Für die Sache des Herrn

28. Dezember 2019, Sascha Britsko
Klaus Pesch gab sich als Sohn Gottes aus. Jahrelang beutete er eine Gruppe von Gläubigen aus. © Faro Burtscher

Klaus Pesch überzeugte Dutzende Menschen davon, dass er der Sohn Gottes sei. Viele trieb er in den Ruin. Wie schaffte er das? Auf Spurensuche in seiner Villa in Stein am Rhein.

Der Sohn Gottes öffnet die Tür, und mir schiessen all die Höllengeschichten durch den Kopf, die ich über ihn gehört habe. Doch jetzt, wo dieser gebrechliche Mann vor mir steht – er muss um die 80 sein –, kann ich diese Geschichten kaum glauben.

Der Mann heisst Klaus Kurt Pesch. Vor über 30 Jahren gründete er eine Sekte, überzeugte seine Anhänger vom nahenden Weltuntergang, nutzte sie aus, sackte viel Geld ein. Und nun, während der erste Schnee wie ein flauschiger Bademantel über seiner Villa liegt, steht Klaus Kurt Pesch vor mir.

Die Villa umfasst zwölf Zimmer und liegt ziemlich abgelegen über einem Weinberg am Rande von Stein am Rhein. Seit letztem Sommer ist sie zum Verkauf ausgeschrieben. Eine Besichtigung lehnte Pesch damals ab, man befinde sich bereits in «ernsthaften Verkaufsgesprächen».

Als ich mich Monate später als persönliche Assistentin eines russischen Oligarchen ausgebe («Ich bitte um Diskretion!»), findet Pesch doch Zeit. Mit roten Lippen und einem knielangen Jupe stehe ich vor ihm und sehe ihn an: Wer ist dieser Klaus Pesch? Wie schaffte er es, Dutzende Menschen in den Ruin zu treiben?

Die Villa bei Stein am Rhein: Sektenmitglieder bauten sie in Fronarbeit aus. Sie steht für vier Millionen Franken zum Verkauf. © Peter Leutert

Sektenhaft, höchst verdächtig
Manuel Felder, fröhliche Art, bärenhafte Statur, sitzt am Tisch einer Bar. Der 31-Jährige arbeitet als Zimmermann und Musiker. Er raucht Kette. Und legt Zeugnis ab von seinem Aufenthalt in der Hölle. Er erzählt, wie er in Australien eine Stätte für den Heiligen Geist baute. Wie er sich auf den nahenden Weltuntergang vorbereitete. Wie seine Familie einem vermeintlichen Sohn Gottes Hunderttausende Franken gab. Wie er fast daran zerbrach.

Er erzählt, wie es war, in einer Sekte aufzuwachsen. In Klaus Peschs Sekte.

«Wenn ich jetzt so daran zurückdenke, erinnert es mich an die Geschichten über die Hitlerjugend. Gemeinsam am Lagerfeuer sitzen, singen, arbeiten. Alle Kinder halfen mit. Es hiess immer: Die müssen arbeiten, damit sie abends müde sind», sagt Manuel Felder. Er zieht an seiner nächsten Zigarette.

Die Sekte nennt sich The Team. Ihr gehören gut 50 Personen an. Die Gemeinschaft ist kaum bekannt. Auch Pfarrer und Religions­experte Joachim Finger kennt sie nicht. «Höchst verdächtig», sagt er nur und startet eine eigene Recherche. Später gibt er mir seine Einschätzung: «Das Muster, dass alle anderen Religionen und christlichen Gruppen auf dem falschen Weg sind, ist sektenhaft.» In einem «Green Book» habe Pesch ausgewählte Bibelzitate gesammelt, völlig aus dem Zusammenhang gerissen. «Pseudochristlich», urteilt Finger

Im Verlauf meiner Recherche spreche ich mit einem Dutzend Leuten aus dem Umfeld der Sekte. Daraus lässt sich folgendes Bild zeichnen: Das Team ist eine Endzeitbewegung. Klaus Pesch sieht sich als Sohn Gottes, als Propheten. Er ist der spirituelle Führer der Gruppe.

Das Team will «heilige Orte» schaffen, wo der Heilige Geist residieren und mit der Gemeinschaft kommunizieren kann. Wenn das Ende der Welt naht, können die Team-Mitglieder in diese Stätten flüchten und werden unbeschadet ins «Tausendjährige Reich» überführt. Derzeit befinden sich diese «heiligen Orte» im deutschen Öhningen, im toggenburgischen Wildhaus, im australischen Mandurah und in der Villa am Weinberg in Stein am Rhein.

