Ein Schaffhauser Unternehmer wurde von der vereinigten Filmindustrie Hollywoods übers Ohr gehauen. Doch Gerhard Lehmann schlug zurück.
Auf Gerhard Lehmanns Tisch steht Sonntagsporzellan und eine Etagere mit Weihnachtskeksen. Ich sitze in einem Einfamilienhaus in einer Klettgaugemeinde, der Gastgeber giesst Kaffee in die Tassen. Das Setting: Besuch bei Opa. Dann erzählt Lehmann, wie er Hollywood das Fürchten lehrte.
Einen Stock höher befindet sich ein Büro, von dem aus er einen jahrelangen Kampf gegen die mächtigen Filmstudios der US-amerikanischen Westküste führte. Das Resultat des Rechtsstreits: 15 Laufmeter Akten. Und dutzende Millionen Dollar, welche die Filmstudios Lehmann zahlen mussten. Sie hatten Lehmanns Erfindung gestohlen, ein System zur Bekämpfung von Filmpiraterie. Die Studios wurden selber zu Piraten. Doch Lehmann hat sie besiegt.
Wie hoch seine Entschädigung war, darf Gerhard Lehmann nicht sagen; eine Verschwiegenheitsklausel verbiete es ihm. Und auch sonst könne er jetzt hier nicht alles erzählen: «Einiges aus meinem Leben kommt dann in meinen Memoiren, wenn ich tot bin. Wenn ich es früher erzähle, bin ich früher tot.» Der 71-Jährige verzieht keine Miene.
Es ist einer dieser Momente in den zwei Stunden an Lehmanns Küchentisch, in denen man nicht so recht weiss, ob man in diesem gut angezogenen, freundlichen Bildungsbürger einen Schaumschläger oder einen emeritierten Geheimagenten vermuten soll. Vermutlich ist er beides nicht.
Aufgewachsen in Berlin, machte der junge Filmfan in den 60er-Jahren eine Ausbildung in einem Kopierwerk. Da habe er sich bald auch um die Studenten der Filmhochschule gekümmert, habe ihr Material bearbeitet, ihnen Tipps gegeben. Die Filmstudenten, mit dem sich Lehmann die Zeit um die Ohren schlug, trugen Namen wie Wolfgang Petersen, der später Das Boot drehen und bald darauf in Hollywood mit Clint Eastwood, John Malkovich, Brad Pitt oder George Clooney die richtig grossen Kisten realisieren sollte. Oder Holger Radtke, der erst später als Rosa von Praunheim zum schrillen Vorreiter der deutschen Schwulenbewegung wurde.
Ein Studi namens Martin Scorsese
Offenbar war Lehmann gut. Nach der Lehre arbeitete er als technischer Direktor für eine grosse Filmfirma in New York und wurde um die ganze Welt geschickt, betreute Filmproduktionen für BBC. Als die NASA Berechnungen machte für eine Film-Dokumentation über den Kosmos, war Lehmann im November 1980 als Techniker in der Kommandozentrale in Pasadena, als die Voyager die ersten Bilder des Saturns auf die Erde schickte. Eines Tages sei in New York ein junger Kerl aufgetaucht, ein Filmstudent, der 300 000 Dollar gewollt habe. Die Firma habe sie ihm gegeben. So seien Taxi Driver und Mean Streets entstanden. Der Filmstudi hörte auf den Namen Martin Scorsese.
Schnell wird klar: Lehmann ist ein guter Erzähler. Immer wieder macht er spektakuläre Andeutungen – um den Zuhörer dann erbarmungslos auflaufen zu lassen.
So sei er etwa früh in die Politik reingeraten. Ein Leben in der SPD. Einmal habe man ihn – ohne dass ihm das damals bewusst gewesen wäre – als Abgeordneten der Bundesrepublik an einen internationalen Umwelt-Kongress geschickt. Dort habe er «den Schweden erklärt, was Umwelt bedeutet». 1971 sei das gewesen. Mehr will er nicht erzählen.
Springen wir stattdessen zum 17. September 2003. Der Tag hätte den Durchbruch in Lehmanns Karriere bedeuten können: Erstmals wollte er Hollywood seine grösste Erfindung präsentieren. Hätte alles geklappt, hätte er «mehr als 100 Millionen Dollar verdient». Stattdessen ist er in den folgenden 16 Jahren unfreiwillig zum Experten für internationales Patentrecht geworden.
Am diesem 17. September ist Lehmann mit zwei Männern verabredet. Einer von ihnen ist der oberste Techniker des Milliardenkonzerns Warner Brothers in Europa. Die beiden Herren sind angereist, um sich eine Erfindung vorstellen zu lassen, mit der sich eine der grössten Gefahren der internationalen Filmbranche bekämpfen lassen soll: Piraterie. Gerhard Lehmann sollte sich noch lange Zeit verfluchen, dass er den Männern an diesem Herbsttag seinen Gral gezeigt hat. Doch was hätte er anderes tun sollen? «Ich habe das Verfahren erfunden, um den Weltmarkt zu kontrollieren», sagt er. Und der Film-Weltmarkt ist nunmal in Hollywood.
Der heilige Gral
Nach Jahren als Filmtechniker auf der ganzen Welt gründete Lehmann Anfang der 80er-Jahre eine Firma mit dem sperrigen Namen «Film und Video Untertitelung Gerhard Lehmann AG» und begann, Filme in mehr als 40 Sprachen zu übersetzen. «Untertitel waren damals Neuland in Deutschland», sagt er. «Und als ich erstmals in der Schweiz im Kino war, waren die Untertitel in die Rolle hineingeätzt. Ich habe die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.»
