Erdogans langer Arm

17. Oktober 2019, Marlon Rusch
Die neue Moschee am Schalterweg ist schon weit gediehen. Fotos: Stefan Kiss
Die neue Moschee am Schalterweg ist schon weit gediehen. Fotos: Stefan Kiss

Der Türkisch-Islamische Verein gibt sich betont apolitisch und streitet jeglichen Einfluss aus Ankara ab. Auf Facebook ruft er nun aber dazu auf, für Erdogans Militär­offensive zu beten.

Ali Erbas ist einer der einflussreichsten Männer der Türkei. Er ist der Chef der mächtigen ­Religionsbehörde Diyanet mit 100 000 Mitarbeitenden, einem Budget von 1,7 Milliarden Euro und Ablegern in 145 Ländern. Und Ali Erbas ist ein Freund der martialischen Worte.

Nachdem Erdogans Truppen am Mittwoch der vergangenen Woche zum Entsetzen der Weltöffentlichkeit mit Leopard-Panzern in die Kurdengebiete in Nordsyrien einfielen und erste Zivilisten unter den Bomben und Granaten starben, setzte Erbas noch am selben Tag zur zweiten Offensive an: zur geistigen.

Er verschickte an seine Imame im In- und Ausland die Aufforderung, dafür zu beten, dass «unsere heldenhafte Armee und unsere heldenhaften Soldaten siegreich sein werden». In den Moscheen solle die Fetih-Sure gelesen und gebetet werden. Diese sogenannte Eroberungs-­Sure prophezeit den Gläubigen eine Art Endsieg gegen die Ungläubigen. In Vers 13 heisst es etwa: «Und jene, die nicht an Allah und seinen Gesandten glauben – für die Ungläubigen haben wir ein flammendes Feuer bereitet.»

Recherchen von verschiedenen deutschen Zeitungen zeigen, dass nicht nur die 90 000 Moscheen in der Türkei Ali Erbas Aufforderung gefolgt sind. In diversen Moscheen in Deutschland nahm der Imam beim Morgen­gebet Bezug auf die Fetih-Sure und betete mit den Gläubigen für Erdogans Angriffskrieg.

Der lange Arm von Ali Erbas stoppt aber nicht in Deutschland – er reicht offenbar bis nach Schaffhausen.

Imame aus Ankara
Eine kleine Rückblende: Im Mai 2018 machte der Sonntagsblick publik, dass der Türkisch-­Islamische Verein Schaffhausen eine neue Moschee am Schalterweg bauen will. Kurz darauf deckte der Sonntagsblick auf, dass die Moschee Verbindungen zur Türkisch-­Islamischen Stiftung für die Schweiz (TISS) pflegt, einem direkten Ableger von Ali Erbas Religions­ministerium Diyanet. Das Land, auf dem die neue Moschee gebaut werden soll, hat der Schaffhauser Verein 2010 der TISS überschrieben.

Der Verein entgegnete zwar, dass die TISS damals vor neun Jahren, vor Erdogans neuem Kurs, noch ganz anders aufgestellt gewesen sei. Und dass für den Moscheebau kein Geld aus dem Ausland fliessen soll.

Klar ist aber auch: Heute werden die Imame von Ankara entsandt und bezahlt, oft sprechen sie kein Deutsch und haben keine Bezugspunkte zu den Orten, wo sie ihre Lehre verbreiten sollen. Sie sind Sprachrohre Erdogans und werden auch dafür losgeschickt, Politik zu machen. Diyanet will einen reaktionären, rückwärts gerichteten Islam verbreiten, und dazu wurden gemäss diversen Medienberichten über die TISS auch Spitzel in Dutzende Schweizer Moscheen geschleust.

«Wir werden schikaniert.»
Nach den Recherchen des Sonntagsblick gab es eine dubiose Online-Petition mit 11 000 Unterschriften gegen die «Grossmoschee», verschiedene bürgerliche Politiker äusserten Kritik, aus den Reihen der SVP gab es einen politischen Vorstoss. Grossstadtrat Kurt Reuter sagte, seine grösste Angst sei, «dass durch den Grossbau Hassprediger angezogen werden».

Als die AZ vor genau einem Jahr die alte Moschee in einem Wohnhaus am Schalterweg besuchte («Ein Problem namens Erdogan», AZ vom 25. Oktober 2018), wurden Ekrem Besir und Ibrahim Tas vom Vereinsvorstand nicht müde zu betonen, dass es diesbezüglich nichts zu befürchten gebe. Besir sagte damals: «Unter dem Vorwand Erdogan werden wir schikaniert.» In ihrer Moschee werde keine Politik gemacht, nicht einmal über Politik geredet. Die Türkei habe keinerlei Einfluss auf den Verein.

Nun zeigen Recherchen: Das stimmt so nicht.