Pesch ist der Chef
Über Kurt Pesch ist nicht viel bekannt. Aus der Recherche lässt sich jedoch folgender Werdegang rekonstruieren: Klaus Pesch wurde am 3. Februar 1939 im deutschen Solingen geboren. Er hat einen Bruder und machte eine Ausbildung als Maurer. Seine erste Frau starb mit etwa 65 Jahren an Krebs. Sie hatten fünf Kinder.

In den 1970er-Jahren wirkte er eine Zeitlang als Missionar bei Aborigines in Australien, wo er sich als deren König bezeichnete. Später gründete er The Team.

Seinen Anhängerinnen und Anhängern erzählte Pesch, dass er und seine Mutter im Zweiten Weltkrieg in einem ausgehöhlten Baumstamm über einen Fluss gezogen und beschossen worden seien. Dass er überlebte, sei Gottes Bestimmung gewesen. Von da an war er der Auserwählte.

Zurück in der Villa. Hinter Klaus Pesch taucht Patrick Rupf auf, ein grosser, beleibter Mann. Er sei Peschs Schwiegersohn, sagt er. Tatsächlich sind sie nicht verwandt. Rupf gilt als Peschs rechte Hand. Er führt mich durch die Villa. Wie ein Schatten trottet Pesch hinterher.

Klaus Pesch mit seiner ersten Frau Christel (wohl um das Jahr 2000).

Als wir einen mit Schnee bedeckten Weg hinuntersteigen, rutscht der Sohn Gottes aus und schlittert wie ein Eisbär den Hang hinunter, reisst alles mit, was sich im Weg befindet. Ich kann ihm nur mit Mühe ausweichen.

Später erzählen Pesch und Rupf, dass sie die Villa verkaufen möchten, weil sie nach Australien auswandern. Klaus Pesch zeigt ein Foto, darauf rund 40 Menschen. Er sagt, das seien alles seine Töchter, Söhne, Enkel, Urenkel. Sie alle wohnten zusammen auf einem riesigen Anwesen in Australien. Dorthin wolle er zurück. Weil: Er sei der Chef.

Liebe ist Züchtigung mit der Rute
1989, Manuel Felder war ein Jahr alt, wanderte seine Familie nach Australien aus, um die «Mission in Down Under» voranzutreiben. Pesch habe ihnen gesagt, der Heilige Geist wohne dort.

Tagsüber schien Manuel ein normaler Junge zu sein, der zur Schule ging, Streiche spielte, wild herumtollte. Doch wie für alle Kinder im Team galt auch für ihn die Regel: Liebe ist Züchtigung. Und zwar mit einer eisernen Rute. Nach der Schule fuhr die ganze Familie 50 Kilometer weit und half beim Bau «der heiligen Stätte» mit. Mit elf Jahren konnte Manuel Platten legen und Gräben ausheben.

«Eigentlich war es eine schöne Kindheit», sagt Manuel und raucht. Einmal sei er von einem Lastwagen heruntergefallen und habe sich beide Handgelenke gebrochen. Man habe ihm gesagt, das sei «die Strafe Gottes», weil er den heiligen Ort nicht respektiere. Zu einem Arzt gingen sie nicht. Seine Handgelenke wuchsen falsch zusammen.

Die «heilige Stätte» in Mandurah, Australien. In einem der Türme wohnt der Heilige Geist, nur Klaus Pesch darf ihn betreten. Das Gelände soll sieben Quadratkilometer umfassen.

2002, als Manuel vierzehn war, kehrten die Felders zurück in die Schweiz. Sein Vater gehörte mittlerweile zum engsten Kreis von Klaus Pesch, bekam die Aufgabe, die «Europa­mission» voranzutreiben. Also bauten sie die «heilige Stätte» in Stein am Rhein auf. Das Haus kostete 750 000 Franken. Die Familie leistete jeden Samstag Fronarbeit «für die Sache des Herrn». So entstand eine 200-Quadratmeter-Villa. Jetzt ist sie für vier Millionen ausgeschrieben.

«Im obersten Stock wohnt der Heilige Geist. Pesch ist der Einzige, der die Wohnung betreten kann, ohne sich an der Heiligkeit von Gott zu verbrennen. Aber», Manuel lacht, «zum Umbauen durften wir schon rein.»

