Wie viel Schutz brauchen Lesben, Schwule und Bisexuelle? LGBT-Aktivist Tobias Urech und EDU-Kantonsrat Andreas Schnetzler im Streitgespräch.
Alle Bundesratsparteien, ausser die SVP, unterstützen die Erweiterung der Anti-Rassismusstrafnorm. Die EDU und die Junge SVP haben aber das Referendum ergriffen, weshalb nun am 9. Februar 2020 national darüber abgestimmt wird, ob das Gesetz, das Menschen vor Diskriminierung aufgrund ihrer Religion, Ethnie oder Rasse schützt, um das Kriterium der sexuellen Orientierung ergänzt wird. Das Komitee «Ja zum Schutz» will, dass Schwule, Lesben und Bisexuelle besser vor homophoben Hassreden geschützt werden. Die Mitglieder von «Zensurgesetz-Nein», dem Referendmuskomitee, fürchten bei einer Annahme der Vorlage um ihre Meinungsfreiheit.
AZ Warum braucht es die Erweiterung der Anti-Rassismusstrafnorm, oder eben nicht?
Tobias Urech Die Erweiterung brauchts, weil Lesben, Schwule und Bisexuelle nach wie vor nicht vor Hass, Diskriminierung und Hetze, die öffentlich geäussert wird, geschützt sind. Es ist wichtig, dass eine entsprechende gesetzliche Grundlage im Strafgesetzbuch geschaffen wird und solche Fälle geahndet werden können. Heute ist der Aufruf zu Hass und Hetze aufgrund von Rasse, Ethnie und Religion bereits strafbar. Die vielen Übergriffe auf Menschen aus unserer Community in den vergangenen Wochen haben eindrücklich gezeigt, dass Handlungsbedarf besteht. Obwohl die erweiterte Strafnorm nicht direkt tätliche Übergriffe verhindern würde, wäre sie ein wichtiges Zeichen.
Andreas Schnetzler Körperliche Übergriffe verurteile ich, da bin ich mit Ihnen einig. Diese Täter müssen dafür zur Anklage gebracht werden. Meiner Meinung nach macht eure Interessenvertretung in diesem Bereich sogar zu wenig. Die Frage ist aber: Soll man euren Schutz auf so eine hohe Stufe stellen? Schliesslich reden wir hier von einem Offizialdelikt.
Homosexualität ist heute kein Problem mehr in Gesellschaft und Beruf. Wenn Ramona Bachmann als bekennende Lesbe im Lipo-Park ein Goal schiesst, juble ich genauso, wie wenn jede andere Spielerin für die Schweizer Nati trifft. Die Meinungsfreiheit aber ist ein wichtiges Gut, das Dialoge ermöglicht. Deshalb wird diese Vorlage von uns als Zensurgesetz betitelt. Ein Zensurgesetz, das die Diskussionstüre schliessen würde. Aus diesem Grund frage ich mich, ob euch diese Vorlage wirklich nützt oder sogar schadet.
Urech Es geht hier aber nicht um kontroverse Meinungen, sondern um Hass. Und Hass ist definitiv keine Meinung.
Schnetzler Hass ist doch heute schon anklagbar.
Urech Hass gegen Einzelpersonen ja, aber nicht gegen eine ganze Gruppe. Sie meinten, es sei keine gute Idee, das Gesetz auf eine solch hohe Ebene zu stellen. Die Verfassung aber garantiert Menschenwürde als Grundrecht. Diese Menschenwürde wird angetastet, sobald Hass und Hetze verbreitet werden. Darum ist es umso wichtiger, dass im Gesetz das verankert wird, was in der Verfassung schon festgehalten wird.
Schnetzler Wir haben aber bereits Gesetze, die vor solchen Fällen schützen. Andererseits geht es um die Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Gewerbefreiheit und Gewissensfreiheit. Diese Vorlage greift in all diese Punkte ein.
Ich bin zum Beispiel Mitglied der reformierten Kirche. Die reformierte Kirche hat sich für die Ehe für alle ausgesprochen. Auch wenn nicht alle Pfarrer damit einverstanden waren. Nun wird darüber verhandelt, diesen Beschluss umzusetzen. Ohne dieses Zensurgesetz herrscht eine gewisse Entspannung, eine gewisse Freiheit. Ist aber dieses Gesetz erst in Kraft, müssen wir uns fragen, zu was das führt. Das führt dazu, dass ein Pfarrer sich nicht mehr getraut zu sagen, dass es ihm unwohl dabei ist, ein lesbisches oder schwules Paar zu trauen, weil er eine andere Vorstellung der Ehe hat. Macht er sich deshalb strafbar, weil er nach Absatz d eine Dienstleistung verweigert?