Der Tüftler Lehmann entwickelte verschiedene Verfahren und Geräte, um die Qualität der Untertitel zu verbessern. Mit einer neuartigen Lasertechnik war er bald bundesweiter Marktführer und beschäftigte zwei Dutzend feste und ein paar Hundert freie Mitarbeiter, die in verschiedenen Ländern für ihn übersetzten. Die Kontakte zur internationalen Filmbranche waren gut, der Laden brummte – doch Lehmann lehnte sich nicht zurück. «Seit den 80ern beschäftigte ich mich mit der Frage, wie man Raubkopierer bekämpfen kann. Ich habe lange experimentiert, aber das Kopieren selber lässt sich nicht verhindern.» Stattdessen hat Lehmann ein Verfahren entwickelt, mit dem man Kopierer überführen kann.
Die Erfindung funktioniert in etwa so: Die originalen Filmrollen der Filmstudios werden mit einer Art Wasserzeichen versehen. Taucht eine illegale Kopie auf, können die Studios rückverfolgen, wo die undichte Stelle war. So weit, so gut. Doch das Wasserzeichen muss so in die Filmrollen eingebaut werden, dass es von den Raubkopierern nicht erkannt und rausgeschnitten werden kann. Also setzte Lehmann beim Ton an.
Wir befinden uns in den 90er-Jahren, gerade hat sich der Digitalton durchgesetzt, in den man nicht hineincodieren kann. Doch zur Sicherheit läuft auf den Filmrollen auch ein unhörbares, analoges Reservesystem mit, das einspringt, falls der Digitalton mal ausfallen sollte. Also liess Lehmann das Digitalsystem für den Bruchteil einer Sekunde ausfallen und setzte auf dem analogen System genau in diesem kurzen Moment sein Wasserzeichen. Ein Gutachter sollte Jahre später vor einem US-amerikanischen Gericht konstatieren: «Das ist genial.» Der Gutachter war der Erfinder des Dolby-Tons.
Die beiden Männer von Warner Brothers liessen sich Lehmanns Erfindung erklären, zeigten sich interessiert und zogen von dannen. Sie müssten sich beraten. «Wir waren bereit», sagt Lehmann. «Wir hätten innert Wochenfrist die Maschinen bekommen können, hatten genügend Platz. Das wäre explodiert!» Doch Warner Brothers meldete sich nicht mehr. Stattdessen war Lehmanns Erfindung wenige Wochen später in Gebrauch – ohne dass er Lizenzgebühren erhalten hätte. Umgesetzt von einem anderen Zulieferer von Warner Brothers.
Als Lehmann reklamierte, habe der Konzern mit einer Unterlassungsklage gedroht. Später übernahmen die anderen Filmproduzenten Hollywoods das Verfahren – von 20th Century Fox über Paramount Pictures bis hin zu Walt Disney. Sie hätten dank seiner Erfindung in den kommenden Jahren Ausfälle in Milliardenhöhe verhindern können. «Sie können sich vorstellen, wie ich mich gefühlt habe», sagt Lehmann und schenkt Kaffee nach.
Zwei Tote und ein Schatten
Seine 2006 eingetragene und 2015 eher zufällig nach Schaffhausen verlegte Firma heisst «Medien Patent Verwaltung AG». Der Name zeigt, womit sich Lehmann in den folgenden 15 Jahren beschäftigt hat.
Eine Kürzestfassung: 2006 erhielt er seine ersten Patente. 2014 hat ein New Yorker Gericht eine Patentverletzung festgestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Lehmann mehrere
Millionen Dollar in Rechtsstreitigkeiten gesteckt. Ohne Prozessfinanzierer, die sich eine satte Entschädigung erhofften, wäre ihm wohl der Schnauf ausgegangen. Schliesslich habe er nach dem New Yorker Urteil ein Vergleichsangebot seitens der Filmindustrie akzeptiert. Das Verfahren noch vor eine Jury zu ziehen, hätte einen weiteren Millionenbetrag verschlungen. Lehmann sagt, er hätte zwar noch viel mehr herausschlagen können, «aber meine Uhr tickt, ich bin jetzt 71» – er habe endlich einen Schlussstrich ziehen wollen. Und schiebt dann nach: «In dem Verfahren gab es zwei Tote, und ich selber bin zwölf Jahre lang beschattet worden, hatte lange Zeit Polizeischutz. Da ist Korruption im Spiel. Es geht um Milliarden.» Wieder will er nicht ins Detail gehen.
Wenn alles stimmt, was Gerhard Lehmann erzählt, hat er gute Gründe, heikle Details seines Lebens nicht der Presse zu erzählen. Kein Schaumschläger, kein emeritierter Geheimagent. Doch wieso überhaupt die Öffentlichkeit?
Heute, nachdem 2018 die letzten Vergleichsverhandlungen abgeschlossen waren, hat Lehmann eine neue Mission. Sie klingt nicht gerade bescheiden: «Ich will das europäische Patentrecht revidieren.» Dieses würde die grossen Konzerne geradezu einladen, kleinen Startups ihre Erfindungen zu stehlen. Also hat Lehmann Gespräche geführt. Mit den Verbänden Economiesuisse und Swissmem, mit dem Institut für geistiges Eigentum. Doch die würden das Problem nicht erkennen. Bleiben noch die Medien. Lehmann kann sich in langen Monologen über das unglückliche Patentrecht verlieren – und die Öffentlichkeit soll davon erfahren.
Es ist erneut ein Kampf David gegen Goliath. Doch eines hat Lehmann nun: Geld. Und die Gewissheit, dass er schon einmal einen Riesen in die Knie gezwungen hat.