Serguei Beloussov, der eine Privatuni gegründet hat, lädt zum Gespräch. Er wehrt sich gegen die Kritik, er tanze durch die Steuerparadiese. Bald dreht sich alles um Gut und Böse.
Serguei Beloussov zieht seine Brauen hoch. Seine blauen Augen wirken noch durchdringender als üblich. In seinem Englisch mit russischem Akzent fragt er: «Glauben Sie an das Gute?» – Yes, erwidern wir; eine rhetorische Frage, und wer will schon als Unmensch dastehen.
Einige Minuten früher. Auf Beloussovs Einladung hin haben wir uns auf unser Fahrrad geschwungen und sind zu seiner Softwarefirma Acronis am Rande Schaffhausens gefahren (einer der grösster Anbieter weltweit für Daten- und Cyberschutz). Der 46-jährige Singapurer mit russischen Wurzeln, sein Vermögen wird auf 600 Millionen Dollar geschätzt, will hier eine private IT-Universität für 2500 Studierende errichten. Schaffhausen Institute of Technology soll es heissen. «Wir wollen ein gutes Geschäft aufziehen, indem wir High-End-Wissenschaft und Forschung anbieten und eine gute Universität bauen», sagte Beloussov bei der Vorstellung seiner Pläne.
Am 18. Juli wies die AZ in einem Artikel nach (https://www.shaz.ch/2019/07/23/ein-eiskalter-profi/), wie die Studiengebühren der Vorbild-Universitäten enorm hoch sind. Wie Beloussov die Sitze seiner Software-Firmen aus Steuerparadiesen wie den Bermudas oder Zypern nach Schaffhausen verlegt hatte (manche, wie Acronis, mit Büros, andere nur als Adresse). Und wie er nach wie vor einen Briefkasten auf den Cayman Islands unterhält, für sogenannte Risikokapital-Investitionen (die Adresse teilt man sich mit 8000 anderen Firmen oder Fonds). Auf der Inselgruppe herrscht Steuerfreiheit; es gibt lediglich ein paar kleine Stempel- und Zollgebühren, damit sich die wenigen Beamten bunte Drinks mit Schirmchen leisten können.
Jedenfalls war Beloussov, kurz gesagt, nicht sonderlich erfreut über den Artikel gewesen.
«Kind of sad to see my effort unwelcome on your part», schrieb Beloussov per E-Mail. Er wolle reden, fügte er an, sobald er von seiner Tour nach Japan, Singapur, Malaysia, Frankreich und Italien zurück sei. Wobei die Tour nicht zum Vergnügen sei, «sondern um Geld zu verdienen und damit the creation of the great university in Schaffhausen zu finanzieren».
Wir haben uns also aufs Rad geschwungen, um Serguei Beloussov zum Gespräch zu treffen. Und da sitzen wir nun, an einem riesigen ovalen Tisch in einem viel zu grossen Sitzungszimmer von Acronis. Auf der einen Wand prangt der Slogan «Think outside the box»; gegenüberliegend steht ein Kühlschrank mit Red-Bull-Logo.
«Ich bin kein Steuerexperte»
«Wir haben eine Liste mit Kommentaren», beginnt Serguei Beloussov. Vor ihm auf dem Tisch liegen ein paar Dokumente, worauf alle vermeintlichen Verfehlungen des AZ-Artikels fein säuberlich aufgelistet sind.
«Zum Beispiel schreiben Sie, wir seien Profis in Sachen Steueroptimierung», sagt Beloussov. «Mein Steuersitz liegt in Singapur. Ich zahle so viele Steuern, wie man dort verlangt. Es ist nicht so viel – deshalb habe ich es nicht nötig, Steueroptimierung zu betreiben. Ich hatte damals, vor 20 Jahren, die Wahl zwischen dem US-Pass oder dem singapurischen. Ich entschied mich für Singapur, denn ich wollte nicht in einem Land leben, das Krieg führt. […] Ich bin kein Steuerexperte, ganz ehrlich.»
Wie kam er dann nach Schaffhausen? «Solche Entscheidungen basieren auf Rat von Experten wie Ernest & Young oder Pricewaterhouse Coopers», sagt Beloussov. «Sie haben uns geraten, Acronis auf die Bermudas zu verlegen. Aber wir haben sehr schnell gemerkt, dass wir unseren Sitz nicht an einem Ort haben wollen, wo wir keine Präsenz haben. Nach zwei oder drei Jahren sind wir nach Schaffhausen gezogen [im Jahr 2008]. Warum soll das schlecht sein? Schweizer sollten glücklich darüber sein, schliesslich zahlen wir hier Steuern.»
Wir erinnern uns, dass der Schaffhauser Ableger von Acronis im Jahr 2011 einmal 479 Millionen Franken von einer Firma auf den Bermudas übernommen hat. Und dass sich Beloussov im Mai 2019 auf einen Schlag 6,6 Millionen Dollar ausbezahlt hat. Belege davon fanden wir auf dem Handelsregisteramt.