Urech Dabei stellt sich aber schon die Frage, ob das eine Dienstleistung ist, die der Allgemeinheit zusteht.
Schnetzler Ja, das ist es. Das ist ein Beschluss der reformierten Kirche, diese Dienstleistung als Kirche anzubieten.
Urech Die Landeskirche hat allerdings auch gesagt, dass dies pro Sektion anders sein kann.
Schnetzler Der Pfarrer, der ein Paar von Mann und Frau trauen würde, aber keines von Mann und Mann, kann wegen Diskriminierung verurteilt werden. Das führt zu einem angespannten Verhältnis innerhalb der Sache.
Urech Das angespannte Verhältnis haben wir wegen der Homophobie, unter der Lesben, Schwule und Bisexuelle zu leiden haben.
Schnetzler Wir sind gesellschaftlich nicht an dem Punkt, wie es im Moment dargestellt wird.
Urech Das wissen Sie als heterosexueller Mann sicher äusserst genau, dass es nicht so schlimm ist? Sie laufen schliesslich nicht durch die Stadt mit Ihrem Freund und müssen Angst haben, verprügelt zu werden.
Schnetzler Dieses Problem lösen Sie nicht mit diesem Gesetz.
Urech Mit diesem Gesetz wird dem ein Riegel vorgeschoben. Denn Taten gehen immer Worte voraus. Mit einem Ja würden wir als demokratische Gesellschaft sagen: Nein, wir wollen keine hassmotivierten Übergriffe, und wir versuchen alles, um diese zu verhindern.
Das war auch 1995 bei der Einführung der Anti-Rassismusstrafnorm die Idee. Damals gingen der Einführung einige antisemitische Vorfälle voraus. Der Handlungsbedarf war klar und die Politik hat sich gesagt: «Das wollen wir als Staat nicht.»
AZ Was bedeutet eine Umsetzung nun für die Meinungsfreiheit?
Urech Dieser Schutz vor Hass für betroffene Minderheiten hat nichts mit dem hohen Gut der Meinungsfreiheit zu tun. Auch nach Annahme würden kontroverse Meinungen möglich sein. Auch dürfte man immer noch kritische Bibelstellen zitieren oder über die Ehe für alle diskutieren. Es geht in der aktuellen Vorlage nur darum, dass Aufrufe zu Hass verboten werden – keine Meinungen.
Schnetzler Genau darum wird im Neuen Testament in der Bibel vieles neu gewichtet.
AZ Warum haben Sie sich entschlossen, sich für das Referendums-Komitee zu engagieren, Herr Schnetzler?
Schnetzler Ich will der Kirche die Freiheit lassen zu entscheiden, ob sie ein Paar trauen will oder nicht. Ich will einem Hotelier die Freiheit lassen, darüber zu urteilen, ob er seine Zimmer an Konkubinatspaare vermieten will oder nicht. Einige Hotels tun dies nicht. Würde es sich dabei um ein gleichgeschlechtliches Paar handeln, wäre das strafbar. Das heisst, es werden Sonderrechte geschaffen.
Urech Es geht um einen Schutz, nicht um ein Sonderrecht. Kommen wir nochmals zur bestehenden Anti-Rassismusstrafnorm zurück: Wäre es denn in Ordnung zu sagen, hier dürfen keine Juden übernachten? Nein, da sind wir uns einig. In unserer Gesellschaft wird Antisemitismus nicht toleriert. Und dazu soll auch die Homophobie gehören.
Schnetzler Aber führt das für euch denn zur Normalität?
Urech Es ist ein weiterer Baustein, um gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen.
AZ Wie ist es mit Ihrer Motivation für Ihr Engagement, Herr Urech?
Urech Ich bin quasi seit meinem Coming-out als schwuler Mann als LGBT-Aktivist unterwegs und setze mich für Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und trans Menschen ein.
AZ Auch in Schaffhausen?
Urech Ja, auch in Schaffhausen, wo ich aufgewachsen bin. Hier gibt es wie auch anderswo Nachholbedarf, gerade für LGBT-Jugendlichen. Die Selbstmordrate bei homo- und bisexuellen Jugendlichen ist beispielsweise fünfmal höher als bei heterosexuellen Jugendlichen. Das muss sich ändern!
