Eine Menge Geld und das grosse Rampenlicht: Die Firma BioCan steigt steil ins Hanfgeschäft ein. Dann stürzt sie ab und hinterlässt eine Spur der Verwüstung.
Im August 2016 ist die Euphorie gross. In einem Drugstore im Zürcher Kreis 5 drängen sich Journalistinnen, Fotografen, Kameraleute und Radioreporter. Alle wollen diesen Moment festhalten, die Sekunde, in der das Feuerzeug zischt und der erste legale Joint der Schweiz angeraucht wird. Für die Konsumentinnen und Konsumenten von Cannabis – und von ihnen gibt es viele – ein historischer Augenblick.
Gras, wie der Rauchhanf bekanntlich genannt wird, ist die am meisten konsumierte illegale Substanz des Landes. Und keine andere spaltet die Schweizerseele so sehr. Der Bund geht davon aus, dass rund 200 000 Personen regelmässig an einem Joint ziehen, fast ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung hat schon mal gekifft. Jeder Versuch, Cannabis, das seit 1951 verboten ist, zu legalisieren, scheiterte aber kläglich. Das Image des Kiffers, der auf der faulen Haut liegt und die Welt um sich herum vergisst, beisst sich arg mit dem Selbstverständnis der rechtschaffenen Bürgerinnen und Bürger. Für den Wunsch, ein bisschen high durchs Leben zu wandeln, haben viele kein Verständnis.
Vor drei Jahren war es aber so weit. Die BioCan AG, die damals ihren Sitz in Schleitheim und eine Gärtnerei in Ossingen im Weinland hatte, präsentierte die Sensation: eine Hanfsorte, die weniger als ein Prozent Tetrahydrocannabinol – kurz THC – enthält und deshalb nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Dafür ist der Anteil Cannabidiol – kurz CBD – höher: dieses wirkt entspannend, aber nicht psychoaktiv. Die Leute von BioCan wedelten mit der Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) in Richtung Markt: Seht her, schienen sie sagen zu wollen, wir haben es geschafft. Dank uns kommt das Kiffen aus der Schmuddelecke heraus.
Und der Markt boomte. Der Beifall der Presse war frenetisch, beim Verkaufsstart wurde die Website von BioCan zwei Millionen Mal aufgerufen. Und weil die Firma als einzige die grosse Nachfrage stemmen konnte, schoss der BioCan-Umsatz mit dem CBD-Hanf namens CPure während des ersten Jahres durch die Decke.
Das Hoch
Ein kleines Wirtschaftswunder, bewirkt von Typen, die eigentlich schon über 20 Jahre lang Geschäfte mit Gras machten. Manchmal regelkonform, oft im Graubereich, meistens illegal. Typen, die schon etliche Male mit Polizei und Justiz kollidiert waren und Tonnen von ihrem Hanf auf dem Komposthaufen beim Verrotten zusehen mussten. Typen, die sich in den 90erJahren kennengelernt hatten, beim Gras und mit dem Gras hängen geblieben waren und mit der Zeit Freunde wurden. Dass mit Cannabis gutes Geld verdient werden könnte und dass dieses grüne Gold bald ganz legal über die Ladentheke gehen würde, daran glaubten sie wirklich. Und weil sie sich einig waren und das Gesetz meistens umgehen mussten, gab es keine Papiere oder Verträge, nur einen Handschlag und das Versprechen, sich nicht zu bescheissen.
Beim Take-off von BioCan sass der Mann, der die Fäden in der Hand hielt, in Südfrankreich. Die Bewilligung für das CBD-Gras zu bekommen, war aufreibend, und Markus Walther – den alle Mäcke nennen – brauchte Ferien. Den Rummel mit der Öffentlichkeit wollte er sich nicht antun. Dario Tobler, sein enger Freund und Geschäftspartner, war für das Kasperlitheater mit den Medien viel besser geeignet. Tobler, Lebensmitteltechnologe von Beruf, führte die operativen Geschäfte, verstand viel von Marketing und vor allem von Hanf. Walther hingegen kannte alle und jeden und hatte ein Händchen für das Auftreiben von Geld.
