Kammgarn sagen, der Kanton würde die beiden PH-Stockwerke zu wirtschaftlichen Konditionen kaufen. Wir aber wollen in den Räumen ein Unternehmen, das Steuergelder generiert und sie nicht verbraucht.

«Wenn Sie ein Hemd beim ersten Knopf falsch zuknöpfen, sind schliesslich alle falsch geknöpft.»

Martin Egger


Verlieren Sie sich jetzt nicht etwas arg im Detail?

Der Teufel steckt im Detail (lacht).
Schauen Sie: Eine Abgabe im Baurecht war für die bürgerlichen Parteien immer der Kompromiss. Insbesondere im sensiblen Bereich Altstadt akzeptieren wir, dass kein Grund und Boden verkauft werden soll. Unser Kompromiss ist: Baurecht statt Verkauf. Doch seit die Klostergeviert-Initiative vom Volk angenommen wurde, ist die Argumentation der AL, dass es ein politischer Auftrag sei, dafür zu sorgen, dass auch die Gebäude nicht mehr einem Investor verkauft werden. Das ist eine Kehrtwende.

Herr Egger, Sie sagen «Baurecht statt Verkauf». Sie wollen aber, dass die Stadt ein Gebäude mit einem Wert von vielen Millionen an einen privaten Investor übergibt und dafür Geld bekommt. Das ist doch in erster Linie ein Verkauf.

Der Boden bleibt aber im Besitz der öffentlichen Hand, lediglich das Gebäude wird verkauft. Ausserdem: Was bedeutet denn «Verkauf»? Die Linken sehen einen bösen Investor, der nur auf Profit aus ist, sie sehen reiche Russen, die mit grossen Yachten vorfahren. Völlig bireweich! Nehmen wir das Beispiel Rheinschulhaus: Eine Stiftung hat das Gebäude gekauft, um Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Ist das einer dieser beschworenen «bösen Investoren»?

Glauben Sie denn, dass ein privater Investor ein solch attraktives Projekt realisieren möchte, wie es die Stadt jetzt vorschlägt? Eine Bibliothek etwa oder eine Ludothek dürfte kaum wahnsinnig viel Geld abwerfen …

Dann muss man eben die nötigen Auflagen machen.

Gibt es Investoren, die solche Auflagen schlucken?

Ja, die gibt es. Wenn man den Investoren sagt, sie bekommen einen Ankermieter – dann ist das Risiko bereits zu einem gewissen Grad gedeckt. Ausserdem ist es schliesslich Verhandlungssache, wie man das alles indexiert.

Sie glauben tatsächlich, dass es diesen Investor gibt?

Ja. Ich weiss von möglichen Investoren, die interessiert sind. Mir wurde ja vorgeworfen, ich sei befangen und hätte einen Interessenkonflikt.

Martin Egger: «Ich weiss, dass es diesen Investor gibt.»
Martin Egger: «Ich weiss, dass es diesen Investor gibt.»

Haben Sie einen Investor am Haken?

Nein, ich weiss nur, dass es sie gibt.

Können Sie diese Investoren skizzieren?

Nein. Ich weiss einfach, mit wem ich gesprochen habe und wer sich ein Engagement vorstellen könnte. Im Grundsatz geht es doch darum, ob wir als Stadt investieren und das Risiko auf uns nehmen müssen oder nicht. Aber die Mehrheit des Parlaments wollte darüber nicht reden.

Wenn man das Gebäude verkaufen und das Land im Baurecht abgeben würde, müsste die Stadt doch trotzdem investieren.

Eben nicht! Das müsste dann der Investor tun.

Der kommt und buttert gleich mal 20 Millionen Franken in die Hallen?

Oder 30 Millionen. Das ist tatsächlich so. Genau so ist es beim Güterhof passiert, beim Kornhaus, beim Haberhaus, beim Logierhaus. Ob bei der Baurechtsvergabe immer alles optimal gelaufen ist, steht derzeit gar nicht zur Diskussion. Ich finde: Wir müssen bei der Vergabe genau hinschauen und klar sagen, was wir wollen. Die Linken sagen immer: Man kann die nötigen Auflagen gar nicht machen, um ein tolles Projekt zu bekommen. Dabei ist so was gang und gäbe.

Der Investor muss doch eine gewisse Rendite sehen.

Selbstverständlich.

Dann kann die Stadt diese Rendite ja auch gleich selber einstreichen.

Wenn wir unbeschränkte Mittel hätten – selbstverständlich! Aber die haben wir nicht Die Rezepte von AL und SP sind einfach: «Dann müssen wir eben die Steuern erhöhen.» Ich sage: Versucht es doch! Das kommt niemals durch.

