Nuggis statt Joints

27. September 2019, Marlon Rusch

Hip-Hop: Der JMNC-Jam zeigt, wie eine Subkultur in Würde altern kann.

Das mit der «Credibility» ist im Hip-Hop ja so eine Sache. Immer und überall soll man «glaubwürdig» sein, zeigen, wo man herkommt. Nämlich bestenfalls von der «Street». Zeigen, dass einem nichts geschenkt wurde im Leben, dass man sich durchgebissen hat – bevorzugt in der Halb- oder Ganzillegalität. Egal ob man in New York zur Welt kam oder in Beringen. Nur: In der echten Welt wird man mit ebendieser Attitüde ziemlich schnell ganz und gar unglaubwürdig. Das merkt man, wenn man älter wird, meist irgenwann von selber. Und dann? Dann kann man entweder aussteigen. Man kann hängen­bleiben und weiterpubertieren. Oder man kann nachjustieren. Die 2002 ­gegründete Schaffhauser Hip-Hop-Crew JMNC, was für Junior Magic North City steht, hat sich für Variante 3 entschieden. Eine gute Wahl.

Im Interview mit Radio RaSA (ja, dort gibt’s mittlerweile verdammt viel guten Content!) sagte das Schaffhauser Rap-Urgestein und AZ-Kolumnist Gran Purismo vor ein paar Tagen, JMNC hätte damals den «Bronx-Style» nach Schaffhausen gebracht, den sozialen Aspekt des Hip-Hop, das Gemeinschaftsgefühl. Auch wenn die Jungs nur Vorband eines grossen Acts gewesen seien, seien sie es gewesen, die jeden Club der Stadt spielend gefüllt hätten – allseits gefeiert, allseits geachtet, allseits beliebt.

Abseits der viersprachigen Crew, die sich selbst auch als Familie bezeichnet, dominierte im Schaffhauser Hip-Hop-Game im erster Linie das finstere Gehabe. Vor dem Spass kam meist der Schwanzvergleich. JMNC war da eine willkommene Abwechslung: Gute Rapper, guter Flow, doch trotz finsterer Attitüde immer auch herzlich, integrativ, menschenfreundlich.

Seither ist ein Jahrzehnt vergangen. Die Jungs von damals sind Männer geworden. Sie hängen immer noch miteinander ab, doch heute tragen sie mehr Röhrlijeans als Baggy­pants, die ersten tragen Eheringe, abends muss man beizeiten nach Hause, um die Kinder ins Bett zu bringen. Das Hip-Hop-Ding, haben sie sich offenbar gesagt, muss man deswegen aber nicht zu Grabe tragen.

Noch immer betreibt JMNC einen Bandraum im Ebnat, wo sich längst auch eine noch spätere Generation tummelt und Musik macht; bald soll ein neues Solo-Album getauft werden; mit den neuen Pächtern, teilweise aus den ­Reihen der JMNC-Familie, hat die Sub­kultur ­Eingang in die Rhybadi gefunden.

80er-Jahre-Romantik

Subkultur? Hip-Hop ist doch längst im Mainstream angekommen, könnte man jetzt monieren und läge damit sicherlich nicht falsch. Doch die Spielart, die am vergangenen Wochenende am JMNC-Jam kultiviert wurde, darf man sehr wohl unter Subkultur abbuchen: 80er-Jahre-Romantik, Back to the Roots, feinster Purimus. Travis Scott und Kollegah haben hier nichts verloren.

Zum zweiten Mal nach 2016 hat JMNC im Mosergarten zum Jam geladen, um den vier Elementen des Hip-Hop zu huldigen: DJing, Breakdance, Graffiti und Rap. Eine 50-Meter-­Wand wurde um den Mosergarten gebaut und verwandelte sich im Laufe des Nachmittags in ein riesiges Graffito. Ein Laminat wurde über den Kies verlegt, wo bald diverse Tänzer kopfüber und kopfunter wirbelten. Basslastige Oldschool-Rap-Tracks und wilder Funk dröhnten über den Platz.

Doch eine gegen den Mainstream abgegrenzte, finstere Machokultur? Suchte man vergebens.

Breakdance, Graffiti, DJing und Rap – die vier Elemente des Hip-Hop am JMNC-Jam im Mosergarten.
Kernelemente des Hip-Hop im Mosergarten: Breakdance …
Breakdance, Graffiti, DJing und Rap – die vier Elemente des Hip-Hop am JMNC-Jam im Mosergarten.
… Rap …
Breakdance, Graffiti, DJing und Rap – die vier Elemente des Hip-Hop am JMNC-Jam im Mosergarten.
… und Graffiti.

An den Plattenspielern: eine Frau. In den Tanzschuhen und an den Sprühdosen? Junge Männer und Frauen zu gleichen Teilen. Am Essensstand dampfte eine vegetarische Reispfanne. Danach gabs selbst gebackenen Kuchen. Kids mit bunten Pamirs über den Ohren rannten über den Platz oder versuchten sich als Sprayer an der Kinderecke. Die Mutter eines JMNC-Rappers trug die Enkelin auf den Schultern. Überhaupt schien die Elternquote am Nachmittag ungewöhnlich hoch, Familie halt. Ein JMNC-Vater, arrivierter Kunstmaler, schlenderte mit Gattin durch die Graffiti-Gallerie. Ein Mann fragte seinen sprayenden Sohn, wohl zwei bis drei Hip-Hop-Generationen nach JMNC: «Wotsch nid de Mundschutz alege?», worauf sich dieser entnervt abwandte.

Nur vereinzelt vermischten sich Haschisch-Schwaden mit dem Treibgas der Sprühdosen. Die Farbe? Sie war gesponsert von Maler Moretti.

Legenden im Städtli

Für gewöhnlich meiden Subkulturen eine Öffnung für die breite Masse wie der Teufel das Weihwasser. Doch hier funktioniert sie wunderbar. Denn der Jam bot auch den Szenis hohe Standards. Die Künstlerinnen und Künstler kamen von allen Ecken Europas. Lady K sprayt nur mit Kopftuch und will nicht fotografiert werden; aus gutem Grund: sie hat halb Paris bemalt. Street Credibility: 100 Prozent. Andere Sprayer kamen aus Italien. An der Open-Mic-Session hörte man Baseldytsch. Der Organisator des Breakdance-Cyphers ist auf dem ganzen Kontinent vernetzt und brachte internationales Flair in die Stadt. Egyptian ­Lover, der DJ aus Los Angeles, der die Afterparty bestritt, geniesst in der Szene Legenden­status seit den 80er-Jahren und jagte im TapTab seine stilprägenden Drumcomputer-­Electrofunk-Beats durch die Boxen.

Und als abends um elf die Kinder längst schliefen, waren die Hip-Hop-Heads verschiedenster Generationen auf dem Mosergarten plötzlich unter sich, zischten die letzten Biere, Klassentreffen­atmosphäre, bevor es die einen noch zum Egyptian Lover zog. Die Musik war längst aus, Nachtruhe ist Nachtruhe, auf Stress mit der Polizei ist hier niemand aus.

Von kleinen Spots schummrig beleuchtet, zeugten die hochkarätigen Graffitis von einer Subkultur, die es geschafft hat, in Würde zu altern.