Das Schaffhausen Institute of Technology nimmt Form an. Für Gründer Beloussov ist Wissenschaft auch ein Geschäft. Aber das Klo funktioniert nicht.
Die kleine Schachtel aus Holz ist leer. Zumindest schien sie es. Doch ein Magier zaubert daraus Dollarscheine hervor und lässt sie von der Bühne regnen.
Serguei Beloussov lacht, seine Entourage schliesst sich an. Nachdem der Zauberer ausreichend Geld hat regnen lassen, betritt «SB», wie er sich im Becken von Wikipedia getauft hat, die Bühne. «Ich bin nicht wirklich erfolgreich», sagt er. «Ich habe nur ein paar Milliarden verdient mit meinen Partnern. Aber es gibt andere, die Dutzende Milliarden gemacht haben.»
Es ist halb zwölf Uhr. SB hat seinen zweiten von insgesamt fünf Auftritten an diesem Tag, dem Montag, 16. Dezember. «Insights in Technology» heisst die Konferenz, die Beloussovs private Universität Schaffhausen Institute of Technology, kurz SIT, bewerben soll. Sie findet im Erdgeschoss seiner Software-Firma Acronis am Rande Schaffhausens statt.
SB, Singapurischer Staatsbürger, der laut eigenen Aussagen rund 100 Tage pro Jahr in Schaffhausen lebt, hat tief in die Tasche gegriffen und ein dichtes Programm erstellt, von halb neun Uhr morgens bis abends um halb zehn. 300 Gäste nehmen teil.
Titel im Notizheft: Protokoll eines brillanten Lobbyings.
2000 Studierende im Jahr 2034
«Science Breakfast» um halb neun. Es gibt Brötchen, Früchte, Müesli und Kaffee aus mächtigen Tassen, die das SIT-Logo tragen. Man spricht Englisch in den unterschiedlichsten Akzenten. Junge Frauen huschen durch den Slalom der Anzüge und schauen, dass das Essen nie ausgeht, den ganzen Tag über nicht; sie tragen schwarz, denn Schatten stören nicht.
Auf dem Klo flucht ein Mann, «Scheissdreck!», er weiss nicht, wie die Spülung funktioniert. Es ist eine dieser neuen Schüsseln, die in einer ergreifenden Verschmelzung von Mensch und Maschine automatisch alles reinigen.
Den Auftakt der Reden macht Christoph Schärrer, «Economic Promotion Schaffhausen», der Leiter der Wirtschaftsförderung. Ab nächstem Jahr zahlt der Kanton 3 Millionen Franken ans SIT. Die Hochschule passe perfekt hierher, sagt Schärrer, weil man ja mit dem selbstfahrenden Bus schon gezeigt habe, dass man hier in die Zukunft blicke. «Ich glaube», schliesst er, «dass Forschung, Ausbildung und Business enger zusammenarbeiten müssen.»
Bald fällt der Vorhang zum ersten Mal für Serguei Beloussov. Er redet über den Erfolg seiner Firma Acronis: 250 Millionen Dollar Umsatz, Tendenz steigend. 50 Prozent Wachstum im kommenden Jahr, Tendenz steigend. 1500 Angestellte, Tendenz steigend. Dann erzählt Beloussov von den Problemen dieser Welt – Krieg, Klimakrise, Armut, Krankheiten. Nur mit Wissen, also mit Wissenschaft, könne man diese bekämpfen. «Wir sind alle krank», sagt er, «wir alle leiden an derselben Krankheit: dem Altern. Es gibt kein Heilmittel. Ich bin 48. Mein Gehirn wird noch einige Jahre funktionieren. Aber das Schlimmste für mich ist, wenn es aufhört zu arbeiten. In 50 Jahren werden wir vielleicht unser Hirn operieren und 200 Jahre lang leben.»
SB wechselt zu seiner Privatuni. Sie soll auf den drei Säulen Computerwissenschaften, Physik und Business basieren. An fünf Orten rund um die Welt will er Ableger gründen. «Aber Schaffhausen wird das Zentrum der Welt», sagt Beloussov. Dazu präsentiert er einige Zahlen: 100 Millionen Dollar sollen in den nächsten acht Jahren ins SIT gesteckt werden. Bis in 15 Jahren erwartet er bereits 2000 Studierende. Und, diese Zahl geht in der hektischen Präsentation beinahe unter, eine halbe Milliarde Dollar Umsatz. Das ist doppelt so viel, wie Acronis zurzeit aufweist.
Wie ein Vogel, der landet, rauscht Beloussov von der Bühne, in einen Konferenzraum. Ein gutes Dutzend Journalistinnen und Journalisten hat sich dort versammelt, um Fragen zu stellen. Beloussov erklärt das Geschäftsmodell des SIT: «Wir wollen zwar Forschung betreiben, aber wir wollen die wissenschaftliche Forschung auch an Firmen verkaufen.»
Er nennt ein Beispiel: Acronis habe eben einen Deal mit dem Fussballklub Manchester City abgeschlossen. Mittels Forschung soll ein Programm entwickelt werden, das den Startrainer Pep Guardiola ersetzen kann. Oder, fährt Beloussov fort, man könne auch ein neues Material erfinden für die IWC, damit eine 100 000-Dollar-Uhr nicht mehr verkratzt, sondern Schäden sogar selber heilt.