«Zweitens, Briefkastenfirmen», fährt Beloussov fort. «Sie schreiben, ich würde mein Geld in Briefkästen auf den Cayman Islands parkieren. Runa Capital I, II und III befinden sich dort. Das sind Venture Funds, Risikokapitalfonds. Die meisten amerikanischen Venture Funds befinden sich auf den Cayman Islands, weil dort US-Recht gilt und es keine steuerlichen Folgen hat. Das ist einfach die übliche Praxis. Das Geld ist in Portfolios rund um den Globus investiert.»
Wir wundern uns. In unserem Artikel war nichts anderes behauptet worden. Woran stört sich Beloussov wirklich? Wir starren die Wand an, «Think outside the box», aber wir kommen auf keinen grünen Zweig.
Nicht auf dieser Welt
«Drittens schreiben Sie, ich würde mich nur fürs Geld interessieren», sagt Serguei Beloussov. «Das ist sehr unfair. Ich gebe Geld aus für die Universität. Ehrlich gesagt, wäre ich froh, wenn Sie Geld ausgeben würden, schliesslich sind Sie Schweizer Bürger. In den nächsten 30 Jahren werde ich damit kein Geld verdienen. Und dann werde ich wohl sterben. Schaffhausen kann sich eine Uni nicht leisten. Das Budget der ETH dürfte in der Grössenordnung von 2 Milliarden Franken liegen. Einzige Möglichkeit ist daher, dass das Schaffhausen Institute of Technology selbst Geld verdient.»
Beloussov holt ein bisschen aus; mit grossem Pinsel malt er seine Visionen in das triste Sitzungszimmer: «Wissenschaft ist unsere neue Grenze. Wenn es nämlich keine neuen Grenzen gibt, fangen die Menschen an, um alte zu kämpfen. Territorien, Öl, Ressourcen. So beginnen Kriege. Das will ich nicht. Unsere neuen Grenzen liegen in der Mikrowelt oder in der Makrowelt, also im Weltall, aber nicht auf dieser Welt.»
Schliesslich hebt Beloussov seine Augenbrauen und fragt, ob wir an das Gute glaubten. – Natürlich. Er bohrt weiter: «Glauben Sie, eine Universität ist etwas Gutes?» Grundsätzlich ja, sagen wir, aber die Frage sei auch: Wer wird zur Universität zugelassen, zumal man mit hohen Studiengebühren rechnen müsse?
«Alle», versichert Beloussov. «Schweizer Studierende werden nach Schweizer Gesetz immatrikuliert. Wie üblich werden sie vom Staat bezahlt – technisch gesehen, kostet das Studium nichts. Aber ausländische Studierende werden Stipendien erhalten oder selbst für die Ausbildung aufkommen müssen.»
Das setze aber eine offizielle Akkreditierung voraus, entgegnen wir, was in der Schweiz sehr schwer sei für private Universitäten. Beloussov winkt ab: «Schwieriges hält Leute nicht davon ab, Gutes zu tun.» Und dann sagt er etwas, das noch lange nachhallt: «Die neue Retterin der Menschen ist Wissen, und nur Wissen. Das wird von der Wissenschaft produziert, und zwar an Universitäten.»
Nach einer guten Stunde schiesst Beloussov mit Sprungfedern aus seinem Stuhl. Er hat noch zu tun. Die Verabschiedung ist freundlich.
Auf dem Fahrradsattel hängen wir einer Frage nach: Geht es Beloussov noch um Wissenschaft, um Zweifel, um Hypothesen und ihre Überprüfung? Oder reden wir schon über Religion, wo die Welt in Gut und Böse geteilt wird?
Erzengel aus dem Steuerparadies
Wenige Tage nach dem Gespräch verschickt Acronis eine E-Mail mit schwerem Inhalt: Die IT-Firma erhält eine Finanzspritze von 147 Millionen US-Dollar. Damit steige ihr Wert auf über eine Milliarde Dollar, heisst es in der E-Mail. Ziel sei es, weitere Software-Unternehmen zu kaufen und das Wachstum zu beschleunigen. Während Acronis letztes Jahr um 20 Prozent gewachsen sei, strebe man dieses Jahr 30 Prozent an.
Grösste Geldgeberin dieses Deals ist die amerikanische Investment Bank Goldman Sachs, eine der grössten ihrer Art. Sie trägt den Schein des Erzengels der vereinigten Steuerparadiese. Die liberale Denkfabrik Citizens for Tax Justice aus den USA kam in einem Report von 2016 zum Schluss, dass Goldman Sachs 987 Tochtergesellschaften «in Offshore-Steuerhimmel» habe – Rekord unter allen US-Unternehmen. Allein auf den Cayman Islands unterhalte die Bank 537 Subfirmen, «obschon sie dort sogar gemäss eigener Webseite kein einziges rechtmässiges Büro führt». Insgesamt, so der Report, parkiere Goldman Sachs 28,6 Milliarden Dollar auf Steueroasen.
«Wir freuen uns über die Unterstützung unserer Strategie durch Goldman Sachs», wird Serguei Beloussov in der E-Mail zitiert.