Ein seltsamer Geruch
Im obersten Stock dringt ein seltsamer Geruch in meine Nase. Als hätten zwei alte Männer vergessen zu lüften und das mit viel Raumspray kompensieren wollen.

Die Villa ist alles andere als wohnlich. Die Garage im Erdgeschoss führt direkt ins Wohnzimmer. Irgendwo ist ein Dampfabzug eingebaut, aber der Herd fehlt. In einer Ecke stapeln sich Kartonschachteln. Patrick Rupf aber erklärt begeistert, was man in seinem «kleinen Paradies» noch alles bauen könne: einen Swimmingpool mit Dach, einen Kamin, einen Wintergarten.

Ich erkenne kaum Potenzial, dafür einen Mann mit grossem Verkaufstalent.

Kredite «für die Sache des Herrn»
Manuel Felder war nie freiwillig Mitglied des Teams, er wurde hineingeboren. Seine Eltern waren aber 20 Jahre dabei. Wie kamen sie dazu?

Als ich Manuels Mutter das frage, redet sie schnell. Ihre Gesichtszüge sind weich. Ihre Familiengeschichte erinnert an ein Filmdrama: zweitletztes von zwölf Kindern, alkoholkranker Vater, eine Mutter mit einem Herz aus Gold. Mit 13 fand sie den Mann, den sie später heiratete.

Irgendwann kam Pesch in ihr Leben und erzählte etwas von einer Prophezeiung. «Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, kam mir Hitler in den Sinn», sagt Frau Felder. Trotzdem sei sie ihm gefolgt. «Es hat mich wundergenommen. Diese neue Art von Christentum hatte etwas Anziehendes. Er konnte sich sehr gut verkaufen.»

Klaus Pesch führte das Team mit harter Hand. «Wir Frauen waren nur zum Putzen und Kochen gut», sagt Frau Felder. Frauen durften keine Hosen tragen. Lange Haare waren erwünscht. Sie durften nicht in die Badi gehen, in Bars und Restaurants sowieso nicht. Mit Männern zu sprechen, war verboten. Wenn sich die Frau nicht daran hielt, «durfte man sie auch mit Schlägen züchtigen», erzählt Frau Felder. «Das hat er unseren Männern gesagt.»

Zehn Prozent des Lohns flossen direkt an Peschs Team. Wer 30 Prozent gab, stieg in der Hierarchie auf.

Die Familie Felder verkaufte ihr Haus für 1,2 Millionen Dollar, behalten durfte sie nur 60 000 Franken.

2000 gründete Pesch die «Klaus Pesch Consulting». Sie berät Unternehmen. Über die finanziellen Mittel der Team-Mitglieder verfügte er quasi frei. Auf Peschs Befehl hin kauften die Felders damals mit zwei anderen Mitgliedern ein Haus in Australien, renovierten es und verkauften es weiter. Dafür bekamen sie 1,2 Millionen Dollar. Fast alles ging ans Team, für «die Sache des Herrn». Die Felders erhielten nur 60 000 Franken – und mussten das Geld in den Kauf eines weiteren Hauses investieren.

Hatte Pesch nicht genug Geld, mussten die Mitglieder Kredite aufnehmen. Er setzte sie mit Aussagen wie «wenn ihr uns jetzt nicht helft, können wir euch später auch nicht helfen» unter Druck. Eine Quittung, die der AZ vorliegt, zeigt: Felders übergaben Pesch einen «Privatkredit für die Sache des Herrn» über 50 000 Franken. Das werde ihr Segen im Himmel sein, sagte ihnen Klaus Pesch. Das Geld haben sie nie wieder gesehen.

Und so spendeten Felders Hunderttausende Franken für «die Sache des Herrn». Als sie nicht mehr kreditwürdig waren, mussten andere Mitglieder für ihr Haus bürgen.

Schulden und Scheinrechnungen
Als Patrick Rupf gegen Ende der Führung mit sich selbst um die Wette strahlt, erkenne ich in seinem Überschwang immer mehr Verzweiflung. Vom vielen Geld scheint nicht mehr viel übrig. Neben der Villa am Weinberg steht auch «die heilige Stätte» in Öhningen zum Verkauf. Bei ihrer früheren Garage stehen Rupf und Pesch auf einer schwarzen Liste, weil sie 1000 Franken für eine Reparatur nicht bezahlen konnten, erzählt man mir dort.