Schnetzler Hilft euch dieses Gesetz wirklich dabei? Wäre das Ziel nicht Normalität und erreicht man diese nicht durch einen Dialog, den dieses Gesetz verhindern würde? Gerade wenn es zum Beispiel um die Ehe für alle gehen wird? Wenn die erweiterte Strafnorm eingeführt ist, überlege ich mir zweimal ob ich für ein Interview in der AZ zusage, vor lauter Respekt etwas Falsches zu sagen, das dann öffentlich ist.
Urech Herr Schnetzler, Sie sagen ja nicht, alle Lesben sollen sterben, sondern dass Lesben nicht heiraten dürften. Das ist ein klarer Unterschied – das eine ist Hass und das andere ist eine Meinung. Und diese Meinung würde hier nicht bestraft werden, denn Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, genauso wie die Menschenwürde.
Wenn hier in Schaffhausen jemand öffentlich zur Hetze gegen Lesben, Schwule und Bisexuelle aufruft — ist das heute strafbar?
Urech Nein.
Schnetzler Aus meiner Sicht ist das strafbar, so wie ich Artikel 259 verstehe. Denn dabei handelt es sich dann ganz klar um einen Aufruf.
Urech Es hat sich ja auch bei der Einführung der Anti-Rassismusstrafnorm gezeigt, dass dieser Artikel beim Schutz vor Hass gegen ethnische und religiöse Minderheiten nicht greift. Darum hat man in den 1990ern die Strafnorm geschaffen.
AZ Das Argumentarium Ihres Komitees, Herr Schnetzler, stellt die bestehende Anti-Rassismusstrafnorm in Frage. Wie sehen Sie das?
Schnetzler Die Mitglieder des Komitees sind kunterbunt zusammengestellt. Wir stehen nicht alle gleich zu verschiedenen Punkten. Wir können zum Beispiel nicht über die Ehe für alle diskutieren, weil wir da unterschiedliche Meinungen vertreten. So ist es auch bei der aktuellen Anti-Rassismusstrafnorm. Ich bin nicht dafür, dass man diese abschafft. Sie schützt schliesslich auch den Glauben. Wo sich das Komitee aber einig ist, ist, dass es diese Erweiterung nicht will.
AZ Ein anderes Argument des Referendumskomitees ist, dass der Schweizer Bevölkerung pauschal Homophobie unterstellt wird. Stimmt das, Herr Urech?
Urech Nein, überhaupt nicht. Aktuelle Umfragen zur Abstimmung zeigen, dass die Vorlage sehr gute Chancen hat, angenommen zu werden. Das zeigt ja, dass die Bevölkerung in der Schweiz Homophobie nicht dulden möchte. Es geht hier um die krassen Fälle von Hass, die Tür und Tor öffnen für Gewalt und für ein hasserfülltes Klima – ohne Dialog.
Schnetzler Nennen Sie mir ein konkretes Beispiel. Wo schürt wer Hass?
Urech Der Bischof von Chur, Vitus Huonder, zum Beispiel, der dazu aufgerufen hat, Schwule zu steinigen.
Schnetzler Kommen Sie mal mit an den Marsch fürs Leben. Dort wurden wir auch schon übel beschimpft. Sind wir deshalb auch eine schützenswerte Gruppe?
Urech Gegen Abtreibung zu sein, war Ihre freie Entscheidung, wie auch, an dieser Demonstration teilzunehmen. Ich habe mich nicht dazu entschieden, schwul zu sein. Das ist ein Unterschied. Es muss doch möglich sein für Lesben, Schwule und Bisexuelle, ohne Angst vor Hass zu leben und akzeptiert zu werden.
Schnetzler Ich behaupte, heute werdet ihr akzeptiert.
Urech Zahlen und Fakten zeichnen ein anderes Bild. Sie können gerne den Versuch machen, Hand in Hand mit einem Mann durch die Strassen zu laufen, Herr Schnetzler. Ich überlege mir oft mehrmals, ob die Lage sicher genug ist oder ob ich mit Drohungen oder Gewalt rechnen muss. Trotzdem entscheide ich mich oft dafür, sichtbar zu sein, weil ich mich nicht verstecken will und nicht in Angst leben möchte. Eine Annahme der Vorlage hätte Symbolwirkung und würde zeigen, dass Hass und Hetze gegen Schwule, Bisexuelle und Lesben nicht geduldet wird.
Andreas Schnetzler ist Komiteemitglied von «Zensurgesetz- Nein» und EDU-Kantonsrat in Schaffhausen.
Tobias Urech hat die Anlaufstelle «andersh» für LGBT-Jugendliche in Schaffhausen mitgegründet und ist stellvertretender Kampagnenleiter des Komitees «Ja zum Schutz».