Vorhang hoch, Niveau runter

6. September 2019, Mattias Greuter
Der Grosse Stadtrat: Manchmal ein grosses Theater.
Der Grosse Stadtrat: Manchmal ein grosses Theater.

Die Debatte um den Klimanotstand im grossen Stadtrat war eine einzige Schmierenkomödie. Ein Kommentar von Mattias Greuter.

«Wir sind hier nicht im Theater», sagt SVP-Grossstadtratspräsident Hermann Schlatter, als die Klimajugend sich einmal kurz zu applaudieren getraut. Sie sitzt an diesem Dienstagabend etwa zu zehnt auf der Tribüne des Parlamentssaals, weil der Grosse Stadtrat über den Klimanotstand entscheiden soll.

Hermann Schlatter täuscht sich: Es ist ganz eindeutig ein Theater, was den Jugendlichen und der Presse an diesem Abend vorgeführt wird.
In der Rolle des Bösewichts überzeugt Schlatter selbst. Er, bei dessen Wahl ins Präsidium halb Hemmental auf der Tribüne Fahnen schwenkte und johlte, stört sich am kleinen Transparent der Klimajugend so sehr, dass er der Presse verbieten will, Fotos davon zu verwenden.

Auftritt Urs Tanner: Der SP-Fraktions­chef, für theatralische Voten bestens bekannt, ärgert sich über die «nordkoreanische Auslegung» der Geschäftsordnung durch Schlatter. Der Tonfall des Schauspiels ist damit gesetzt. Später vereinnahmt Tanner die Bühne mit derart vielen und lauten Zwischenrufen, dass er von Schlatter mehrmals zur Ruhe gebimmelt werden muss, die beiden Kontrahenten schaukeln sich gegenseitig hoch. Noch befindet sich die ganze Aufführung an der Schwelle zwischen Ratssitzung und Parodie davon, aber die Richtung ist klar.

Die allerbeste Pointe geht im Trubel fast unter: Sowohl der Stadtrat als auch die Mittefraktion machen beliebt, das Wort «Notstand» zu eliminieren. Ein Notstand ohne Notstand, eine groteske Farce, die Presse müsste titeln: «Schaffhausen erklärt den Klima.»

Bea Will wäre zur Rettung der Mehrheit für ihren Vorstoss dazu bereit. Stadträtin Katrin Bernath möchte das böse Wort nicht im Text, damit keine Debatte über den problematischen Begriff des Notstandes geführt werden muss.

Wie immer, wenn jemand erklärt, eine bestimmte Diskussion sei nicht nötig, wird diese natürlich ausführlich geführt – sie bestimmt den längsten Akt der Schmierenkomödie.

FDP-Grossstadtrat Martin Egger sieht seine Chance, an das Hammer-und-Sichel-Bild der AL zu erinnern, und malt nichts weniger als den roten Teufel an die Wand: «Links-Grün bereitet mit diesem Notstand den Boden für ein totalitäres System.» Egger erläutert, man wolle uns sogar das Kinderkriegen verbieten, und das alles ohne Aufschrei, schreit er auf, aber wenn die SVP einmal so ein Wurmplakätli entwerfe …

Michael Mundt von der angesprochenen SVP tritt etwas besonnener auf, man ist schliesslich Nationalratskandidat, und erzählt etwas vom Schmelzen des Rheingletschers vor Jahrtausenden, ganz ohne Industrialisierung. Ob die aktuelle Erwärmung menschgemacht sei, wisse man einfach nicht, sagt er, und die Klimajugend mag darüber nicht einmal mehr lachen.

Tragisch mutet auch an, dass an jeder anderen Sitzung der Klimanotstand Erfolg gehabt hätte – doch ausgerechnet diese Woche fehlen ganze vier Stimmen aus AL, Juso und SP. Bilanz für die Linke: Clownhaft selbstverschuldete Niederlage. Bea Will muss das Postulat in eine Interpellation (Diskussion ohne Entscheid) umwandeln, um ein Nein zu verhindern – so wurde am Ende der Vorstellung nicht einmal abgestimmt.

Zur Abrundung spricht ein besonders Weiser zum Publikum, wie sich das in der Komödie gehört. Martin Egger lädt die Klimajugend ein, sich politisch zu engagieren, «vielleicht sogar in der FDP». Seht her, ihr jungen Leute, so toll ist die institutionalisierte Politik!



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Anmerkung: In der ersten Version, die am 5. September in der Schaffhauser AZ erschien, enthielt dieser Text zwei Fehler: Zwei Aussagen von Martin Egger wurden aus Versehen Hermann Schlatter bzw. Diego Faccani zugeordnet. Wir entschuldigen uns bei den Betroffenen und bei den Leserinnen und Lesern.