1999 warb Patrick Rupf die Schaffhauserin Larissa Thal (Name geändert) und ihren Mann von der Pfingstgemeinde ab. Er sagte ihnen, Gott habe etwas Grösseres mit ihnen vor. Also gingen sie hin.

Auf Drängen von Pesch gründeten die Thals ein Einzelunternehmen. Denn der Dienst an Gott bedeutete vor allem: Wände abschleifen, den Garten umgraben, das Haus putzen, Abendessen kochen. Zunächst wurde die Arbeit bezahlt, doch irgendwann erhielten die Thals keinen Lohn mehr.

«Betreibung auf Betreibung flatterte herein. Allein zu hören, dass der Pöstler kam, brachte mich an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Ich konnte meinen Kindern nichts mehr auf den Tisch stellen», erinnert sich Larissa Thal.

Pesch habe ihnen noch 18 000 Franken geschuldet. «Doch er sagte nur, dass er uns das Geld nicht geben könne, weil wir sonst unseren Segen verlieren. Wissen Sie, was? Auf so einen Segen scheiss ich.» Danach verliessen die Thals das Team. Das war 2004.

Jahre später meldete sich Patrick Rupf ein letztes Mal – es ging um Geld. Er bat sie, vorgefertigte Rechnungen in der Höhe von 7800 Franken zu unterschreiben, für Reinigungsarbeiten. Das Merkwürdige: Thals hatten diese Arbeiten nie ausgeführt. Es handelte sich also um Scheinrechnungen, die sechs Jahre rückdatiert waren (die Dokumente liegen der AZ vor). Solche Scheinrechnungen werden in der Regel gemacht, um den Umsatz eines Unternehmens kleinzurechnen und so Steuern zu hinterziehen. Andererseits kann Geld dank Scheinrechnungen direkt an die Geschäftsführer ausbezahlt werden.

Manuel ergreift die Flucht
Auch die Familie Felder hat sich aus Peschs Sekte verabschiedet. Als Erster ergriff Sohn Manuel die Flucht. 2005, mit 17, sei er ausgestiegen, erzählt er in der Bar. «Damals gab es viele, die genug hatten. Ich sah, wie gut es ihnen ging und dass die Dinge, die man uns versprochen hatte, nicht wahr werden würden.»

Manuel zerstritt sich mit seinen Eltern und lebte ein Jahr lang in seinem Auto. «Wäre das alles nicht passiert», sagt er, «wäre ich jetzt nicht derjenige, der ich heute bin. Ich hätte wahrscheinlich ein stinknormales Leben gehabt und wäre jetzt völlig ruhig und zufrieden. Und das wäre mir einfach zu langweilig.»

Um Gottes Gnade wieder zu erlangen, musste Manuels Mutter den Garten der Villa jäten. Klaus Pesch, fein angezogen, sei herausgekommen und habe gesagt: «Früher hätte man solche Kinder gesteinigt.» «Ich habe kein Wort gesagt», erinnert sich Manuels Mutter. «Ich habe meine Arbeit fertig gemacht, bin aufgestanden, nach Hause gefahren und bin nie wieder an diesen Ort zurückgekehrt. Ich wusste nicht, was ich mit all der gewonnenen Zeit anstellen soll. Ich war verloren.» Sie lismete 82 Paar Socken.

Auch ihre älteste Schwester verliess das Team – allerdings unter tragischen Umständen. Sie sei sehr lange «drin» gewesen, sagt Mutter Felder. «Als sie an Brustkrebs erkrankte, wollte sie sich nicht behandeln lassen. Sie dachte, ihr Glaube würde sie heilen. Sie starb im Alter von 58 Jahren.»

Auto wird wiederbelebt
Die Villa sei ein liebendes Zuhause, erzählt Klaus Pesch beim Verabschieden im Vorgarten. Und an einen lieben Menschen soll sie wieder gehen.

Als ich im Auto sitze und mich auf den Heimweg machen will, ist plötzlich die Batterie leer. Glücklicherweise hat der Sohn Gottes ein Überbrückungskabel zur Hand. Er fährt seinen dicken Wagen vor, um unser Auto wiederzubeleben, nicht ohne darauf aufmerksam zu machen, dass ich unbedingt beim Garagisten reklamieren müsse.

Wenig später schicke ich Kurt Pesch einen Katalog mit Fragen und Vorwürfen. Eine Antwort bleibt auch auf Nachfrage aus.