Die Euphorie
Die Geschäfte liefen besser als gut. Bei BioCan klopften die Grossverteiler an, plötzlich gab es CPure im Denner zu kaufen. Die Entourage von Walther und Tobler wurde immer grösser und undurchsichtiger. Die Firma brauchte dringend helfende Hände, viele Leute witterten Gewinn. Gleichzeitig stiegen die Betriebskosten massiv an. Löhne, Sozialversicherungsbeiträge, Infrastruktur, Rohmaterial: Der Druck des Unternehmertums machte sich bemerkbar. Zumindest für Tobler, der sich zunehmend an der Goldgräberstimmung störte. Am Telefon, an einem späten Abend, erinnert er sich: «Alle dachten, wir sind Superstars, jetzt machen wir fett Kohle», und beginnt zu erzählen. Das Gespräch dauert eineinhalb Stunden. Mehrere Male betont Dario Tobler, dass er seinen Kollegen Mäcke nicht schlechtmachen wolle: «Er ist ein lieber Siech, aber er hatte es nicht mehr im Griff». Markus Walther habe Leute in die Firma geholt, die ausschliesslich das schnelle Geld hätten machen wollen, Typen, die es mit dem Gesetz noch immer nicht so genau nehmen wollten, die CBD-Gras verkauften, aber selbst lieber «richtiges» Cannabis rauchten. Vermutlich auch im Betrieb, auch bei der Arbeit mit schweren Maschinen.
Für Tobler ein No-Go. «Wie hätte das ausgesehen, wenn die Polizei unsere Leute bei einer Verkehrskontrolle berauscht erwischt hätte?» Er, der von der Öffentlichkeit zum Fürsprecher von CBD-Hanf erkoren worden war, fürchtete Razzien, schlechte Publicity und Arbeitsunfälle. Tobler holt tief Luft und meint: «Mäcke hörte aber nicht auf mich, sondern auf die anderen. Und hat mich dann rausgeworfen. Einfach so.» Erfahren habe er das von einer Journalistin vom Landboten. Damals wohnte er praktisch auf dem Gärtnereiareal in Ossingen. «Ich hatte nichts Schriftliches», das sei unglaublich naiv gewesen, gibt er sich selbstkritisch, aber er sei halt ein Idealist: «Mir ging es primär um das saubere Geschäft mit dem Hanf, nicht ums Geld.» Und weil Tobler über fast keine Mittel verfügte, brachte er seinen Anteil am Kapital in Arbeitsleistung ein, über den Lohn, den er von BioCan bekam. Lohn, der plötzlich nicht mehr floss. Kein Gehalt, kein Kapital, keine Beteiligung, keine Firma mehr. Tobler muss von vorne beginnen.
«Alle dachten, wir sind Superstars. Jetzt machen wir fett Kohle.»
Dario Tobler, ehemaliger Geschäftsführer von BioCan
Der Absturz
BioCan, gegründet 2015, bestand damals seit zwei Jahren. Um Risiko und Kosten zu minimieren, liessen Markus Walther und seine Leute Investitionen und Personal auch über die Blühauf GmbH laufen, mit der Walther bereits früher mit Hanfprodukten gehandelt hatte. Zu Erntezeiten waren bei beiden Firmen gemeinsam rund 350 Personen angestellt. Die allermeisten auf den Feldern und in der Produktionshalle, die in einer alten Druckerei in Thayngen eingerichtet worden war, inzwischen der Sitz von BioCan. Das Unternehmen trat engagiert auf und bot Menschen, die aus der Sozialhilfe und Arbeitslosigkeit kamen, einen anständig bezahlten Job. 25 Franken pro Stunde: in der Landwirtschaft ein traumhafter Lohn. Aber niemand bekam einen Arbeitsvertrag. Abrechnungen fehlten, Lohnauszahlungen blieben öfters aus, die Sozialversicherungen «gingen vergessen».