Am Mittwoch der vergangenen Woche, am Tag, als die kriegerische Offensive anlief, teilte der Türkisch-Islamische Verein Schaffhausen auf seiner Facebook-Seite den besagten Brief von Diyanet-Chef Ali Erbas, in dem er dazu aufruft, für die «Helden» in Syrien zu beten. Ausserdem teilte der Verein einen Beitrag, in dem Diyanet der türkischen Militäroperation «Friedensquelle» Erfolg wünscht.


Auf Anfrage schreibt Ekrem Besir vom Vorstand, diese Beiträge finde der Verein «auch problematisch». Er werde das bei der Sitzung nächste Woche besprechen. Die Frage, ob auch in der Schaffhauser Moschee, wie von Ali Erbas gefordert, für den Erfolg von Erdogans Angriffskrieg gebetet wurde, liess er unbeantwortet.

Vorstandsmitglied Ibrahim Tas äusserte sich gar nicht zu den Fragen. Heute sitzt IbraTas für die SP im Kantonsrat. Bereits 2016 hat die AZ publik gemacht, dass er sich auf Facebook als Befürworter von Erdogans Politik äusserte. Kurz danach hat er die Beiträge gelöscht. Heute betont er, dass der Verein ja auch Mitglied des interreligiösen Dialoges sei.

Wer die Facebook-Seite des Vereins betreut, ist unklar. Ebenso ist unklar, ob in der Moschee tatsächlich für die Soldaten gebetet wurde. Der Präsident des Vereins jedenfalls, ein gewisser Ibrahim Erdogan, hat den Beitrag der Diyanet auf der Vereinsseite geliket.

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Diestanziert euch!

Ein Kommentar von Marlon Rusch

Das dürfte einen Aufschrei geben. Der Türkisch-Islamische Verein Schaffhausen, der am Schalterweg gerade eine grosse Moschee baut, fordert auf Facebook dazu auf, für Erdogans Angriffskrieg in Syrien zu beten (siehe unsere Recherche auf Seite 3). Dies, nachdem der Verein in der Vergangenheit nicht müde wurde zu betonen, dass er keine Politik mache, ja dass in der Moschee nicht einmal über Politik geredet werde. «Unter dem Vorwand Erdogan werden wir schikaniert», sagte Vorstandsmitglied Ekrem
Besir bei einem Moscheebesuch vor einem Jahr der AZ. Und jetzt das.

Damit dürfte der Verein links wie rechts Sympathien verspielen. Die Grünen und Linken demonstrierten vor wenigen Tagen mit dem Rojova-Komitee gegen den «Terror» der türkischen Armee. Die Schaffhauser SVP hat schon 2018 politische Vorstösse gegen die neue Moschee eingereicht. Gut möglich, dass nun weitere folgen.

Natürlich ist die ganze Sache, wie immer, etwas komplizierter: Die türkische Invasion gegen die Kurdenmiliz geniesst in der Türkei einen breiten Rückhalt. Während Europa empört ist über Erdogans Angriffskrieg, befürworten selbst linke, erdogankritische Zeitungen in der Türkei die Attacke gegen die «Terroristen».


Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Schaffhauser Verein entgegen seinen Beteuerungen Kriegspropaganda betreibt.


Klickt man durch die Facebook-Profile gewisser Türken der zweiten oder dritten Generation, welche die Schaffhauser Aksa-Moschee besuchen, läuft einem ein Schauer über den Rücken. Da werden teils unverhohlen krude Verschwörungstheorien verbreitet, die an Parallelgesellschaften erinnern, wie man sie von anonymen deutschen Gross­städten kennt.

Doch auch hier muss man aufpassen. Wenn Vorstandsmitglied Ekrem Besir sagt, er finde es ebenfalls «problematisch», wenn sein Verein über soziale Medien Polit­propaganda­ verbreite, ist das durchaus glaubhaft. Gut möglich, dass eine grosse Mehrheit der Gemeinde nichts mit Erdogan und seinem Krieg zu tun haben möchte.

Doch es dürfte nicht einfach sein, sich dem langen Arm des türkischen Machthabers und seines mächtigen Religionsministers Ali Erbas zu entziehen. Ankara entsendet die Imame – auch nach Schaffhausen. Es wird sicherlich Druck ausgeübt. Die aktuelle Diskussion um den militärischen Salut der türkischen Fussballnationalmannschaft ist auch deshalb entbrannt, weil wohl nicht alle Spieler freiwillig salutierten.

Nichtsdestotrotz tut der Türkisch-­Islamische Verein gut daran, sich nun schnell, hochoffiziell und in aller Deutlichkeit von Erdogans Kriegspropaganda zu distanzieren – und dann auch intern so zu handeln. Gerade in der Schweiz sollte es möglich sein, sich dem Einfluss aus Ankara zu entziehen. Wenn man wirklich will.

Und allen andern sei geraten, den ­durchaus berechtigten Aufschrei nicht
eskalieren zu lassen. Es radikalisieren sich genau diejenigen, die sich in die Ecke gedrängt fühlen. Gefragt ist jetzt das offene Gespräch.