Versuchen Sie im Gegenzug einmal, die Kammgarn zu verkaufen. Die Stimmbevölkerung hat in den vergangenen Jahren mehrfach gezeigt, dass sie solche Verkäufe nicht will. Der Verkauf des Gaswerks wurde abgelehnt, der Verkauf des Hohbergs ebenfalls. Die Menschen haben sogar gesagt, man solle dem Kanton das Klostergeviert abkaufen. Und jetzt sollen sie einfach die Kammgarn West verscherbeln wollen?

Ja. Wenn man die Variante Baurecht – und somit auch den Verkauf des Gebäudes mit Auflagen – zur Abstimmung gebracht hätte, hätten die bürgerlichen Parteien dafür gekämpft. Aber diese Variante gibt es nicht. Jetzt haben wir ja gar keine andere Wahl, als gegen diese Vorlage zu sein. Die Fronten sind völlig verhärtet. Also steigen wir halt in den Ring.

«Wir gewinnen. Zu 100 Prozent.»

Martin Egger


Damit riskieren Sie, dass in der Kammgarn West einfach gar nichts passieren wird.

Es wird dann vorerst alles so bleiben, wie es heute ist, und die Bevölkerung muss weiter warten. Das bedaure ich sehr. Aber es gibt keine Alternative. Die Linken haben Traumvorstellungen. Und das Parlament auch. Sie haben von Steuererhöhungen geträumt – und sind dann grandios abgeschifft. Bei der Quartierparkierverordnung: grandios abgeschifft! Bei den Kindergeldern: grandios abgeschifft!

Was noch spannend ist: Bei der Kammgarn sind Sie, die FDP und die SVP, alles andere als einig. In der Stadt und im Kanton gibt es Befürworter und Gegner. Es soll in der Stadt sogar ein bürgerliches Pro-Komitee geben. Im Kantonsrat ist offenbar sogar die SVP dafür, dass man die PH in die Kammgarn zügelt.

Da bin ich dann aber gespannt. Die städtische FDP/jF-Fraktion ist jedenfalls geschlossen gegen die Vorlage. Und zwar vor dem Hintergrund, dass wir bereits ein Hallenbad für 70 Millionen bauen wollen, ein Duraduct für 10 Millionen. Dann wartet noch das Stadthausgeviert.

Ist das Timing schlecht für die Kammgarn-Abstimmung?

Nein. Wir haben einfach seit Jahrzehnten einen Investitionsbedarf. Man hat die Aufgaben verlauert und keinen Kompromiss gefunden. Seit 1982 liegt die Kammgarn West brach. Seit Jahrzehnten gehen jährlich Hunderttausende Franken bachab.

Nehmen wir mal an, Sie gewinnen die Abstimmung und die Kammgarn wird nicht entwickelt, Sie können aber auch nicht an einen Investor verkaufen, weil die Stimmbevölkerung auch dazu Nein sagt: Dann gehen weiterhin jährlich Hunderttausende Franken bachab.

Richtig. Aber dann werden wir den Stadtrat und das Parlament eben wieder in die Pflicht nehmen. Dann muss er eine Vorlage bringen, die mehrheitsfähig ist. Wenn Sie ein Hemd beim ersten Knopf falsch zuknöpfen, sind schliesslich alle falsch geknöpft. Wenn sich die Stadt nicht durchringen kann, zwei gleichwertige Varianten zur Abstimmung vorzulegen, dann gibt es einen Scherbenhaufen. Aus meiner Sicht stehen wir kurz davor.

Ganz im Ernst: Geht es Ihnen überhaupt um die Vorlage oder darum, SP-Stadtpräsident Peter Neukomm das Leben schwer zu machen?

So ein Blödsinn. Natürlich geht es um die Vorlage. Peter Neukomm hätte das Projekt ja abgeben können. Auch wenn die Vorlage aus dem Finanzreferat von Daniel Preisig käme, würden wir keine andere Haltung einnehmen. So, wie die Vorlage jetzt aber daherkommt und von der Mehrheit im Parlament auch vertreten wird, ist sie zu stark ideologisch aufgeladen.

Die Abstimmung wird knapp, oder?

Das glaube ich auch.

Und wer gewinnt?

Wir. Zu 100 Prozent.

Meinen Sie das ernst?

Ja klar. Es gibt noch eine Gefahr: Angenommen, die Stadt sagt Ja zur Vorlage, und der Kanton sagt Nein zum Umzug der PH in die Kammgarn: Was dann?

Das wäre doch kein Problem. Dann werden diese Stockwerke eben zu Marktpreisen vermietet, wie es in der Vorlage steht.

Und was ist mit diesen tollen «Synergien», von denen der Stadtrat redet?

Was für eine Kammgarn West hätten Sie persönlich eigentlich gern in fünf Jahren?

Ich hätte gern genau die Kammgarn West, wie sie die Stadt in der Vorlage aufgezeigt hat – einfach mit einem privaten Investor.