Das erzählen mehrere ehemalige Angestellte von BioCan. In der Region zwischen Schaffhausen und Winterthur finden sich viele, die in irgendeiner Weise für Mäcke Walther gearbeitet haben. Manche in der Produktion, andere in der Verwaltung. Das Bild, das sie von BioCan zeichnen, ist gar nicht gut. Walther sei selten bis nie anwesend gewesen und habe die Firma sich selbst überlassen. Machtkämpfe und Schlägereien seien an der Tagesordnung gewesen. Leute seien betrunken, bekifft oder gar auf Kokain gewesen. Amphetamine, LSD und MDMA hätten offen die Runde gemacht. Die Videoüberwachung, die angeblich zum Schutz des Geschäftsgeheimnisses installiert worden war, sei zum Ausspionieren der Mitarbeiterinnen beim Umziehen missbraucht worden. Die Videos seien dann von den Kadermitarbeitern zur Belustigung herumgereicht worden. Sexuelle Belästigung habe zum Arbeitsalltag gehört sowie laufende Erniedrigungen, derbe Sprüche und Diskriminierungen. Frauen seien als «Frischfleisch» bezeichnet worden, das «höchstens zum Sortieren gut ist, und zum Vögeln».
An der Arbeit sei es den «Chefs» immer weniger gelegen. Hanf ist im Boden eine pflegeleichte Pflanze, die abgeschnittenen Blüten sind aber sehr schimmelanfällig. Regelmässig hätten grosse Mengen davon entsorgt werden müssen, weil sie falsch behandelt wurden. Die Telefone seien wegen den Reklamationen heiss gelaufen: Bauern, die auf Ware sitzen gelassen wurden, Händler, die nicht mehr warten wollten, Konsumentinnen und Konsumenten, die sich wegen schlechter Qualität beschwerten.
Der Kater
Die Menschen, die das alles erzählen, wollen anonym bleiben. Sie haben Angst. Angst um ihr Hab und Gut, um ihre Familien, um ihre Gesundheit. Einige von ihnen hätten schon die Autoreifen aufgeschlitzt vorgefunden, seien von «Schlägertrupps» abgepasst und bedroht worden. Sie zeigen zudem Dokumente, die eine Spur der Verwüstung nachzeichnen. Briefe, Kündigungsschreiben, Protokolle. Ihre Aussagen decken sich auch mit dem Gesamtbild, das BioCan hinterlässt. Die Liste der zivilen Forderungen an die Firma ist lang. In den Kantonen Schaffhausen und Zürich laufen etliche Gerichtsverfahren. Angefangen bei Dario Tobler über weitere ehemalige Kadermitarbeitende, die Lohnforderungen stellen, bis zu Produktionsangestellten, die gegen missbräuchliche Kündigung kämpfen. Laut Insidern hätten im laufenden Jahr über 100 Mitarbeitende ihren Job verloren.
Ähnlich lang ist die Liste von Zahlungsbefehlen und eingeleiteten Betreibungen, die auf die BioCan AG und auf die Blühauf GmbH lauten. Die Bonität der beiden Firmen wird als sehr schlecht eingestuft, die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls als sehr hoch. Das Arbeitsamt Schaffhausen bestätigt, dass Arbeitskontrollen bezüglich Schwarzarbeit stattgefunden hätten. Gut informierte Quellen, die noch kürzlich einen Blick in die Buchhaltung werfen konnten, sprechen von gesamthaft ausstehenden Sozialversicherungsbeiträgen in der Höhe von rund 700 000 Franken. Markus Walther hätte wegen Überschuldung schon längstens die Bilanz deponieren müssen.
Und er ist auch der Mann, der sagen könnte, wie es wirklich um BioCan steht, wie der Traum, mit Cannabis sauberes Geld zu machen, platzen konnte. Aber Mäcke Walther geht nicht ans Telefon. Jeder Versuch der Kontaktaufnahme scheitert. Im Büro heisst es lediglich, der Chef sei schwer erreichbar. Das grüne Gold ist verglüht. Was bleibt, ist Asche.