Die Journalisten in der Runde, in der Tat sind nur zwei Frauen darunter, machen sich eifrig Notizen. Sie arbeiten für IT-Magazine und -Blogs, sie kommen aus Russland, Polen, England, der Türkei und aus Griechenland.
Der Pole, ein kahlköpfiger Mann mit hellen Augen, erzählt, er arbeite für das Magazin IT Biznes. Vor Kurzem schon sei er von Acronis nach Abu Dhabi eingeladen worden, wo die Firma eine Cyber-Tagung organisierte. Es handelte sich um einen Werbeanlass: Acronis-Angestellte sprachen von ihren tollen Ideen. Jetzt, erzählt der Pole weiter, sei er nach Schaffhausen eingeladen worden. Flug, Hotel und Essen seien von Acronis bezahlt worden. Dasselbe berichtet ein Mann mit indischem Akzent, der für ein britisches Magazin schreibt.
Es ist zwölf Uhr. Vor dem Acronis-Gebäude fährt ein schwarzer Kleinbus vor, frisch poliert. Die Scheiben sind getönt, der Fahrer trägt elegante Kleidung. Die Journalisten werden ins Restaurant Sommerlust chauffiert (laut dem Gastroführer Gault Millau das beste der Region). Zur Vorspeise wird eine Antipastiplatte serviert. Es folgt ein grüner Salat, garniert mit eingelegten Apfelschnitzen. Zum Hauptgang gibt es entweder Kalbsbäckchen mit Sellerieterrine oder auf dem Holzkohlegrill gebratenen Oktopus. Als Beilage Kartoffelstock. Zuletzt das Dessert: Schokoladenkuchen, Vanilleeis und Früchte.
Am Tisch sitzt auch ein enger Mitarbeiter von Serguei Beloussov. «Serguei ist an Neuem interessiert», sagt der Mitarbeiter. «Er sprudelt vor Ideen, ist sehr fordernd, es muss schnell gehen, und es muss so laufen, wie er es verlangt. Manchmal ist es schwer, ihm zu folgen. Aber», fügt er bewundernd an, «alle grossen Persönlichkeiten sind so. Elon Musk, Jeff Bezos, Steve Jobs – wirklich alle.»
Was will Beloussov mit dem SIT? «Das Problem ist», erklärt der Mitarbeiter, «dass sich Wissenschaftler nicht für Business interessieren. Sie wollen ihre Ideen in Fachjournalen veröffentlichen und allen gratis zu Verfügung stellen. Das SIT will Wissenschaft und Business zusammenbringen. Das ist Sergueis Vision.»
Gefüttert und zufrieden werden die Journalisten wieder in den Kleinbus verfrachtet. Es geht auf eine Stadttour, via Rheinfall und Uhrenmanufaktur H. Moser & Cie.
Notiz: Gassi gehen, mit Leine.
«By the airfield of Schmerlat»
Für den Nachmittag ist ein Vortrag des Stargasts angekündigt: Wolfgang Ketterle, ein drahtiger Deutscher von 62 Jahren, gewann 2001 einen Nobelpreis in Physik. Er berichtet von seiner Forschung: wie sich Materialien bei extrem tiefer Temperatur verändern und plötzlich neue Eigenschaften entwickeln. Zum Beispiel als hervorragende Leiter von Strom.
Acronis lud mehrere Schulklassen ein. Rund 100 Schülerinnen und Schüler sind gekommen. Sie leeren das Buffet, das doch nicht zu leeren ist, und plündern die kleinen, mit Redbull gefüllten Kühlschränke, die überall herumstehen. Acronis-Angestellte verteilen Bilderbücher. Sie heissen The Acronis Chronicles oder Formula Green und handeln davon, wie Acronis die Welt verbessert.
Serguei Beloussov hat seinen dritten Auftritt. Das Schulsystem sei schlecht, sagt er zu den Jugendlichen, «ihr könnt jetzt schon alles lernen, von Quantenphysik über Computerwissenschaften.»
Regierungsrat Christian Amsler, «State Councillor of Department of Education», Bildungsdirektor, hebt den Pioniergeist Schaffhausens hervor. «By the airfield of Schmerlat» dürfe man neue Drohnentechnologien testen.
Es folgen Beloussovs Auftritte Nummer vier und fünf. Nochmals betont er: Das SIT sei völlig einzigartig. Nirgends würde man Wissenschaft und Business verknüpfen.
Zum Abschied Fragezeichen im Notizheft: Armut beenden, Krankheiten bekämpfen, Klimakrise stoppen, und gleichzeitig Forschung an den Meistbietenden verkaufen? Gewinne statt Gewissen?
Auf Twitter schreibt der türkische Journalist: «Acronis-CEO Serguei Beloussov: ‹Bildung ist für jedes Individuum notwendig, um frei und gleichberechtigt zu sein.›»
Zusatz im Notizheft: Gäbe ein schönes Bilderbuch, sponsored by Acronis.